|
RE: Prozess gegen Angelo Lucifero |
Beitrag Kennung: 101838
|
|
|
|
Zitat: |
Angelo Lucifero in Thüringen
Der Familienlegende nach kam vor vielen Generationen aus Mittelitalien ein ungebärdiger Sohn, den die Mutter oft einen Teufel nannte, nach Sizilien, nahm dort seinen Schimpfnamen an und begründete die Familie Lucifero. Einen seiner Nachfahren, Angelo Francesco Lucifero, hochgewachsen, rothaarig, jetzt mit Grau durchmischt, sommersprossig, verschlug es in das thüringische Erfurt. Als Junge fand er sich gar nicht schön, die Farben seiner Geschwister gefielen ihm besser, schwarze Haare und braune Haut. "Aber wir Sizilianer sind Bastarde", sagt er, und genau darauf ist er stolz. Da lebten Griechen, dann Römer, es landeten Wikinger, Franzosen, Afrikaner, von überall her kamen Menschen und mischten sich. Und das sei gut so.
Angelo war zwölf, als die Familie dem Vater nach Deutschland, in die Stadt Mainz, folgte. Den Sohn nahm er in den Sommerferien mit auf den Bau. Und schrieb ihn schon mit 13 in die Gewerkschaft ein. Vom Vater hat er die wichtigsten Dinge mitbekommen: Helfen, wo es geht. Keinem Unrecht ungerührt zuschauen, sondern eingreifen. Nie sagen: die Italiener, die Deutschen, die Unternehmer. Immer unterscheiden, je nach Verhalten. Gerecht sein. "Meine Sizilianer sind mir lieb", erklärte ihm der Vater, "aber es war die Mafia, die mich vertrieben hat, und das sind auch Sizilianer." Es ist Angelos Leidenschaft - mit einem kurzen nachdrücklichen Blick und manchmal sogar mit erhobenem Zeigefinger - darauf hinzuweisen: Es sind nicht alle gleich. Auch nicht Polizisten und Richter.
Am 16. und 23. Januar steht er nun in Erfurt vor Gericht. Seine immer heftigeren Auseinandersetzungen mit den dortigen Nazis haben ihm ein Verfahren eingebracht. Es geht um eine einjährige Gefängnisstrafe auf Bewährung. Der Vorwurf heißt Körperverletzung.
Seinerzeit in Mainz war Angelo auf einem Internat, er lernte gern, doch kurz vor dem Abi verunglückte er schwer mit seinem Fahrrad. Als er genesen war, zog er nach Frankreich, erlebte solidarische Kämpfe von Arbeitern. Wieder eine Öffnung zu etwas Neuem und eine Erkenntnis, die in sein Wesen einging. "Ich habe keine Nation. Mein Vaterland ist nicht Italien, sondern das Meer, der Fluss, die Sonne - es sind faire Menschen." Zurück in Deutschland absolvierte er eine Lehre als Industriekaufmann, war im Betrieb aktiv als Gewerkschafter, studierte ein Jahr an der Akademie der Arbeit in Frankfurt/M. und wurde DGB-Jugendsekretär für Mittelhessen. So begann sein Weg als Mitglied des Gewerkschaftsapparates. 1991 gehörte er zu einer Schar oft linker Gewerkschafter, die in den Osten gingen. Er wurde stellvertretender HBV-Landesleiter in Thüringen, später der Landesleiter. Heute ist er stellvertretender Landesfachbereichsleiter von ver.di zuständig für den Einzelhandel.
Goldene Nase
Doch jetzt droht ihm eine fristlose Kündigung. Zwei Ereignisstränge verflechten sich kaum noch entwirrbar: der Prozess und die angestrebte Entlassung - der Gipfel eines seit Jahren anschwellenden Konflikts innerhalb seiner Gewerkschaft. Es geht um sein unbequemes, heftiges, herausforderndes Engagement gegen Rechts, für Flüchtlinge, gegen Niedriglohn und Hartz IV, für Streikbereitschaft, für Aufklärung und Vernetzung. So ungefähr lässt sich die Richtung seines Handelns beschreiben. Abscheu gegen Bürokratie gehört dazu.
