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Wenn ich hier von Verelendung lese, versuche ich in meinem Gedächtnis zu kramen, wo ich bis jetzt in Deutschland einer richtigen Verelendung im Wortsinn begegnet bin. Ganz ehrlich? Ich bin noch keiner unverschuldeten Verelendung begegnet. Ich stimme ja zu, dass in diesem Scheissstaat eine ganze Menge nicht so laeuft, wie es in einer richtigen Demokratie eines eigentlich wohlhabenden Staates laufen sollte, aber Verelendung bedeutet fuer mich dass man nicht weiss wo man fuer den nächsten Tag etwas zu essen herkriegt und dass man kein Dach über dem Kopf hat. Diese beiden Grundbedürfnisse, erweitert auf die eigenen Kinder, gehören sichergestellt. Wenn man es selbst nicht kann, muss die Gemeinschaft dafuer sorgen. Unser Sozialsystem sorgt dafuer, dass beides - eine warme(!) Wohnung und was zu essen - jedem Erwachsenen und jedem Kind zur Verfügung steht, entweder gleich als Sach- (Wohnung) oder halt als Geldleistung. Erst wenn eins von beiden fehlt, betrachte ich jemanden als verelendet.
Nun mag jeder die Grenze, bis zu welcher jemand "im Elend" lebt, etwas höher ansetzen - es könnte z.B. ein adäquates Bildungsangebot und damit einhergehend ein Arbeitsangebot dazukommen, oder man wird befähigt an kulturellen Ereignissen oder einfach am ÖPNV teilzunehmen, und man mag auch eine "korrekte Entlohnung" für geleistete Arbeit (sprich: kein Niedriglohn) als Kriterium für eine "Ent-Elendung" betrachten - meiner Meinung nach zählt dies alles aber nicht mit zur Lebensabsicherung. Für ein gehaltvolles, halbwegs erfülltes Leben ist dies m.E. alles (und noch mehr) notwendig, ja, aber wem all dies fehlt der lebt noch lange nicht im Elend.
Weil - und das ist (für mich) der springende Punkt - ein halbwegs gesunder Mensch in der Lage ist, auch mit dem heutigen Sozialsystem (was manche als sehr unsozial betrachten), sich diese Dinge selbst zu erfüllen.
Bildung besteht nicht nur aus Schule. Wer seine Kids (und auch sich selbst) nicht für sinnvolle Beschäftigungen interessieren kann und Bücher für Relikte aus dem letzten Jahrtausend hält, brauch sich nicht wundern dass man nichts auf die Reihe kriegt. Und Bildung hört nicht nach der Schule auf, wer auch ausserhalb der Schule neugierig und wissensdurstig war ist das auch im späteren Berufsleben und hat keine Angst davor Neuland zu betreten. Diese "kannichnich, weissichnich, kennichmichnichmitaus, alsomachichsnich"-Typen mit denen ich auch beruflich viel zu tun habe kotzen mich ehrlich gesagt am meisten an.
Es ist natürlich sehr mühsam, seinen Kindern Neugierde zu vermitteln, weil man sich dazu mit ihnen beschäftigen muss, aber das wird spätestens dann wieder wettgemacht, wenn "die Kleinen" einen mit ihrer Kreativität überholen.
ÖPNV? Was kost das hier in Gera, knapp 40€/mtl. für ein Stadtticket? Viel Kohle wenn man wenig hat. Braucht man aber auch nicht. 20min lauf ich vom Kino zu mir nach Hause, quer durch die Stadt. Wer nicht laufen will, muss halt blechen. Gebrauchte Fahrräder kosten auch nicht viel mehr als so ein Monatsticket. Wer schweres Zeug nach Hause transportieren will hängt halt einen Einkaufswagen aus dem Supermarkt dran, der kostet nur 1 Euro. Und den gibts nach Gebrauch auch noch zurueck.
