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31. Antifaschistischer & Antirassistischer Ratschlag Thüringen
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agr
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FT-Nutzer
62 geschriebene Beiträge
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Wohnort: Gera
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03.11.2022 ~ 16:04 Uhr ~ agr schreibt:
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im Forum Thüringen seit: 19.01.2022
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31. Antifaschistischer & Antirassistischer Ratschlag Thüringen |
Beitrag Kennung: 1089813
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Der Ratschlag findet vom 04.11. bis 05.11.2022 in der Häselburg, Burgstraße 12, 07545 Gera statt!
Am 9. November wird in jedem Jahr den Opfern der Novemberpogrome gedacht. Ihren Schwerpunkt hatten diese am 9. November 1938, an dem Deutsche landesweit Synagogen und andere jüdische Einrichtungen anzündeten, Friedhöfe verwüsteten und Hunderte Jüdinnen und Juden ermordeten. Nach den Ausschreitungen wurden etwa 30.000 Jüdinnen und Juden verhaftet und in die Konzentrationslager gezwungen. Auch im heutigen Thüringen wurden Synagogen und andere jüdische Räume zerstört – z. B. in Arnstadt, Eisenach und Gera. Ein Drittel der Verhafteten wurde in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht.
Der antifaschistische und antirassistische Ratschlag findet seit Anfang der 1990er-Jahre rund um den 9. November an wechselnden Orten in Thüringen statt. Auf dem Ratschlag kommen, in Erinnerung an die Novemberpogrome und im Wissen um den mörderischen Gehalt des deutschen Nationalsozialismus, Antifaschist*innen und Antirassist*innen verschiedener Spektren zusammen, um die Lage in Thüringen zu diskutieren, Aktive zu vernetzen und ihren Teil zur Bekämpfung all dessen zu leisten, das in der Tradition der Täter*innen von 1938 steht. Dieses Jahr findet der Ratschlag am 4.und 5. November in Gera statt.
Thüringer Verhältnisse
Dass Thüringen Antifaschismus und Antirassismus nötig hat, braucht kaum einer Erläuterung. Man muss nur auf die Wahlergebnisse einer Thüringer AfD unter Björn Höcke schauen, an den ‚NSU‘ denken und an die Rolle, die der Thüringer Verfassungsschutz bei seiner Entstehung im ‚Thüringer Heimatschutz‘ gespielt hat, an oder das anhaltend hohe Niveau rassistischer Angriffe. Gegen die Täter*innen wird häufig nur einseitig ermittelt, ohne eine politische Dimension der Tat einzubeziehen. Strafverfahren werden verschleppt oder eingestellt, kommt es doch zu juristischen Verfahren gegen Faschist*innen und Neonazis wird eine politische Tatmotivation auch hier nur selten anerkannt und häufig nur mild geurteilt. Dies belegt u. a. das jüngste Urteil in dem ersten Verfahren gegen die Täter, die am 18. Juli 2020 junge Menschen am Erfurter Hirschgarten brutal attackierten und auf z. T. bewusstlose Menschen eintraten. Alle Angeklagten, denen Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung zur Last gelegt wurde, wurden vom Jugendschöffengericht lediglich verwarnt und mit geringen Auflagen wie einem Online-Anti-Gewalt-Training belangt.
Ähnliche Urteile finden sich in den vergangenen Jahren immer wieder. Als im vergangenen Jahr der Ballstädt-Prozess zu Ende ging, wurden die organisierten Neonazis lediglich mit Bewährungsstrafen abgestraft. Diese Inkonsequenz der Strafverfolgung führt zu einem gestärkten Selbstbewusstsein und Auftreten der Faschist*innen. Gerade noch steht ein Teil der damaligen Täter*innen als Mitglieder des Thüringer Neonazi-Netzwerks Turonen u. a. wegen Drogenhandel, Zwangsprostitution und Erpressung erneut vor Gericht.