Vielleicht interessiert ihn am meisten, wie Zivilcourage zu wecken ist. Ihm ist es gelungen, den längsten Banken-Streik zu initiieren, der dazu führte, dass für die Mitarbeiter von Banken als beinahe einziger Berufsgruppe in Ost und West gleiche Tarife gelten. Er probiert alle Methoden aus, von denen er erfährt: Die Vergabe einer "goldenen Nase" als Happening an unsoziale Unternehmer gehört ebenso dazu wie der enge Kontakte mit Gewerkschaftern aus Österreich, Italien und besonders Israel.
Erlebnisse wie dieses liebt er: Bei einer Autorast in Italien beobachtet er einen Polizeiwagen, der langsam auf zwei afrikanische Händler am Strand zufährt, mit Sicherheit Illegale, sie erstarren. Da stellt sich ein Mann vor sie und ruft laut: Vieni, venite, kommt alle, lasst nicht zu, dass sie verhaftet werden. Und es sammeln sich immer mehr Leute, er zählt 40. Die Polizisten fahren ab. In Italien gefällt Lucifero die Tradition des Alltagswiderstands ungeheuer. Jetzt ist er es, vor dem sich Kollegen und Freunde solidarisch aufstellen.
Gelbe Hand
Für die Thüringer Nazis, die im kleinen Land seit der Wende gezielt ihre Nester ausbauen, ist Lucifero das Feindbild. Er hat eine lange Liste der Angriffe auf ihn erstellt: Telefonterror. Einbruch in sein Büro. Tätlichkeiten bis zum Niederschlagen. Nägel in den Reifen, Bremsschläuche durchschnitten, Autoscheibe eingeschlagen, Notebook gestohlen. Vieles entzündet sich am Auto, in dessen Fenster er Plakate, eine gelbe Hand Mach meinen Kumpel nicht an und antirassistische Fotos gehängt hat. Vor allem hat er hinten einen Lautsprecher installiert: er muss nur den Kofferraum öffnen, seine Musik auflegen und bei Kundgebungen ein Signal geben.
Das Niederschmetternde ist, Polizisten schauen oft genug untätig zu. Die Justiz lässt seine Anzeigen immer wieder fallen und untersucht nichts. Auch Bild hetzt: Der rote HBV-Anheizer. Das war 1993, danach wurde es deutlich schlimmer. Die Nazis verhandeln ihn auf ihrer Homepage, setzen auch Fotos hinein, er ist ihr Lieblingsfeind: "Wir fordern den Vorstand auf, nicht zuzulassen, dass ein Ausländer weiterhin über die Gewerkschaft verfügen kann ... Auch wir sind in der Gewerkschaft, damit sie uns vor der Kapitaloligarchie und ausländischen Zuwanderern schützt, die unsere Arbeitsplätze stehlen. " So im Jahr 2003.
Und jetzt, am 23. Dezember, Jubel über die angekündigte Entlassung: "Während Lucifero seinem Prozess entgegenzittert, will man bei ver.di nun wohl Nägel mit Köpfen machen, um das Image der Gewerkschaft nicht weiter zu beschädigen. .... Seine "anti"Faschistische Arbeit kann er, wenn er Pech und die Gesellschaft Glück hat, bald hinter schwedischen Gardinen in Goldlauter machen."
Die Schreckschusspistole
Die Geschichte: Lucifero fängt an, über eine Verteidigungswaffe nachzudenken, die Eindruck macht, ohne jemanden zu verletzen. Eine Schreckschusspistole könnte es sein. Vorher hielt er sich manchmal Nazis vom Leib, indem er in die Jacke griff, als würde er gleich ein Messer zücken. Es schien zu wirken. "Sie sind ja Rassisten", lacht er, "sie denken, der ist ein Sizilianer, ein Messerstecher." Er bestellt die Waffe, testet sie an einer Wand, ist überrascht vom Krach, sieht keine Spur an der Wand, sie scheint zur Verteidigung tauglich. Er legt sie wieder in den Karton und ins Auto, muss sie noch anmelden.
