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Zeit noch einmal zurückzuschauen.
Seit dem Frühjahr 1989 demonstrierte eine kleine Gruppe von Menschen vor der Nikolaikirche in Leipzig für eine andere DDR. Ihr Motto war: Wir bleiben hier.
Diese Gruppe vergrößerte sich immer mehr. Ungarn öffnete seine Grenze nach Österreich und viele Menschen flüchteten über Ungarn nach Westdeutschland. Näher war es, in die bundesdeutsche Botschaft nach Prag zu fliehen.
Wovor flohen die Menschen? Sie wollten nach ihren Aussagen nicht mehr in einem kommunistischen Regime leben, was es in der DDR gar nicht gab - das es bisher nirgendwo auf der Welt gab und gibt. Die, die ich kannte, die nach Prag in die Botschaft gingen, denen ging es gut. Die hatten einen guten Job, kamen mit ihrem Geld zurecht, hatten ein Auto (falls das ein Maßstab für gutes Leben sein sollte). Sie wollten aber unbedingt westdeutschen Konsum. Und ja, es war zeitaufwändig in der DDR, z.B. seine Wohnung einrichten zu können. Sei es die Möbel, die Gläser, dies oder jenes einkaufen zu müssen. Man musste immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Ja, es war nervig. In den Geschäften wurde man unfreundlich behandelt, Service war ein Fremdwort. Was ist dagegen ein sicherer Arbeitsplatz, kostenlose Weiterbildung, eine Studiumdelegierung zum kostenlosen Studium vom Betrieb bezahlt, genügend Kindergartenplätze, die auch bezahlbar waren, eine gute Bildung, billige Volkshochschulstunden, bezahlbare Kultur gegen einen Volkwagen oder billige Schokolade? An jeden Tag im Jahr Tomaten? Und Bananen? Damit konnten die ideelen Werte nicht mithalten.
Und ja, die DDR hatte viele nervige Seiten. Sie nervte u.a. auch mit ihren ständigen politischen Schulungen, wo auch immer die angesiedelt waren. Sie nervte wie jede Handy-App-Werbung. Erstere wie letztere rufen bei mir die gleichen Aversionen hervor.
Aber mal davon abgesehen. Als sich die großen Demos in Leipzig formierten, diesmal unter dem Motto Wir sind das Volk, bahnte sich eine Revolution an. Die große Mehrzahl wollte den Sozialismus weiterentwickeln, mit wirklich gelebten Volkseigentum. Niemand wollte seine Miete an irgendwelche Investoren zahlen. Man wollte Mitspracherechte.
Dieser Revolutionsansatz scheiterte. Ich habe mir mal überlegt, warum er scheitern musste. Eine Revolution benötigt eine treibende Kraft und ein Programm sowie neue Ideen zur Weiterentwicklung der ökonomischen Basis. Das Neue Forum war zwar eine treibende Kraft, aber keine einheitliche. Vereine schossen wie Pilze aus den Boden. Es gab viele Ideen, erfrischende Idee, die aber nicht zusammenfanden zu einem einheitlichen Führungsdach.
Die Blockparteien LDPD, CDU, NDPD stimmten mit allem überein, weil es ihnen egal war. Sie versicherten mir, dass dieser Spuk (sinngemäß mein Wort) sowieso bald ein Ende hätte. Deren selbsternannten Schwesternparteien in der BRD hatten dort schon das Zepter übernommen.
Und dann kam der November und das Motto der Demo änderte sich wieder. Wir sind EIN Volk, hies es plötzlich. An dieser Stelle war der Revolutionsansatz gescheitert. Und mit Recht reklamieren nun heute westdeutsche Politiker die Wiedervereinigung für sich. Sie lenkten direkt oder indirekt die neuen Demonstrationen und die Restauration begann. Ihren Höhepunkt erreichte die, als die Demo zusätzlich noch das Motto bekam Kommt die DM nicht zu uns, kommen wir zu ihr. (oder so ähnlich) Der Anfang für eine Restauration war gefestigt und konnte sich entfalten. Die ersten Vorboten waren die "Glücksritter", die die DDR-Bürger über den Tisch zogen. Dann kam der Einigungsvertrag, wo die DDR-Bürger noch einmal über den Tisch gezogen worden sind. Ein System wurde uns übergestülpt, was nicht passte und z.B. die Städtischen Wohnungsbaugesellschaften haben an diesem falschen Konzept bis heute schwer zu tragen.