Gleichzeitig ist in Thüringen eine stetige gesellschaftliche Normalisierung von rechten Einstellungen erkennbar. Den Umfragen des Thüringen Monitors zufolge stimmen beispielsweise 42 Prozent der Thüringer*innen der rassistischen Idee zu, Deutschland sei „in gefährlichem Maß überfremdet“. Die AfD und andere Faschist*innen greifen diese Spaltung zwischen Realität und Wahrnehmung auf und beschwören eine Verteidigungshaltung, in der das „normale“ Thüringen von finsteren Mächten bedroht wird.
Besonders deutlich wurde in den letzten Jahren der Zusammenhang von vermeintlicher Verteidigung, Verschwörungserzählungen und Antisemitismus auf den „Querdenken“-Demonstrationen gegen die Hygieneschutzmaßnahmen in der Coronapandemie. Altbekannte Faschist*innen und Neonazis waren von Anfang an auf diesen Demonstrationen vertreten. Durch eine fehlende Distanzierung der vermeintlich unpolitischen Maßnahmengegner*innen konnten sie in vielen Thüringer Ortschaften Führungsaufgaben in der Mobilisierung und Organisation der Proteste übernehmen.
Diese rechte Mobilisierung hält nach wie vor an und nimmt auch die Fragen der existenziellen Lebenserhaltung auf. Eine steigende Inflation, die sich insbesondere durch steigende Energie- und Lebensmittelpreise bemerkbar macht, fehlender Inflationsausgleich und Druck auf die Arbeitnehmer*innen in Mangelsektoren mit zum Teil unhaltbaren Arbeitsbedingungen erhöhen für viele die Plausibilität rechter Argumentationen. Zugleich propagieren Bundes- und Landesregierungen einen nationalen Zusammenhalt. Passend dazu lautet das Motto der zentralen Feierlichkeiten zum 3. Oktober, die in diesem Jahr in Erfurt stattfinden: „Zusammen wachsen um zusammenzuwachsen“. Doch Antifaschist*innen und Antirassist*innen gehen dem nationalen Kitt nicht auf den Leim. Während andere deutsche Politik für deutsche Interessen fordern, ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine für Unternehmen ein willkommener Anlass, die Preise in die Höhe zu treiben.
Warum Gera?
Gera ist seit den frühen 90er-Jahren eine Hochburg der Faschist*innen. Neonazis, Rassist*innen, Antisemit*innen, Verschwörungserzähler*innen und Reichsbürger*innen sind in Gera seit nunmehr über 30 Jahren aktiv. Viel zu unerheblich war und bleibt bis heute der zivilgesellschaftliche antifaschistische Widerspruch.
In den 90er-Jahren war die Kameradschaft Gera eine der aktivsten innerhalb des 'Thüringer Heimatschutzes'. Gegen führende Geraer Kameradschaftler sowie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurde Mitte der 90er in einem groß angelegten Verfahren der Geraer Staatsanwaltschaft ermittelt. Der Vorwurf damals: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Einer der verdächtigen Geraer war später lange Jahre der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Gera und saß für zumindest zwei Legislaturen im Geraer Stadtrat. Das Verfahren wurde, wie so viele Verfahren gegen organisierte Nazikader, ergebnislos eingestellt.
Im selben Zeitraum zum Ende der 90er-Jahre gab es in Gera und in Thüringen eine höchst aktive 'Blood & Honour' Struktur. Ein militantes Nazinetzwerk zur Organisation von Konzerten, dem Schutz derselben und zur Produktion und zum Vertrieb vom Nazisound der Baseballschlägerjahre. Auch diese Nazistruktur war durchsetzt mit Spitzeln der sogenannten Verfassungsschutzorgane. Der Leiter der Thüringer Sektion und gleichzeitig bundesweiter Kassenwart war ein Geraer. Auf 'Blood & Honour' Konzerten sammelte er Geld für das untergetauchte Kerntrio des NSU. 2001 wurde er als Spitzel enttarnt.