Kulturangebote? Gibts eine Menge gratis. Malübernmarktschlendern ist auch sowas wie Kultur. Im Sommer gibts viel Freilichtzeugs im Hofgarten, gerade auch für Kinder. Ins Theater kommt man auch schonmal für schlappe 10 Euro und kriegt hochwertiges geboten. Ich zähl auch noch den netten Grillabend mit Freunden unter Kultur, und, nunja, wenn man so will, der "Flaschentreff vorm Aldi" ist auch sowas wie "Sozialkultur". Tägliche Telefonate mit Verwand-/Bekanntschaft betrachte ich nicht als kulturelle Bereicherung, das ist für mich eine Unkultur die durch die Gesprächsflatrates eingerissen ist und Kreativität und Zeit klaut. Wenn man sich etwas wichtiges - oder auch nur mal Hallo - zu sagen hat, ist das in wenigen Minuten getan und muss auch nicht jeden Tag und überall sein. Dafür reicht ein einfacher Analoganschluß zu Hause mit Minutenabrechnung (aktuell fuer 18€ zu haben). Wer etwas mehr will, nimmt sich halt einen DSL-Anschluß für knapp 20€ und spart sich damit gleich noch Zeitung und Fernsehen. Aber ein Mobiltelefon bitteschön brauchen doch nur Leute die auch Mobil erreichbar sein müssen. Und ich kenne wirklich niemanden, der privat(!) mobil erreichbar sein muss! Das ist purer Luxus!
Das Problem Niedriglohn erschlägt sich schon fast mit dem Punkt Bildung. Fast nur deshalb, weil man natürlich immer noch seinen Arsch selber bewegen muss, und man trotz guter Voraussetzungen immer noch Steine von diversen Stellen in den Weg gelegt kriegt. Und es auch noch ein holpriger Weg vom (ausgebeuteten) Angestellten zum (ausbeutenden
) Unternehmer ist. Aber der Weg ist gangbar, und er ist um so leichter zu gehen je besser man darauf vorbereitet ist.
Und da kommen wir auch schon ("schon", haha ... er hat "schon" gesagt ... nach einer Seite Text ...) zu dem Thema dem ich eine Schlüsselrolle in unsrer Gesellschaft und unser aller Leben zuordne. Jaja, die Bildung. Viel zu oft als Wahlkampfthema und politisches Schlagwort missbraucht, was nun wohl auch den Effekt hat dass jeder meint der Staat wäre alleine oder zum grossen Teil dafür verantwortlich unseren Nachwuchs fürs Leben fitzumachen. Steckt einfach genug Geld in die Schulen, ein neckiges Schulsystem [ironie](ja, natürlich das der DDR - die Finnen habens ja auch kopiert und fahrn laut PISA nicht schlecht damit)[/ironie] noch drumrumgebastelt, und fertig ist die Intelligenz im Staat.
Na wenns nur so einfach wäre. Wenn sich Bildung nur auf die Schulen (ja, und Kindergärten ...
) beschränken würde. Nee, Bildung ist nicht nur Bildung von Intellekt, sondern auch von Charakter. Von Schlagfertigkeit. Neugier. Selbstbewusstsein. Ethik, Moral, Durchsetzungskraft, Rücksichtnahme - einfach zu denken, Zusammenhänge zu erkennen, Informationen richtig zu verarbeiten, kritisch zu hinterfragen, Erkenntnisse selbst erlangen und zu verarbeiten. Wer das kann, ist fit fuers Leben. Das packen Schulen alleine nicht, auch nicht mit noch so dollem Lehrplan. Hier muessen auch die Eltern ran, auch wenns vielleicht Mühe kostet mit dem Nachwuchs aktiv im Internet herumzusuchen und die dort erhaltenen Informationen zu erklären. Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke - da gab es ein sehr enges Geflecht zwischen Schule und den Eltern, da wurden weder die Eltern noch die Kids mit ihren Problemen alleine gelassen. Es ist definitiv schwierig einem Kind/Jugendlichen zu erklären warum ein und derselbe Fakt an einer Stelle als "gut" und auf einer anderen als "schlecht" dargestellt wird, und warum beide Seiten irgendwie recht und aber auch doch wieder nicht ganz so richtig recht haben. Es ist schwer zu vermitteln dass die knapp 350 Euro die die arbeitslose Mutti kriegt, ganz schoen knapp sind, andererseits es aber auch nichts bringen wuerde wenn die Mutti (und alle anderen natuerlich auch
) auf einmal 800 Euro kriegen wuerde (<- sorry der musste jetzt sein. Ein aktuelles Streitthema gehoert einfach mal hier her.