Wir bekamen die Freiheit. Nur was fängt man mit einer Freiheit an, die ohne das nötige Kleingeld daherkommt. Sie führte bei vielen in die Schuldknechtschaft der Banken oder in die Arbeitsknechtschaft von Unternehmern, denen das Wohl aller völlig egal ist. Sie müssen an ihren Profit denken, weil sie sonst untergehen würden. Konnten wir damit umgehen? Dazu kam, dass unsere Biographie in den Dreck getreten wurde. Mir sagte ein westdeutscher Arbeitgeber, der sich in Leipzig niedergelassen hatte, ins Gesicht: Ihre Arbeit, die Sie bisher geleistet haben, war nichts wert. Klatsche voll ins Gesicht.
Und welches Mitspracherecht bekamen wir? Eigentlich keines! Wir durften von nun an Kreuzchen aller 4 Jahre machen und Abgeordnete ins Parlament wählen, die nicht einmal uns rechenschaftspflichtig sind, sondern nur ihrem Gewissen, was durch ihr Parteibuch definiert wurde. Wir wurden aller 4 Jahre belogen und hinterher betrogen.
In den Unternehmen hieß es, stillhalten, jede Bösartigkeit hinnehmen, sonst drohte einen durch Entlassung der ökonomische Ruin. Und der angedrohte ökonomische Ruin ist ein bösartiger Lehrmeister.
Wir bekamen den Rechtsstaat, der uns gestattete, jeden vor's Gericht zu bringen und mag die Anschuldigung noch so unsinnig sein. Man kann jemand vor's Gericht bringen, weil einen die Farbe des Swimmingpools nicht gefällt, der als Sondernutzungsrecht im Garten eines Grundstückes gebaut wurde und bekommt von den Gerichten noch Recht. Mag es nun der überhängende Ast von Nachbars Garten sein, der rauchende Hausbewohner, das Smartphone mit runden Ecken, was nicht die gleichen runden Ecken wie ein anderes haben durfte - all dieser Müll kam und kommt vor die Gerichte und unsere Gerichte haben nichts Besseres zu tun, als sich mit diesem Müll abzugeben. Wir leben ja in einem Rechtsstaat.
Wir bekamen auch wieder Zwangsarbeiter unter dem Motto Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen. Und man wandte und wendet dieses Motto gnadenlos an. Unser Sozialsystem wurde völlig umgestaltet und die Leidtragenden waren und sind die arbeitenden Menschen. Heuern und Feuern entwickelte sich zum großen Hit. Löhne wurden gesenkt, die Basis von Statistiken geändert, so das immer ein rosarotes Bild von diesem Land gezeichnet werden konnte.
Upps, gab es das nicht schon zu DDR-Zeiten? Sagten uns unsere Zeitungen, unsere Regierung nicht tagtäglich, dass wir die Besten und Größten aller DDRs waren? Der einzige Unterschied war, dass wir es damals nicht glaubten. Heute schon. Heute ist das damalige NEUE DEUTSCHLAND die BILD. Viele hängen an ihren Schlagzeilen und nehmen das, was dort geschrieben steht, für bare Münze.
Die Alterspyramide wurde erfunden und eine Rentenangst geschürt. Wir benötigen viele, viele neue Arbeitskräfte, damit wir die Alten ernähren können. Ich bin der Lügen leid. Wo wären denn die dazugehörigen Arbeitsplätze? Außerdem wurde die immer höhere Arbeitsproduktivität völlig außen vor gelassen. Es wird immer so getan, als ob wir noch in Manufakturen arbeiten würden. Diese Lüge ist aber sehr erfolgreich, vor allem im Osten.
Der neueste Hit, ist die Fachkräfte-Lüge. Es mag ja sein, dass es in dieser oder jener Nische keine Leute gibt, die diese 100% ausfüllen können. Keiner kann das erwarten, dass jeder immer genau zu den Anforderungen eines Arbeitsplatzes passt. Aber sag mir niemand, dass unter den Millionen von Langzeitarbeitslosen und Teilzeitarbeitern nur dumme Leute sind und keine Fachkräfte. Der- oder diejenigen würden lügen.
Aber es wurde uns suggeriert, dass wir nun endlich nach der kommunistischen Diktatur uns verwirklichen könnten. Wir würden nicht mehr gegängelt mit geplanten Lehrstellen und Studienplätzen. Was haben wir bekommen? Kinder, die überhaupt keine Lehrstellen erhalten, geschweige denn, das lernen können, was sie so gern möchten. Ausrede: Sie wären nicht ausbildungsfähig. Also gab man den Menschen erst gar keine Chance ihr Können und ihr Enthusiasmus zu beweisen. Warum auch. Ausbildung kostet Geld und geht vom erwirtschafteten Profit ab. Und wir anderen? Studierte Leute endeten an stundenweise an Supermarktkassen. Selbstverwirklichung? Bessere Möglichkeiten als in der DDR?