Die Jugendorganisation von 'Blood & Honour', 'White Youth', wurde von Geraer Nazis gegründet. Diese finden sich wieder auf der Kontaktliste von Böhnhardt und Mundlos, die nach dem Untertauchen der Terroristen in ihrem Sprengstofflabor gefunden wird. Vom Geraer Gründer und Anführer von 'White Youth' existieren Fotos in enger Umarmung mit Beate Zschäpe. Man kennt, schätzt und verlässt sich aufeinander. Viele der damals Beteiligten, wie auch die hier beschriebenen Männer, leben nach wie vor völlig unbehelligt in Gera. Es gibt sehr deutliche Hinweise, dass sie ihrer menschenverachtenden Ideologie nie abgeschworen oder sich von ihren Kamerad*innen abgewandt haben. Auch der im NSU-Prozess angeklagte Unterstützer André Emminger hat deutliche Bezüge zu Musiker*innen und Produzent*innen rechter Musik aus Gera. Heute sammelt der örtliche Motorradclub 'Stahlpakt MC Gera' Geld für ihn.
Etliche rechte Bands aus Gera wie 'Oithanasie', 'Legion Ost', 'Eugenik' und 'Totenburg' haben ihre Wurzeln in dieser Zeit tief im Geraer Nazimilieu. Nach dem Verbot von 'Blood & Honour' wurden Sampler mit Nazibands zur Unterstützung der Untergrundtätigkeit, mutmaßlich durch Geraer Neonazis, hier produziert und vertrieben. Der Geraer Thüringer Sektionschef und bundesweite Kassenwart klagte erfolglos gegen dieses Verbot. In den folgenden Jahren gelang es dem Kreisverband der NPD Gera, unter dem eingangs erwähnten Kreisvorsitzenden, eben jene militanten Kameradschaftsstrukturen aufzufangen und in legale Strukturen zu überführen. Aus dieser Kooperation geht in den 2000 Jahren das jährliche NPD Open Air 'Rock für Deutschland' hervor. Unter dem legalen Deckmantel der Parteitätigkeit entfalten dieselben Nazikader und rechten Musiker rege Kundgebungs- und Demonstrationstätigkeit. Aber eben auch jene musikalischen Aktivitäten, wie das 'Rock für Deutschland' gelingen aus dieser Vernetzung militanter Nazis und legaler NPD Parteistrukturen. In welcher Tradition sich diese 2012 noch immer begriffen, wird deutlich als in jenem Jahr ein altes Banner mit der Losung des 'Thüringer Heimatschutzes' die Bühne des 'Rock für Deutschland' zierte.
Die Musiker*innen und Produzenten*innen rechter Musik, vor allem um die Geraer Bands 'Eugenik' und 'Totenburg', sind bis heute mit Labels, Versänden, ihren Bands und Studios in Gera aktiv. Mittlerweile besetzen sie zwar eher die Nische des nationalsozialistischen Black Metals sind dabei aber höchst erfolgreich und europaweit vernetzt.
2015 / 2016 vernetzen sich unter anderem auch eben jene Kader erneut, um ihrem Rassismus freien Lauf zu lassen. 'Thügida' heißt die Plattform, gegründet vom Greizer Nazi David Köckert. Auch er entstammt dem 90er-Jahre 'Blood & Honour' Umfeld. Hier kanalisiert sich der Rassismus auf der Straße und der Otto-Normalbürger schließt sich auch in Gera begeistert an. 'Thügida' und 'Wir lieben Gera' mobilisieren in dieser Zeit mehrere Tausend Menschen in Gera, darunter auch der heutige Geraer Stadtratsvorsitzende. Die Geschäftsstelle des Geraer Kreisverbandes der AfD beschäftigt seit geraumer Zeit einen Mann, der militanten Kameradschaftsstrukturen entstammt und später Mandatsträger der NPD im Geraer Stadtrat war.
