Nationalsozialismus in Thüringen
Diese Brutalität
Plötzlich sagt der Ministerpräsident: "Wir Politiker haben Angst", aber man dürfe sich ihr nicht ergeben. Was ist da nur in Weimar passiert, am 1. Mai 2015.
Die "traten auf wie die Nachfolger der SA", sagt der SPD-Politiker Carsten Schneider. "So etwas hatte ich vorher nicht erlebt, und so etwas will ich nicht noch mal erleben." Dann macht er, am Telefon, eine Pause. Er muss durchatmen. Mit "die" meint Schneider jene 40 Neonazis, die am 1. Mai 2015 eine Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Weimar überfielen.
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Die Eindringlinge: alle junge Typen, kaum einer von ihnen ist älter als 30 Jahre, manche tragen Sonnenbrille, vermummt ist niemand, einige haben Markenklamotten an. Und sie haben Transparente dabei: "Nein zum Heim" steht darauf. Oder: "Die Linke = Mauermörderpartei". Einige grölen: "DGB – Arbeiterverräter!"
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Die Neonazis fühlten sich gesellschaftlich unterstützt. "Pegida hat denen Auftrieb gegeben. Die glauben, die dürften sich das erlauben." Diese Leute hätten "vor kaum etwas mehr Angst". Schneider sagt auch: "Wenn junge Nazis sich nicht einmal mehr die Mühe machen, sich zu vermummen – wenn denen scheißegal ist, ob jemand sie auf Fotos erkennt –, dann heißt das, dass die sich sicher fühlen."
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Ramelow ist in den vergangenen Monaten immer wieder bedroht worden, fährt zeitweise im besonders gepanzerten Dienstwagen. "Ich erlebe Bedrohungen in Wellen. Mal schlimmer, mal weniger schlimm. Viele Politiker müssen das inzwischen wegstecken, aber damit will ich nichts herunterspielen", sagt Ramelow. "Mein LKA hat mir empfohlen, lieber nicht mehr so oft über dieses Thema zu sprechen, um mich nicht selbst zusätzlich zu gefährden." Post von Neonazis hat er fast täglich im Mail-Fach, auf seiner Facebook-Seite. "Diese Verrohung, diese Härte im Umgang auch mit Politikern macht mir Sorgen. Carsten Schneider hat in Weimar eine Schutzlosigkeit gespürt, die uns alle nachdenklich stimmt", sagt Ramelow. Niemanden lasse das kalt. "Viele Bürger haben Angst. Wir Politiker haben Angst. Das ist menschlich: Eine Gruppe Neonazis zu erleben, die im Stile eines SA-Sturmtrupps auftreten – das ist etwas anderes, als so etwas im Fernsehen oder im Kino zu sehen. Aber man darf sich dieser Angst nicht ergeben. Man muss die Angst bekämpfen. Die Nazis haben gewonnen, wenn die Angst gewinnt." Ramelow sagt: "In diesem Sinn – sich der Angst entgegenzustellen – muss Weimar eine Herausforderung für uns alle sein."
Carsten Schneider sagt es so ähnlich: "Wenn man sich einschüchtern lässt, versaut man sich das ganze Leben – also lassen wir uns nicht einschüchtern." Es gibt ein Video, das nach dem Neonazi-Übergriff in Weimar gedreht wurde, man kann es bei Facebook finden, es zeigt Schneider am Mikrofon. Die Nazis, "sie haben keinen Platz in Weimar, sie haben ihn nicht in Thüringen, sie haben ihn nirgendwo in Deutschland", sagt er darin. Er ist nach dem Neonazi-Überfall doch noch auf die Bühne gegangen, er hat einfach weitergemacht. |