Einige Tage später findet die regelmäßige Erfurter Donnerstagsdemo des Bündnisses für soziale Gerechtigkeit auf dem zentralen Anger statt, diesmal unter dem Motto Kein Platz für Nazis. Denn die planen für den 1. Mai einen großen Aufmarsch in Erfurt. Als Redner ist Professor Reinhard Schramm von der jüdischen Gemeinde Thüringen eingeladen. Angelo Lucifero klappt seinen Kofferraum auf, Musik ertönt, er verteilt Flugblätter an die Passanten, worauf er immer viel Wert legt, und bekommt plötzlich Schläge in den Rücken. Drei junge Männer rennen weg, als er sich umdreht. Wenig später sieht er, wie sich ein Trupp der Jungen Nationaldemokraten mit Transparent vor den schockierten Redner schiebt. Er nimmt die Schreckschusspistole aus seinem Auto. In der Mitte der Kundgebung entsteht ein Tumult, er eilt zur Hilfe, bekommt wieder Schläge ab. Jemand richtet eine kleine Kamera auf ihn, sehr nah, er schlägt sie ihm aus der Hand, erhält weitere Schläge, da zieht er die Waffe, richtet sie auf die Angreifer, die sich zurückziehen, drückt drei mal ab.
Eine halbe Stunde später holt die Polizei ihn mit Gewalt aus dem Auto, hält ihn in der Polizeizentrale bis zum abendlichen Verhör fest. Die örtliche Presse ist erregt. Thomas Voß, Landesbezirksleiter von ver.di, erklärt: "Wir können und wollen uns nicht der gleichen Mittel bedienen, wie man sie auch aus dem rechtsradikalen Raum kennt." Er erteilt Lucifero eine Abmahnung.
Wie stets bei politisch motivierten Tätlichkeiten gibt es entgegengesetzte Zeugenaussagen. Zwei der Angreifer wollen nur zufällig auf dem Anger gewesen sein und durch die Schreckschüsse einen Hörsturz erlitten haben. Sie erstatten Anzeige wegen Körperverletzung. Die Staatsanwaltschaft ermittelt ausschließlich gegen Lucifero und nicht gegen die Jungen Nationaldemokraten und ihr Umfeld, die die Kundgebung gesprengt haben. Zahlreiche Augenzeugen machen auf sie keinen Eindruck, auch nicht Reinhard Schramm, der in der Zeitung schreibt: "Als die NPD-Jugend mit ihren Rufen meinen Redebeitrag der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen unterbrach, fragte ich mich angesichts meiner Ohnmacht: Warum schützt die Polizei eine Kundgebung gegen Rechtsextremismus nicht von Anfang an?" - Die Staatsanwaltschaft schickt an Lucifero, ohne ihn gehört zu haben, einen so genannten Strafbefehl über ein Jahr Gefängnis auf Bewährung. Er legt Widerspruch ein. Die Verhandlung beginnt am 16. Januar 2008.
Listen und Netze
Lucifero wehrt sich zugleich gegen die Abmahnung durch den ver.di-Landesvorstand und bekommt dabei große Unterstützung von Gewerkschaftskollegen. Sogar der ver.di-Bundeskongress im September 2007 fordert mit ausführlicher Begründung die Rücknahme der Abmahnung und juristische Unterstützung für Lucifero durch den Bundesvorstand.
Als im Dezember 2007 endlich ein Personalgespräch mit Landesbezirksleiter Voß zustande kommt, eskaliert alles. Angelo wird mit Vorwürfen eingedeckt, die ihm die Fassung rauben. Abgesehen von der Schreckschusspistole habe er auch Gewerkschaftsgeld und eine Mailingliste der Gewerkschaften "für persönliche politische Aktivitäten" benutzt.
Der Geld-Vorwurf trifft ihn besonders, denn er hat von Anfang an, auch schon früher in Hessen, viele technische Anschaffungen und Reisekosten für sich und andere selbst bezahlt. Gemeint hat Voß die kleine, unregelmäßig erscheinende Zeitung Karussell Gegenwind, die Lucifero seit 1993 für Gewerkschafter herausgibt, sehr bunt, voller Karikaturen, mit Empfehlungen für Aktionen.