Heute organisieren Geraer AfD-Mandatsträger*innen aus Bund, Land und Kommunen zusammen mit Neonazis aus den 90er-Jahren und selbst ernannten 'Spaziergängern' oder 'Querdenkern' sogenannte Montagsdemonstrationen. Dies tun Sie leider höchst erfolgreich und so ist Gera mittlerweile eine Hochburg der 'Querdenken'-Proteste. Zeitweise ging in Gera eine mittlere vierstellige Zahl von Personen regelmäßig auf die Straße. Nach dem ersten Abflauen der Proteste im Frühsommer 2020 waren es regionale Neonazis in Zusammenarbeit mit kommunalen AfD-Politiker*innen, welche die Proteste am Laufen hielten. Sie testeten Organisationsansätze, Mobilisierungsstrukturen und unterschiedliche Protestformen und das mit Erfolg. Denn zum Jahreswechsel 2021/22 explodierten die Zahlen der Teilnehmer*innen. Das Geraer Publikum stört sich daran nicht. Im Gegenteil, sie applaudieren Rassismus, antisemitischen Verschwörungserzählungen und der Entmenschlichung des politischen Gegners. Diese Verbreitung von menschenverachtenden Ideologien innerhalb der sogenannten bürgerlichen Mitte zeigt sich hier am Beispiel der Spaziergänge besonders gut. Mittlerweile spielt der ehemalige Aufhänger Corona kaum noch eine Rolle. Es wird gegen links-grünen Faschismus demonstriert, für den russischen Angriffskrieg auf die Straße gegangen oder gegen die Thüringer Landesregierung gehetzt. Antifaschistischen Protest dagegen gibt es auch in Gera, auch wenn nur wenige Menschen daran teilnehmen und immer wieder von den Aufzügen der Faschist*innen angegriffen werden. Auch Journalist*innen, welche dies dokumentieren, sind immer wieder Attacken von Neonazis ausgesetzt. Ein Grund, um hier mit dem Ratschlag zu intervenieren, solidarische Bündnisse vor Ort zu stärken und antifaschistische Strukturen zu unterstützen.
Wenn nicht gerade auf Demonstrationen organisieren sich militante Neonazis in Gera unter dem Label der Neuen Stärke, die aus rechtlichen Gründen als Partei firmiert. Einer der Bundesvorsitzenden dieser Partei ist ein seit Jahren gut bekannter Geraer Nazikader. Sinnbildlich für die Kontinuitäten nicht nur in dieser Stadt. Die 'Neue Stärke', auch in anderen Thüringer Städten aktiv, ist aus den regionalen Resten einer anderen nationalsozialistischen Kleinstpartei ('Dritter Weg') hervorgegangen. Noch spielt sie eher eine untergeordnete Rolle, gebärdet sich aber umso militanter mit kaum verhohlenen NS-Bezügen. Erwähnenswert ist hierbei, wie erfolgreich antifaschistische Interventionen mit überregionalen Bündnissen im Bezug auf Veranstaltungen der Neuen Stärke in Gera waren. Durch groß angelegten Protest konnten Kundgebungen der Nazis kaum Wirkung in Gera erzielen.
Die stärkste Partei bei der Bundestagswahl war im Wahlkreis, in dem Gera liegt, dazu passend die AfD, die auch im Geraer Stadtrat mit einem knappen Drittel der Sitze die mit Abstand größte Fraktion stellt. Wenig verblüffend also, dass in einer Studie der Hochschule Gera-Eisenach 88 Prozent der in Gera lebenden syrischen und irakischen Migrant*innen von rassistischen Erfahrungen berichten und die Hälfte solcher Anfeindungen oft oder nahezu täglich erlebt. In dieser Aufzählung darf aber nicht untergehen, dass Gera keineswegs die Ausnahme in Thüringen ist und Antifaschismus und Antirassismus diesen Verhältnissen gegenüber überall in Thüringen aus einer Position der Defensive heraus agiert.