Wir haben Konsum erhalten. Endlosen Konsum ... Die Werbung hämmert uns ein, dass wir konsumieren, konsumieren und konsumieren müssen. Mit anderen Worten: Wachstum, Wachstum, Wachstum. Soweit man Geld hat, gehört man dazu. Alle anderen haben halt Pecht gehabt und sind selbst dran schuld, dass sie keins haben. Waren nicht optimiert genug, haben sich nicht so positiv dargestellt, sich nicht selbst gecoucht, sind nicht dünn genug, nicht hübsch genug, sind nicht blond und blauäugig oder wie auch immer. Jeder ist seines Glückes Schmied ist das neue Motto. Als ob Frau von der Leyen eine Schmiedin gewesen wäre oder unsere Mutter der Nation.
Grenzenloses Wachstum auf einer begrenzten Erde. Das ist unsere Errungenschaft. Mach die Mode mit, kaufe heute im Landhausstil, morgen ultramodern, übermorgen (also im 3. Jahr) wieder konservativ. Heute die Sixties, morgen die Nineties und übermorgen wieder etwas anderes. Mach alles mit. Kaufe! Und viele von uns konsumieren grenzenlos. Sie lassen sich jedes Jahr ein neues Smartphone einreden, ob sie es brauchen oder nicht, aber man will ja z.B. zu den Apple-Jüngern gehören. Einkaufen wird uns leicht und leichter gemacht und wer nicht bezahlen kann, nimmt eben einen Kredit auf, bis das Kartenhaus zusammenfällt.
Viele von uns haben in den 25 Jahren gelernt, in die Schuldenfalle zu tappen. Die Dollarzeichen in den Augen waren größer als der Verstand. Geld muss arbeiten, heißt das Motto. Als ob Geld arbeiten könnte. Nur wenn Werte wirklich erarbeitet werden, Dinge hergestellt werden, nur dann entsteht etwas Neues. Geld aus Geld zu generieren ... wozu soll das gut sein? Das geht solange gut, bis alles zusammenbricht. Aber wozu sollten wir nachdenken, wenn das die Werbeindustrie für uns erledigt.
Europas Kartenhaus ist gerade zusammengefallen und man kann es nicht mehr aufbauen.
Die versprochenen blühenden Landschaften sind nur in sehr kleinem Umfang im Osten entstanden. Die Städte sind schöner geworden - ohne Zweifel. Man schaue aber bitte nicht an manche Peripherie. Dort verfallen Häuserschönheiten immer mehr. Aber was schert das dem Geldadel. Erst wenn die Gentrifizierer aufmerksam auf ein Jugendstilhaus werden und das wiederum dort steht, wo andere Jugendstilhäuser stehen, nur dann "blüht" das Stadtviertel auf. Es wird auf einmal "in" und die Bewohner dort verjagdt. Man kann die Wohnungen - luxussaniert - dann zwar nicht mehr bezahlen, aber wer will schon eingesessene Einwohner in seinen Wohnungen haben.
Was haben uns die 25 Jahre nach der Vereinigung gebracht? Ein Leben auf der Abwärtsspur. Okay, das Leben wird uns mit billiger Schokolade, jeden Tag Tomaten und fast alle Tage im Jahr Erdbeeren, immer Bananen sowie Lebensmittel mit immer mehr Zusatzstoffen versüßt. Man kann sich billig einkleiden, von Näherinnen zusammengeschustert, die von ihrem Lohn kaum oder nicht überleben können, die irgendwo in Fernost sitzen. Und das ist das, was wofür wir demonstrierten?
Kultur z.B. ist kaum bezahlbar. Unser Konzertsaal, das Gewandhaus, wird für viele, dem Haus nicht angemessene, Veranstaltungen genutzt. Varietès z.B. gastieren darin. Das Haus muss Geld verdienen. Ich würde z.B. gern mal wieder in ein Konzert gehen. Aber von dem Geld, was Karten kosten, kann ich mindestens 2 Wochen leben.
Die Krankenhäuser müssen Geld verdienen. Krankenhäuser! Ärzte müssen Geld verdienen. Ärzte! Ist es da noch verwunderlich, dass man keinem Krankenhaus und keinem Arzt mehr wirklich trauen kann? Ist die Behandlung wirklich notwendig oder bringt sie nur mehr Geld ein? Was nützt mir z.B. eine topmoderne Arztpraxis, wenn der Arzt nur noch an die Ratenzahlungen denken muss und mir deshalb irgendetwas aufschwatzen will, was eigentlich sinnlos ist, aber Geld in die Kassen bringt?
