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So viel Größe hat er nicht, im Schatten seiner Hochnäsigkeit und Arroganz.
[Zeit]
Rechte Gewalt - Die unterschlagenen Toten
Der NSU-Schock hat wenig bewirkt: Mindestens 152 Menschen starben seit 1990 durch rechtsextreme Täter, doch der Staat zählt noch immer weit weniger Tote.
Was lange Zeit nur ein Verdacht war und ein Vorwurf, kann seit Ende 2011 niemand mehr leugnen: Den Sicherheitsbehörden fällt es schwer, Gewalt von rechts als solche zu erkennen. Damals flog der rechtsterroristische Nationalsozialistische Untergrund (NSU) auf, und das Bild, das sich danach entfaltete, war ungeheuerlich: 13 Jahre lang konnten Rechtsextreme mordend durch Deutschland ziehen, ohne dass der weit verzweigte Apparat von Polizei und Geheimdiensten auch nur den Schimmer einer Ahnung hatte.
Doch die zehn Opfer des NSU waren nicht die einzigen, die der Staat übersah. Die offiziellen Statistiken von Menschen, die seit der Wiedervereinigung durch rechts motivierte Gewalt zu Tode kamen, verzeichnen momentan (und inklusive der NSU-Fälle) lediglich 63 Personen. Recherchen von ZEIT ONLINE, ZEIT und Tagesspiegel aber zeigen: Die Zahl müsste viel höher liegen, wie die Sichtung Hunderter Lokalzeitungsartikel und Gerichtsurteile sowie Interviews mit Opferberatern, Anwälten und Strafverfolgern ergaben. Tatsächlich starben zwischen 1990 und 2012 deutschlandweit mindestens 152 Menschen durch Gewalt von Rechtsaußen, bei 18 weiteren Fällen liegt der Verdacht nahe. Mindestens 89 Tote also tauchen in den staatlichen Statistiken nicht auf.
* Das ist also nur möglich in einem politisch rechtslastigen Staat, in dem die staatlichen Strukturen ganz bewusst Gewalt von rechts als nicht als solche klassifizieren und nicht selbstständig verfolgen.
[Tagesspiegel]
Rassismus und Staatsvertrauen - Vom journalistischen Versagen im NSU-Komplex
Das Versagen von Journalisten, Rassismus als zentrales Motiv der NSU-Mordserie zu erkennen, hat mehrere Ursachen: Übergroßes Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden und zu wenig alltägliche Kommunikation mit Migranten gehören dazu. Eine Selbstkritik.
Chronik in Bildern: Die Spur der Neonazi-Mörder(53 Bilder)
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Im Nachhinein lassen sich fünf wesentliche Ursachen benennen für unser journalistisches Versagen, Rassismus als zentrales Motiv der Serie zu erkennen:
---> Ein übergroßes Vertrauen in Strafverfolgungsbehörden, sobald Straftaten bzw. mögliche Täter mit dem Etikett „organisierte Kriminalität“ versehen sind. Im Fall der NSU-Mordserie trafen die Zuschreibungen der Behörden auf die auch bei Journalisten vorhandenen alltäglichen Vorurteile und rassistischen Ressentiments insbesondere gegenüber türkischen Männern als einer gesellschaftlichen Gruppe, die in der Berichterstattung in den allermeisten Fällen mit Negativzuschreibungen versehen wird.
---> Eine mangelnde alltägliche Kommunikation mit türkischen MigrantInnen – als Teil einer selbstverständlichen Bandbreite von journalistischen Gesprächspartnern zu allen möglichen Themen – und nicht nur zu Islamismus und Kriminalität. Wäre diese alltägliche Kommunikation – anstelle von blinden Flecken - vorhanden gewesen, hätte die Besorgnis und die Unruhe über die Mordserie sowie Berichterstattung über die Demonstrationen nach den NSU-Morden in Kassel und Dortmund im Frühjahr 2006 die eigene Sensibilität zumindest schärfen können.
---> Ein latentes Misstrauen gegenüber dem durchaus vorhandenen eigenen Wissen und der Analyse neonazistischer Strategien und Propaganda – oder anders gesagt: Eine durch nichts außer Staatsvertrauen begründete Hoffnung, dass alle Ankündigungen zum bewaffneten Kampf, führerlosen Widerstand, neonazistischen Mordaufrufe an Schwarzen, Juden und Türken - trotz des Wissens, das wir nicht nur durch unsere Recherchen zum Todesopfer-Projekt hatten - letztendlich eben lediglich in Einzelfällen auch in die Tat umgesetzt – und ansonsten durch aufmerksame Sicherheitsbehörden verhindert würden.
---> Die unerkannten Täter: Anders als bei den hunderten von Fällen rechter Gewalt, die wir seit dem Jahr 2000 recherchiert haben, waren hier die Täter bis zur Selbstenttarnung des NSU unbekannt – und damit einer der zentralen Rechercheansätze bei der Frage nach einer möglichen rechten oder rassistischen Tatmotivation nicht vorhanden.
---> Neun der zehn NSU-Tatorte befanden sich in den alten Bundesländern: Die Angehörigen der NSU-Opfer, die schon früh Neonazis als mögliche Täter vermuteten, fanden hier keine spezialisierten Opferberatungsstellen für Betroffene rechter Gewalt vor – wie es sie seit dem Jahr 2000 in allen östlichen Bundesländern gibt. Hier hätten die Angehörigen hoffentlich offenere Ohren für ihren Verdacht gefunden als bei den Strafverfolgern – und dadurch unter Umständen auch andere Zugänge zur deutschsprachigen Öffentlichkeit. Die spezialisierten Opferberatungsstellen sind zudem auch Teil eines zivilgesellschaftlichen Frühwarnsystems, wenn es darum geht, Journalisten auf von den Strafverfolgungsbehörden vernachlässigte rechte Gewalttaten hinzuweisen. Doch dieses Frühwarnsystem existiert(e) an den NSU-Tatorten – bis auf Rostock – nicht oder nur unzureichend.
* Ich wünsche mir, dass immer mehr Journalisten dieses Landes ihrer Informationspflicht in Zukunft nachkommen.
Dieser Beitrag wurde 1 mal bearbeitet, zum letzten Mal von gastli: 22.03.2013 08:22.
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