Kontroverse Diskussionen als Grundlage verlässlicher Solidarität
Wir können und sollten uns also nicht auf populistische Slogans wie „Wir sind mehr“ verlassen, sondern müssen unsere Handlungsfähigkeit aus dieser Defensive heraus organisieren; das war einer der Gründungsgedanken des antifaschistischen und antirassistischen Ratschlags und gilt auch für Gera. Die Aktiven, die sich gegen Rechts stellen, kommen aus den Gewerkschaften, aus Antifa-Gruppen, aus zivilgesellschaftlichen Bürger*innenbündnissen, Parteien oder kirchlichen Kontexten. Ihre Solidarität miteinander und ihre Zusammenarbeit ist nicht selbstverständlich und bedarf einer andauernden, auch kontroversen Verständigung, zu welcher der Ratschlag seit über 30 Jahren beiträgt.
Ein zugleich vereinendes und trennendes Moment dieser Verständigung ist die Frage des Verhältnisses zwischen Rassismus und Faschismus einerseits und den wirtschaftlichen Verhältnissen andererseits. Der antifaschistische und antirassistische Ratschlag wurde von Gewerkschafter*innen begründet, sodass ihn diese Frage seit seinem Beginn begleitet. Dennoch wird auf dem Ratschlag immer wieder darum gestritten, ob es vor allem der fehlende soziale Ausgleich ist, der die Spaltungen in dieser Gesellschaft verschärft und so den Nährboden für reaktionäre Positionen und Ideologien bereitet, oder ob die kapitalistische Wirtschaft, die in ihrer Grundstruktur die Menschen in Konkurrenz zueinander setzt und sie füreinander gleichgültig macht, die Wurzel des Faschismus sei.
Eng verknüpft mit dieser Frage ist ein zweites Themenfeld der Verständigung, das den Ratschlag begleitet: Rassismus in Thüringen sind nicht nur AfD und Nazi-Schläger*innen, alltägliche Diskriminierungen und körperliche Angriffe, sondern auch Ausländerrecht und Abschiebungen. Entsprechend wird auf dem Ratschlag Antirassismus auch im Bezug auf den Staat diskutiert, als Kampf für eine menschlichere Einwanderungspolitik oder als fundamentale Kritik an Grenzen und der Illegalisierung von Menschen überhaupt. Währenddessen unterscheiden sowohl der Staat als auch Faschist*innen zwischen angeblich legitimen und illegitimen Fluchtgründen, um Menschen in Not und Hunger zu schicken, die hier ein besseres Leben haben könnten.
Diese Diskussionen offen und kontrovers zu führen, ist immer wieder wichtig, weil die spektrenübergreifende Solidarität eben nicht selbstverständlich ist. Sie ist aber in Städten wie Gera und Regionen wie Thüringen notwendig, und der Ratschlag lebt von ihr. Das beinhaltet auch Versuchen der Delegitimierung und Kriminalisierung emanzipatorischen Denkens und Handelns entgegenzuwirken.
Delegitimierung und Kriminalisierung von Antifaschismus
Ein Instrument dieser Delegitimierung ist der Extremismusbegriff und die damit legitimierte Praxis von Deradikalisierung und Extremismusprävention. Dem Konzept liegt der Glaube zugrunde, die Gesellschaft lasse sich in eine Mitte und ihre links und rechts zu verortenden politischen extremen Rändern einteilen. Damit werden linke, emanzipatorische Bestrebungen mit der menschenverachtenden Ideologie und Praxis von Nazis gleichgesetzt. Entsprechend sollen Bildung, Beratung und Vernetzung gegen Rechts mittels Fördermittellogik und Steuerrecht (Entzug der Gemeinnützigkeit) so enggeführt werden, dass das Ziel ist, dann nicht mehr eine Erweiterung von Handlungsfähigkeit und das Zurückdrängen von Ideologien der Ungleichheit ist, sondern die Zustimmung zu den aktuell herrschenden Formen von Mitbestimmung, anders gesagt: Strammstehen für die Demokratie. Dass dabei die Gewaltförmigkeit von Staat sowie die Verbreitung menschenverachtender Einstellung innerhalb der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft ausgeblendet werden, ist gewollt. Ebenso werden etablierte Akteure im Feld genötigt, sich von radikaleren Bestrebungen und Gruppen zu distanzieren, was auf eine Schwächung des Engagements gegen Rechts hinausläuft.