Die umstrittene Mailingliste mit über 1.000 Adressen lief über Jahre auf dem Server von ver.di. Bei der Neueinrichtung vor Monaten unter dem Namen antira@lag-antifa.org, die aufgrund eines technischen Defektes nötig wurde, gerieten auch Leute in die Liste, denen das missfiel. Beschwerden dieser Art sind für Thomas Voß Argumente gegen Lucifero. Aber Vernetzung ist nun einmal das Zauberwort für alle politischen Bewegungen. Luciferos großem Talent als Vernetzer ist es wesentlich zu verdanken, dass in Thüringen die Gegner der aggressiven Rechten Kontakt halten, reagieren können und Vertrauen zu den Gewerkschaften entwickeln. Sie tun das angesichts einer schweigenden Mehrheit, einer gleichgültigen Politik, einer Öffentlichkeit, die lieber wegsieht. Der zuverlässige Kontakt untereinander ist das einzige Mittel, sich gegen die Ignoranz zu behaupten. Diese Arbeit zur "persönlichen" Angelegenheit zu erklären, ist für Gewerkschafter nicht zulässig.
In Zigarettenlänge
Das Personalgespräch endet in offenem Krach. Lucifero wird rausgeschickt, damit Thomas Voß und seine beiden Stellvertreterinnen sich beraten können. Ehe er im Hof seine Zigarette zu Ende geraucht hat, drückt ihm der Vorsitzende das Schreiben über die sofortige Suspendierung und ein Hausverbot in die Hand. Lucifero ruft in größtem Zorn: "Damit helft ihr Heil Hitler!" Und weiter: "Dieses Haus würde verbrennen, wenn ich der Gewalttäter wäre, als der ich ohne Widerspruch des ver.di Landesbezirks angeklagt werde!" Diese wütenden Sätze wertet Thomas Voß als Beleidigung und Drohung und hat nun den passenden Grund für die Entlassung, die er offensichtlich herbeiführen will. "Wenn Lucifero der Gewerkschaftsführung vorwirft, die rechtsradikalen Bestrebungen zu unterstützen, ist das schon ein sehr schwer wiegendes Signal in Richtung fehlenden Vertrauensverhältnisses und fehlender Basis für die Zusammenarbeit."
Lucifero ist durch einen starken Tinnitus zu 50 Prozent als schwerbehindert eingestuft, das ist in seiner Umgebung allen bekannt. Der Betriebsrat von ver.di lehnt die Kündigung ab. Thomas Voß sagt dazu trocken: Das sei zu erwarten gewesen, darüber müsse er sich hinwegsetzen. Locker bedauert er den "unglücklichen zeitlichen Zusammenhang" mit dem Prozess. "In seinem Engagement gegen Rechts - mit Ausnahme des Vorfalls mit der Schreckschusspistole - sind wir mit ihm völlig d´accord. Da gibt es kein Blatt Papier, das zwischen uns passt hinsichtlich Ablehnung Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Rechtsradikalismus. Aber" - schließt Voß in einem Interview mit dem Nürnberger Radio Z demagogisch an - "den bewaffneten Kampf propagieren angesichts rechtsradikaler Bestrebungen und Bewegungen, das können wir nicht." Er warte auf den Bescheid des Integrationsamtes wegen der Schwerbehinderung und sei notfalls bereit, vors Arbeitsgericht zu ziehen. Es ist nicht zu überhören: Er will jetzt Angelo Lucifero loswerden, auch wenn er dabei selbst Federn lässt.
Um der Ruhe und Berechenbarkeit willen ist der ver.di-Vorstand Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen dabei, auf einen bewährten Mitarbeiter zu verzichten, der unbequem ist, der manchen Fehler gemacht haben mag, was aber angesichts der existenziellen Bedrohung an Bedeutung verliert. Eher ist es so, dass an so engagierten und unkonventionellen Personen wie Angelo Lucifero Konflikte sichtbar werden, die sonst verdeckt sind. Und es ist die übliche, aber trügerische Hoffnung - so lange man das nicht Sichtbare im Dunkeln hält, bleibt es folgenlos.
(Freitag 3/200
|
|
|
|
|
|
|
|