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RE: ODYSEE EINES PREKÄREN |
Beitrag Kennung: 63873
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ODYSSEE EINES PREKÄREN Teil 11(3)
Er musste dort auch nicht allzu lange warten, bis er aufgerufen wurde. Nur einige Minuten. Dann erschien eine kleine burschikos wirkende Frau, welche in einem Tonfall, auf den jeder Feldwebel stolz gewesen wäre, seinen Namen rief. In ihrem Amtszimmer angekommen, trug er ihr sein Anliegen vor, also das der gewünschten Umzugsgenehmigung. Daraufhin gab sie ihm ein Formular, das er zu Hause ausfüllen sollte und zu einem weiteren Termine, drei Tage später irgendwann vormittags, abgeben sollte. Dann eröffnete sie ihm wiederum, dass er und seine Frau ja schon jener Leistungsabteilung eingeladen wurden und zwar in Bezug auf offene Fragen zur Trennung der beiden voneinander. Er antwortete, dass diese Einladung anscheinend noch nicht eingetroffen sei, dabei für kurze Zeit an ein Dejavu glaubend, doch dass nichtsdestotrotz seine Frau noch am selben Tage vorhatte, dieses Amt und diese Abteilung aufzusuchen, genau aus demselben Grunde, aus welchem die Einladung erfolgte, nämlich um die erforderlichen Unterlagen bezüglich der Trennung abzufragen. Soweit waren sie es beide dann auch ganz schnell zufrieden, sie waren sich einig. Der Prekäre verließ das Zimmer mit dem auszufüllenden Formular und die burschikose Frau konnte einen Besuch durch dessen Frau innerhalb der nächsten Stunden erwarten, welche somit gar einer Einladung nachkam, die noch nicht einmal angekommen war.
Wie sich zeigen sollte, musste sie nicht einmal lange auf die gewünschte Delinquentin warten. Der Prekäre selbst traf seine Frau, als er gerade dabei war, das Amt für diesen Tag endgültig zu verlassen, in der Rezeption an, als sie sich gerade für ihren Termin, in Unkenntnis der Einladung, in der Leistungsabteilung anmelden wollte. Der Prekäre beschloss, sie zu diesem Termin zu begleiten. Zum einen war sie dann nicht so alleine und zum anderen ging es ja auch sie beide etwas an. Und so wurde er Zeuge für die folgenden Auskünfte, die ihnen dann beiden gegeben wurden. Dieselbe burschikose Frau empfing beide nach wenigen Minuten und erläuterte kurz und schnell, welche Unterlagen für die Mitteilung dieser lebenspartnerschaftlichen Veränderung zu erbringen und abzugeben wären. Dies hier alles anzuführen ist müßig. Wichtig ist nur die Erwähnung eines einzigen Formulars für den weiteren Verlauf der Ereignisse. Denn wie sich später herausstellen sollte, und zwar durch ein Antwortschreiben des Geschäftsführers der Geraer ARGE auf eine vielseitige Befragung durch den Prekären, waren die Informationen und Auskünfte jenes weiblichen Feldwebels vollkommen korrekt. Und doch kam gerade durch diese Auskünfte ein Stein ins Rollen, der nun wiederum durch die Unfähigkeit einer anderen Dame, über die ich gleich ausführlicher berichten werde, denn der Prekäre ist ihr im chronologischen Ablauf der Geschehnisse an diesem Tag noch nicht und nie vorher begegnet, auch die Frau des Prekären in jenen Sumpf mit hineinzog, in dem sich der Prekäre – jetzt noch nichts davon ahnend – bereits befand, obwohl sie weder Sprecherin einer Initiative gegen Hartz IV war noch sonst unangenehm aufgefallen ist und nicht einmal selbst vorhatte, von Gera in eine andere Stadt zu ziehen oder auf sonstige Weise das Amt mit nach Arbeit riechenden Veränderungsmitteilungen zu bedenken. Auf die Frage der Frau des Prekären also, ob eine Trennungsvereinbarung, unterschrieben von beiden Ehepartnern, für das Amt ausreichen würde, antwortete die Burschikose mit einem eindeutigen „Ja.“ Und das eben war, wie sich leider erst viel später herausstellen sollte, genau die richtige Antwort gewesen. Blöd war nur, dass es dann nicht alle in diesem Amt so gesehen und wenn es nur die Folge des unbegründeten psychischen Drucks nach sich gezogen hätte, aber bei diesem alleine blieb es dann nicht. Denn die Folgen dieser korrekten Auskunft erwiesen sich schnell als nur eines der Probleme, welche auf die beiden sich trennen wollenden Eheleute im Dunkeln verborgen warteten. Aber das sollten sie beide erst drei Tage später erfahren, und das auch erst einmal nur in Ansätzen und Andeutungen, als der Prekäre sein ausgefülltes Formular für die Umzugsgenehmigung abgeben wollte.