Aus diesem Interesse heraus lässt sich auch die Gründung eines Thüringer Untersuchungsausschusses gegen "politisch motivierte Gewaltkriminalität" – initiiert von der CDU – bewerten. In der Beschreibung dessen, worüber der Untersuchungsausschuss aufklären soll, verschwimmt nicht einfach die Differenzierung zwischen den sogenannten politischen Extremen. Die Doktrin des Extremismus wird zur Dämonisierung von links herangezogen: Mehrfach ist von den Gefahren des "Linksextremismus", gar "-terrorismus" die Rede. Nirgends von "Rechtsextremismus" und von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt nur da, wo infrage gestellt wird, dass es dahingehend eine große Dunkelziffer in Thüringen gäbe.
Diese Einschätzung scheint im Widerspruch dazu zu stehen, dass mit dem Auffliegen des "NSU" und dem Offenbarwerden der Verstrickungen des Verfassungsschutzes in die Mordserie deutlich geworden ist, dass mörderische Gewalt von Neonazis und staatlichen Behörden ausgeht – etwas, das sich auch außerhalb Thüringens und nicht zuletzt an den Grenzen der EU immer wieder bestätigt. Tatsächlich beschreibt es treffend das politische Klima, in dem wir uns befinden.
Auch die Repression gegen Linke, die im Antifa Ost-Verfahren ihren aktuellen Höhepunkt findet, ist Ausdruck dessen. Seit September 2021 sind Antifaschist*innen vor dem Oberlandesgericht Dresden von der Bundesanwaltschaft angeklagt, denen die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird. Diese Vereinigung soll gezielt Angriffe auf Neonazis in Sachsen und Thüringen verübt haben. Durch das Verfahren und die Ermittlung, mit dem an den Angeklagten ein Exempel statuiert werden soll, wird offensives Vorgehen gegen Nazis zunehmend kriminalisiert und delegitimiert. Der Ausgang des Prozesses wird vermutlich neue Maßstäbe der Strafverfolgung gegen Antifaschist*innen setzen. Am Landgericht Gera ist ein Verfahren gegen mindestens drei Beschuldigte desgleichen §129-Verfahrens anhängig.
Was sich an den Ereignissen des Verfahrens außerdem zeigt, ist, dass der viel beschworene Solidarität auch Grenzen innerhalb der eigenen Strukturen gesetzt sind. In einem Outcall gegen einen derer, die (ehemals) dem Kreis der Beschuldigten zuzuordnen waren, wurde dessen sexuelle Gewalttätigkeit offengelegt. Vormals sollte dieser Täter nach Abschluss der Verhandlung in Dresden, in Gera vor Gericht stehen gemeinsam mit drei weiteren Beschuldigten. Ein Deal mit den Ermittlungsbehörden und der Eintritt in ein Zeugenschutzprogramm wird dies obsolet werden lassen. Das politisch geführte Verfahren gegen konsequenten Antifaschismus soll dennoch solidarisch begleitet werden. Die Gemengelage aus Täterschaft und einem ermöglichenden schützenden Umfeld ist eine enorme Herausforderung für die Antirepressionsarbeit.
