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Die "NZZ" liefert einen interessanten Beitrag zum "geplanten Umsturz" in dieser unserer Bundesrepublik.
Sehr lesenswert:
Zitat:
Thema des Tages: Nach der Reichsbürger-Razzia bleibt ein fader Beigeschmack
Vor den Augen der Kameras wird Heinrich XIII. Prinz Reuss (hinten) festgenommen.
Boris Rössler / DPA
Am Tag nach einem der grössten Anti-Terror-Einsätze in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland titelt eine überregionale Zeitung: «Sicherheitskräfte vereiteln Staatsstreich». Dass ein Putsch durch sogenannte Reichsbürger unmittelbar bevorstand, behaupten freilich nicht einmal die ermittelnden Behörden.
Ganz fraglos hängen die verhafteten Personen einem wirren, verschwörungsgesättigten Weltbild an, und jeder Plan eines gewaltsamen Umsturzes muss alarmieren, muss scharfe Gegenmassnahmen hervorrufen. Dennoch bleibt ein flaues Gefühl: Wenn, wie die deutsche Innenministerin sagt, sich da der «Abgrund einer terroristischen Vereinigung» auftat – warum wurden dann die 3000 Polizisten von zahlreichen vorab informierten Journalisten live begleitet?
Auch sonst verheddert sich Nancy Faeser in Widersprüchen. Einerseits behauptet die SPD-Politikerin, es sei «vorher nichts rausgedrungen» und somit alles «gut und richtig gelaufen». Andererseits verweist sie auf die «umfangreiche Berichterstattung», die nicht sie, sondern der Generalbundesanwalt «in der Hand» habe. Das könnte bedeuten, dass aus den Reihen der Bundesanwaltschaft mit der grossen Kelle Medien vorab mitgeteilt wurde, wer wann wo verhaftet werden würde.
Faesers Einschätzung, es habe sich um einen «Einsatz unter sehr gefährlichen Bedingungen» gehandelt, passt damit nicht zusammen. Wurden Journalisten, Fotografen, Kameraleute dann wissentlich einer solchen Gefahr ausgesetzt?
Kameras, überall Kameras
Die Razzia hatte gerade in der Dunkelheit begonnen, da meldete sich bereits eine Fernsehreporterin vom Rundfunk Berlin-Brandenburg live vom Ort des Geschehens: «Hinter mir findet seit 6 Uhr morgens eine Durchsuchung statt im Wohnhaus einer ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten. Das Ganze ist Teil eines grossen Schlags gegen die Reichsbürger-Szene.» Man sah, gut beleuchtet, wie die Wohnung Birgit Malsack-Winkemanns durchsucht, wie sie selbst dann abgeführt wird.
Auch bei der Festnahme des als Rädelsführer geltenden Heinrich XIII. Prinz Reuss in Frankfurt am Main waren Kameras zugegen. Die Nachrichtenagentur Reuters sandte ein Video, die DPA schickte Bilder, der Gehsteig war gut gefüllt mit Journalisten. Ein Filmteam von Spiegel TV durfte derweil vorm Reussschen Schloss «Waidmannsheil» in Thüringen beobachten, wie die GSG 9 nach Waffen suchte.
Bereits um 7 Uhr 30 gab es von NDR, WDR und «Süddeutscher Zeitung» einen auf Detailkenntnissen fussenden Bericht zur «BKA-Razzia wegen möglicher Umsturzpläne». Zeitgleich erschien bei spiegel.de eine analysierende Darstellung der «rechtsextremen Terrororganisation», an der sechs Journalisten mitgeschrieben hatten. Die Bundesanwaltschaft selbst meldete sich erst kurz nach 8 Uhr mit einer Pressemitteilung zu Wort. Zwei Stunden später schaltete die «Zeit» einen aufwendig vorbereiteten Hintergrundartikel frei, verfasst von drei Autoren.
Damit bewahrheitete sich, was einen Tag vor der Razzia der Leiter jener RBB-Redaktion geunkt hatte, die dann der Verhaftung Malsack-Winkemanns beiwohnte: Es werde morgen «viele ‹Exklusiv›-Meldungen geben». Die linke Bundestagsabgeordnete Martina Renner erklärte, «mehreren Medien» seien seit zwei Wochen «die Namen der Beschuldigten bekannt, ihre Adresse und der geplante Zeitpunkt des Zugriffs».
Die Unschuldsvermutung ist keine Lappalie
Auch in dieser Hinsicht wurde Geschichte geschrieben: Noch nie dürfte ein «sehr gefährlicher» Anti-Terror-Einsatz medial derart breit orchestriert gewesen sein. Er wurde zum Live-Event. Ganz offensichtlich kam es den ermittelnden Behörden ebenso wie den begleitenden Medien auf starke Bilder und deren volkspädagogische Wirkung an.
Wer öffentlich abgeführt wird, ist erst einmal aus der Gesellschaft verstossen. In einem liberalen Rechtsstaat, der nicht zuletzt auf der Unschuldsvermutung basiert, ist eine solche Vorverurteilung keine Lappalie. Der ehemalige Chef der Deutschen Post Klaus Zumwinkel, der 2008 wegen einer Steuerstrafsache vor laufenden Kameras abgeführt wurde, weiss davon ein Lied zu singen.
So wichtig es also ist, bei sämtlichen «Verfassungsfeinden der Demokratie» (Faeser) auf der Hut zu sein, so wenig gewinnt der Rechtsstaat, wenn er den Eindruck vermittelt, ihm sei die grosse Show wichtiger als der hierdurch aufs Spiel gesetzte Fahndungserfolg. Ein fader Beigeschmack bleibt, der zwiespältige Eindruck, hier wollten die Sicherheitsbehörden vor aller Welt einmal ordentlich mit jenen Muskeln spielen, die bei anderen Bedrohungen weit weniger energisch eingesetzt werden.
Zitat Ende.
Dieser Beitrag wurde 1 mal bearbeitet, zum letzten Mal von Archivar: 09.12.2022 16:28.
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