). Aber wenn "das Nachwuchs" es einmal raushat, dass die Welt nicht schwarz/weiss ist, es eigene Gedanken haben darf, dass es zusehn muss auch nach der Schule noch so viel wie möglich zu lernen um mit der Entwicklung der Gesellschaft Schritt halten zu können, dann kommt es auch mit seinem Leben klar und lässt sich nicht jeden Schei$$ gefallen. Dann weiss es, dass es wirklich mühsam ist sich sein Leben so zu gestalten wie man will und es nicht ausreicht nur Bewerbungen zu schreiben um seinen Traumjob zu ergattern. Dann kommt es dahinter, dass das Leben ein Geben und Nehmen ist, und dass man selten mehr kriegt als man gibt, es sei denn man ist cleverer als der andere. Dann weiss es auch, dass Handys mehr als 1 Euro kosten und Mobilfunkverträge, für den der nicht aufpasst, eine moderne Form der Sklaverei werden können. (Hurra, ich hab den Faden wieder gefunden.
)
Die ersten vier Worte sind die entscheidenden: Klärt die Leute auf. Der Zusammenhang dahinter ist nur ein etwas polemisches Fallbeispiel (aber wenigstens nicht ausgedacht, es gibt genügend in meinem Bekanntenkreis (und auch im Fernsehen
) die gerade durch Mobilfunkverträge in finanzielle Klemmen geraten). Man kann es auch mit "Zigaretten", "Alkohol", "Spielsucht" und wasweissichnochalles ersetzen. Nix davon ist erfunden, ich könnt hier Namen und Anschrift nennen. Ist mir selbst unheimlich dass ich damit offensichtlich Klischees bediene.
Und was die selbstaendigen, zumindest in meinem Bekanntenkreis aus 1. Hand, angeht: Die erfreun sich entweder ihres Einkommens oder leben heute von Hartz4 oder sind inzwischen in ordentlichen Arbeitsverhaeltnissen angestellt. Aber elendig lebt keiner von denen. Wer meint, verelendet zu sein meldet sich bitte bei mir, ich bin echt neugierig wie's dazu kommen konnte und helf auch gern aus.
Gastli's zitierter Beitrag zur Verschuldung von Selbstaendigen (Google hilft, das Ding mal zu verlinken wär ja nicht schlecht
) enthält dann auch noch den Hauptgrund, der zur angespannten situation führt: mangelhafte Kredittilgung durch unregelmaessiges Einkommen. Nun, das ist aber schon bekannt, wenn ich den Kredit aufnehme. Wer dann nicht richtig rechnet und von vornherein von falschen Tatsachen ausgeht und nichts gegen die Gegebenheiten tut (finanzielles Polster, Versicherungen übernehmen solche Ausfaelle z.B. auch), geht zu recht pleite - der ist einfach nicht gebildet genug (siehe oben) einerseits als Selbstaendiger zu arbeiten und andererseits in diesem Konsens Kredite aufzunehmen. Und mal ehrlich - Scheinselbstaendige (von denen hauptsächlich in dem Artikel die Rede ist, kommt im Zitat leider auch nicht so heraus) - brauchen auch keine Kredite um ihr Unternehmen zu finanzieren (das haben sie ja eigentlich gar nicht), sondern um sich was zu kaufen, was sie sich eigentlich nicht leisten können. Mobilfunkverträge z.B.
Und mit solchen "Finanzgenies" hab ich dann weissgott kein Mitleid. Haettense mal in der Schule besser aufgepasst.
Dieser Beitrag wurde 1 mal bearbeitet, zum letzten Mal von Lazarus: 26.12.2009 16:27.
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