Die Vielzahl von Outcalls durch Betroffene sexualisierter Gewalt der letzten Jahre aus Thüringen und anderen Bundesländern, in denen sexistisches Verhalten und sexualisierte Gewalt von Männern aus der linken Szene, Parteien und Gewerkschaften sichtbar gemacht wurden, haben die enormen Herausforderungen deutlich gemacht. Mit denen wir uns auch auf dem Ratschlag immer wieder kritisch auseinandersetzen und ihnen wir praktisch – z.B. durch Aufbau einer Awarenessstruktur und Ausschluss von Tätern – begegnen müssen. Allerdings darf diese Beschäftigung nicht auf den Ratschlag begrenzt werden. Patriarchales und sexistisches Verhalten begegnet uns in vielen Bereichen, in denen wir organisiert sind. Der Ratschlag kann daher nur ein Startpunkt zur Auseinandersetzung für die beteiligten Organisationen sein.
Daran wird eine Schwierigkeit deutlich vor der Antifaschist*innen stehen. Wir dürfen in der Konfrontation mit den äußeren Widersprüchen wie etwa der staatlichen Repression nicht über die eigenen Widersprüche wie Sexismus und Mackertum innerhalb unserer Strukturen und Organisationen hinweg gehen, weil das scheinbar strategisch geboten erscheint. Nur dann können wir durch den Ratschlag einen Raum schaffen, in dem wir offen, kontrovers und solidarisch für eine bessere Gesellschaft streiten können, auch dann, wenn diese Utopie in weiter Ferne scheint.
Kommt am 04. und 05. November zum Ratschlag in Gera.
UnterstützerInnen
AIS Saale-Holzland-Kreis Antifaschistisch*Initiativ*Solidarisch
agst – Antifaschistische Gruppen Südthüringen
AK 40 Suhl
Alesa – Antifaschistische Linke Eisenach
Antifaschistische Aktion Gera
Antisexistischer Support Erfurt
Bildungskollektiv BiKo
Bündnis 90/Die Grünen Kreisverband Gera
Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus Weimar(BgR-Weimar)
Campus mackerfrei
das Schlechte Gewissen
Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit
Landesverband Thüringen
DGB Bezirk Hessen-Thüringen
DGB Jugend Thüringen
DGB-Bildungswerk Thüringen e.V.
Die Linke Gera
DIE LINKE Landesverband Thüringen
Dissens Erfurt
ezra - mobile Beratung für Opfer rechter, rassistscher und antisemitischer Gewalt in Thüringen
Feministische Koordination Gera
Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Thüringen
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG)
Häselburg Gera
Heinrich-Böll-Stiftung
IG-Metall Gera
Infoladen Sabotnik
Infoladen Weimar
Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland – Thüringen
Institut für Berufsbildung und Sozialmanagement (IBS) gGmbH
Jugend-und Wahlkreisbüro Haskala KatharinaKönig
Jugend- und Wahlkreisbüro RedRoXX
Jugendhaus Shalom Gera
Jusos Thüringen
Kommune Waltershausen
Landesjugendwerk der AWO
linksjugend solid
MigraNetz Thüringen e.V.
MOBIT e.V.
Naturfreunde Thüringen
Naturfreundejugend Thüringen
RomnoKher Thüringen e.V. Landesverband der Sinti & Roma
Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen
Rote Hilfe Erfurt
Rote Hilfe Südthüringen
s.P.u.K. e.V.
Seebrücke Erfurt
SJD - Die Falken KV Erfurt
SJD – Die Falken. Landesverband Thüringen
Soli Asyl
TVVN-BdA
Undogomatische Radikale Linke (URL) Jena
ver.di Thüringen
Wahlkreisbüro Diana Lehmann
Wahlkreisbüro Elisabeth Kaiser
Wahlkreisbüro Katja Engel RosaLuxx Eisenach
Wahlkreisbüro Laura Wahl
Wahlkreisbüro Madeleine Henfling
Wahlkreisbüro Martina Renner
Wahlkreisbüro Ralph Lenkert
Wahlkreisbüro Steffen Dittes
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