Nichts passte der nervösen dünnen bebrillten Frau mit dem irren Blick und einem in sich verlorenem gouvernantenhaftem Erscheinungsbild, welche ihn zu diesem Zwecke in ihrem Amtszimmer empfing, in den Kram. Ihr ganzes Wesen war durch und durch von Angst gezeichnet, doch die Angst vor dem Prekären selbst konnte es kaum sein. Fast schien es, als spule sie eine Rolle herunter und nähme den ihr gegenüber sitzenden Kunden oder Delinquenten gar nicht wahr. Mit kreischender Stimme und aufgeregt zittrigen Fingern erklärte sie ihm zum einen, dass er noch viel mehr Unterlagen für die von ihm beantragte Umzugsgenehmigung beizubringen habe als nur das ausgefüllte Formular, welches er ihr überreicht hatte. Es müssten schon Mietverträge, und zwar mindestens drei, vorgelegt werden. Das könnten natürlich, so gab sie sich kulant, Mietvorverträge sein. Diese Vorverträge allerdings dürften sich nur auf eine bestimmte Stadt beziehen, im hier vorliegendem Falle der Stadt Berlin auf einen bestimmten Stadtteil, damit die ARGE in Gera ein dann eindeutig zuständiges Arbeitsamt vor Ort zuordnen kann. Auf seinen Einwand hin, dass es ja auch Mietverträge gäbe, die eine zwingende vertragliche Bindung nach sich ziehen könnten, vielleicht ja sogar deshalb, weil schon zu viele Vorverträge dieser Art gemacht worden sind, antwortete sie dem Prekären schnell: „Das ist mir egal. Ich halte mich nur an das Gesetz und Sie müssen das auch.“ Auf den nächsten Einwand des Prekären, ob denn dann im Zweifelsfall die ARGE für dreifache Unterkunftskosten aufkommen würde, entgegnete sie: „Darüber ist mir keine Regelung bekannt. Das müssten sie dann selbst tragen. Sie hätten das dann ja auch selbst zu verantworten.“ Aus irgendeinem ihm unbekanntem Grund war diese Frau in diesem Moment sichtlich den Tränen einer hilflosen Verzweiflung nahe. Fast tat sie dem Prekären sogar leid. Doch trotzdem wagte er noch einen dritten Einwand. „Wie kann ich das denn selbst verantwortet haben, wenn Sie es doch sind, die von mir verlangt, eine solche Folge zu riskieren?“ Daraufhin fegte sie schnell das Formular von seiner Seite auf ihre Seite des Schreibtisches und geiferte nahezu: „Gut, wir lassen das erst mal so. Aber ich glaube nicht, dass Sie damit durchkommen.“ Wie sich später herausstellen würde, war alles, was sie bis zu diesem Zeitpunkt sagte, falsch. Doch sie wollte, ganz wild und mit dem äußerlichen Erscheinungsbild einer in Kürze zu erwartenden heftigen psychischen Destabilisierung oder einem epileptischen Anfall oder gar Schlimmerem, noch unbedingt einen weiteren Beweis ihrer maßloser Überforderung und ihrer Besessenheit von den erwähnten beiden Triebkräften Angst und Gier abliefern. Also behauptete sie plötzlich, weiterhin genüge als Nachweis für die Trennung der Eheleute die vorliegende Vereinbarung der beiden darüber nicht. Es müsse schon notariell beglaubigt oder mindestens von einem Rechtsanwalt gegengezeichnet sein. Auch hierauf antwortete der Prekäre und zwar sagte er, dass er es unmöglich fände, Menschen zu Terminen einzubestellen, damit diese bestimmte Unterlagen ablieferten, die zu organisieren auch Zeit und Nerven kosten würden, und dann lapidar mitzuteilen, dass die vom Amt selbst erstellte Auflistung dieser Unterlagen nicht ausreichend sei, was zur Folge hätte, dass der Kunde noch mehr Zeit, Nerven und in diesem speziellen Fall sogar Geld aufwenden müsse, um den sich anscheinend über Nacht geänderten Ansprüchen zu genügen, dies wiederum immer noch auf die Gefahr hin, erneut losgeschickt zu werden, weil sich ein weiteres Mal die Ansprüche des Amtes über Nacht um ein oder zwei Unterlagen erweitert haben und somit auch Gefahr zu laufen, den Rest seines Lebens damit zu verbringen, einen Vorgang in die Bearbeitung zu bringen, den keiner scheinbar je bearbeiten wird können, weil immer irgendein Papier fehlen wird. Nicht gesagt hat er, dass ihn keiner anscheinend bearbeiten will, denn bei einer so eigenartigen Angelegenheit wie die seinige sein muß, was ihm vorher gar nicht so klar war in dieser außergewöhnlichen Dimension, weil man bei der Bearbeitung vieles falsch machen könnte vielleicht. „Und“, so fügte er seinen tatsächlich gemachten Ausführungen hinzu: „Es geht hier immerhin um Menschen und nicht nur um Papier.“ Die Augen der Amtsschimmligen brachen nach diesem Satz, ihre Stimme kippte, als sie zu einer Antwort ansetzen wollte, doch der Prekäre, nun in Rage und keine Unterbrechung mehr duldend, schickte noch eine Bemerkung hinterher. „Schicken Sie ab sofort alles, was Sie an Unterlagen benötigen, in einer Auflistung schriftlich. Mündlichen Aussagen schenken wir keinen Glauben mehr.“ Nach Luft schnappend vergaß sie wohl plötzlich ihre Rede und atmete tief durch, nachdem sie etwas Luft hatte. Unserem Prekären schien sie sogar erleichtert zu sein über diese für sie wohl überraschende Wendung, die für ihn weniger überraschend war, denn die Idee kam ihm schon bei der Diskussion über die Umzugsgenehmigung. Interessant ist bei jeder Art von Kommunikation in dieser Hinsicht immer wieder, wann aus einem „Ich“ ein „Wir“ wird. So war es auch bei diesem Gespräch. Schnell sagte sie: „Gut, so machen wir es. Haben Sie sonst noch ein Anliegen?“ Nein, das hatte er nicht und schnell verabschiedeten sich die beiden voneinander.
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