Geiz ist geil wird uns als Negativ-Motto untergeschoben. Nur, das nötige Kleingeld, um beim Biobauern z.B. kaufen zu können, wird weiten Teilen der Bevölkerung vorenthalten. Diese müssen sich dann aber jeden Tag Vorwürfe anhören, dass sie dran schuld seien, dass es eine industrielle Landwirtschaft gäbe, weil sie nur billig einkaufen wollten. So wird Ursache und Wirkung verdreht und jeder haftbar für alles gemacht, ob er die Sache nun beeinflussen kann oder nicht.
Ein Viertejahrhundert wieder Deutschland.
Deutschland als Gesamtheit hat das nicht gut getan. Wir sind die Oberlehrer von Europa geworden und sind gerade dabei es nachhaltig zu zerstören. Die Nachfahren von Brand und Kohl (mag er gewesen sein, wie er will) verschleudern das europäische Erbe aus Kleingeistigkeit, Buchhaltertum, Spießigkeit oder Unternehmerhörigkeit. Wir sind wieder wer! Europa muss Deutsch sprechen! Davon bekommen gewissen Kreise feuchte Unterhosen.
Und Ost und West? Genau genommen, sind wir keineswegs eins. Manches Mal scheint es nur so, weil viele Ostdeutsche sich assimiliert haben und ihre kulturellen Eigenarten verleugnen. Es gibt in Sachsen z.B. keinen Zwetschgenkuchen, sondern immer nur Pflaumenkuchen. Es gibt hier in Sachsen keine Zwetschgen, sondern Hauspflaumen. Es gibt hier keine Berliner, sondern Pfannkuchen. Bienenstich ist eigentlich in Sachsen etwas völlig anderes, als was jetzt als Bienenstich angeboten wird. Schweinehack ist Gehacktes und Rinderhack Geschabtes. So heißt es bei uns. Frage mal jemand beim Fleischer danach, der jetzt immer nur Metzger heißt oder eine Backwarenverkäuferin, die so jung daher kommt. Nein, wir müssen süddeutsche Begriffe verwenden. Warum machen wir das mit? Wir haben unsere Lebensmittel nicht mehr. Es gibt unsere Wurstsorten nicht mehr und die so tun, als ob, sind nur noch ein schwacher Abklatsch dessen. Es gibt nur eingeebneten Einheitsbrei. Wir sind dem westdeutschen Kapital Untertan geworden.
Freiheit?
Okay, ich kann mich ganz öffentlich über Mama Merkel lustig machen. Das ist gut so. Ich kann mich an Volksbegehren beteiligen. Na und? Interssieren tut das niemanden. Da können Tausende, Millionen irgendetwas Sinnvolles begehren. Unsere Abgeordneten haben ein dickes Fell. Es interessiert nicht! Unsere gewählten Abgeordneten haben eine Regierungsmannschaft gebildet, deren Interessen nicht mehr dem Volk dienen, sondern nur einer kleiner Schicht. Es nützt nichts, wenn alles Volk gegen etwas ist, man macht es trotzdem.
Was ist so eine Freiheit wert? Sie ist auch nur eine Diktatur, die aber versteckt daher kommt, die nicht sagt, dass sie eine Diktatur ist, die Kreuzchen machen lässt und das als Nonplusultra der Freiheit hinstellt.
Demokratie?
Soll Kreuzchenmachen Demokratie sein? Jeder der durch unser Kreuzchen an die Macht kommt, schert sich einen Dreck darum, welche Interessen er eigentlich zu vertreten hätte. Das Grundgesetz - was hartnäckig immer wieder als Verfassung tituliert wird - ist nur ein Fetzen Papier oder ein paar nichtsagende Binärcodes. Wer hält sich eigentlich noch daran, der auf es geschworen hat?
Und das sollte eine Revolution gewesen sein? 1989? Revolutionen bringen eine Gesellschaft eigentlich nach vorn. Hat sie das? Ist es nicht eher so, dass sie uns einen Rückschritt gebracht hat, vom Mitbesitzer zum Enteigneten?
Sollen wir nun darauf anstoßen? Auf unsere Enteignung? Auf unsere Zwangsarbeiterschaft? Auf unsere Lohnknechtschaft? Auf unsere Zinsknechtschaft? Und nur weil wir alles kaufen können, was wir wollen, falls wir das nötige Kleingeld dafür haben? Reicht das? Ist Kaufrausch die neue Freiheit? Ist das alles im Leben?
Okay, wer sich zu den Gewinner von was auch immer zählt, mache das. Ich nicht.
Dieser Beitrag wurde 1 mal bearbeitet, zum letzten Mal von prospero: 04.10.2015 09:03.
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