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Beiträge zu diesem Thema Autor Datum
 Verfassungsschutzbericht 2006 Thüringen ClaudiaPoser 10.10.2007 09:41
 RE: Verfassungsschutzbericht 2006 Thüringen ClaudiaPoser 10.10.2007 09:47
 RE: Verfassungsschutzbericht 2006 Thüringen ClaudiaPoser 10.10.2007 09:49
 RE: Verfassungsschutzbericht 2006 Thüringen ClaudiaPoser 10.10.2007 09:52

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ClaudiaPoser   ClaudiaPoser ist weiblich Zeige ClaudiaPoser auf Karte FT-Nutzer
599 geschriebene Beiträge
Wohnort: Gera



10.10.2007 ~ 09:41 Uhr ~ ClaudiaPoser schreibt:
images/avatars/avatar-515.gif im Forum Thüringen seit: 29.08.2007
3 erhaltene Danksagungen
Verfassungsschutzbericht 2006 Thüringen Beitrag Kennung: 71641
gelesener Beitrag - ID 71641


Rechtsextremismus



1. Überblick



1.1 Das rechtsextremistische Potenzial in der Bundesrepublik Deutschland



Im rechtsextremistischen Spektrum setzten sich im Berichtszeitraum die Entwicklungstendenzen fort, die seit dem Jahr 2004 zu beobachten sind. Auch 2006 stellte die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) einen Kristallisationspunkt für die 2004 unter dem Namen „Volksfront von Rechts“[1] eingeleitete Strategie dar, das rechtsextremistische Lager zu vereinen. Insbesondere der Wahlerfolg der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Partei mit sechs Abgeordneten in den Landtag einziehen konnte, führte dazu, die NPD zu stärken und die im Rahmen der „Volksfront von Rechts“ verabredete Zusammenarbeit mit großen Teilen des neonazistischen Spektrums und der „Deutschen Volksunion“ (DVU) zu festigen.



Die NPD gewann nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch in drei anderen Bundesländern, wo sie sich an Landtagswahlen beteiligte, zum Teil deutlich an Stimmen hinzu. Sie vermochte die Zahl ihrer Mitglieder von etwa 6.000 im Jahr 2005 auf ca. 7.000 im Berichtszeitraum zu steigern, da ihr infolge dieser Wahlergebnisse zahlreiche Neonazis beitraten. Die Zusammenarbeit mit der DVU wurde fortgesetzt. Deren Vorsitzender, Dr. Gerhard FREY, bekräftigte, an dem mit der NPD Anfang 2005 geschlossenen „Deutschland-Pakt“[2] festzuhalten.



Obwohl die Mitgliederzahl der DVU von ca. 9.000 im Jahr 2005 auf etwa 8.500 im Berichtszeitraum weiter zurückgegangen ist, blieb sie die größte rechtsextremistische Partei in Deutschland. Auf das rechtsextremistische Lager vermag sie – im Unterschied zur NPD – jedoch nur einen geringen Einfluss auszuüben.



Jedoch schlugen auch 2006 die Bemühungen der NPD fehl, die Partei „Die Republikaner“ (REP) in die „Volksfront von Rechts“ einzubeziehen. Sowohl der Bundesvorstand als auch die Mehrheit der Mitglieder der „Republikaner“ lehnten es im Berichtszeitraum ab, sich an einem solchen, von der NPD beherrschten Bündnis zu beteiligen. Die Anhaltspunkte, die auf rechtsextremistische Bestrebungen der „Republikaner“ hindeuten, sind im Jahr 2006 weiter zurückgegangen. Ebenso sank die Anzahl ihrer Mitglieder auf nur noch 6.000 ab.



Die Anzahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten belief sich in der Bundesrepublik im Berichtszeitraum ebenso wie im Jahr zuvor auf etwa 10.400. Diese Szene setzte sich größtenteils aus Skinheads zusammen, von denen zahlreiche rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten ausgehen. Andere subkulturelle rechtsextremistische Randbereiche haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Der Umfang der Aktivitäten ging im Vergleich mit dem Vorjahr leicht zurück. Die Zahl der rechtsextremistischen Konzerte, die bundesweit veranstaltet wurden, nahm von 193 im Jahr 2005 auf 163 im Berichtszeitraum ab; 28 von ihnen wurden aufgelöst. Weitere 31 Konzerte wurden bereits im Vorfeld verhindert.



Das bundesweite neonazistische Personenpotenzial stieg gegenüber dem Vorjahr von etwa 4.100 auf etwa 4.200 Personen leicht an. Die Szene konnte sich somit zwar zahlenmäßig behaupten. Sie stellt jedoch kaum noch eine eigenständige Kraft dar, da sich fast alle führenden Neonazis inzwischen im Rahmen der „Volksfront von Rechts“ mit der NPD verbunden haben. Viele von ihnen traten in die NPD ein, in der sie führende Funktionen übernahmen. Es gibt nur noch wenige führende Neonazis, die der NPD gegenüber kritisch eingestellt sind.



1.2 Das rechtsextremistische Potenzial in Thüringen
Grafik bitte über Link anschauen.

Die Entwicklung, die das rechtsextremistische Spektrum im Berichtszeitraum im Freistaat prägte, entsprach im Wesentlichen dem bundesweiten Trend.



Auch in Thüringen stellte die NPD die Kraft dar, die am stärksten auf das rechtsextremistische Spektrum einwirkte. Sie entfaltete abermals zahlreiche Aktivitäten, intensivierte ihre Parteiarbeit und weitete ihre Strukturen aus. Zahlreiche Personen, von denen viele den Neonazis zuzurechnen sind, traten der NPD bei. Infolgedessen stieg die Zahl ihrer Mitglieder im Vergleich mit dem Vorjahr von etwa 240 auf etwa 380 stark an.



Da 2006 zahlreiche Thüringer Neonazis in die NPD eingetreten sind, sank deren Anzahl von etwa 230 im Jahr 2005 auf nunmehr ca. 200 ab. Die Zahl der Kameradschaften, die sich wie 2005 auf vier belief, und der Cliquen blieb in etwa gleich. Auch in Thüringen hat die neonazistische Szene ihre eigenständige Bedeutung neben der NPD weitgehend eingebüßt, nachdem die NPD das Konzept einer „Volksfront von Rechts“ im Freistaat von 2004 an durchgesetzt hat. Fast alle Personen, die in Thüringen innerhalb des neonazistischen Spektrums an führender Stelle agieren, gehören inzwischen der NPD an und haben in ihr herausragende Funktionen inne oder treten für eine Zusammenarbeit mit ihr ein.



Der Landesverband der DVU blieb 2006 ebenso wie die Jahre zuvor weitgehend inaktiv. Der Organisationsgrad des Landesverbands ist gering. Die Zahl seiner Mitglieder ging von ca. 80 im Jahr 2005 auf etwa 60 im Berichtszeitraum abermals zurück. Ebenso nahm die Zahl der Mitglieder, die dem Landesverband Thüringen der „Republikaner“ angehörten, von etwa 70 im Jahr 2005 auf ca. 60 im Berichtszeitraum ab. Einige Äußerungen von Vorstandsmitgliedern des Landesverbands dieser Partei widerspiegeln fremdenfeindliche Argumentationsmuster. Der Landesverband der „Deutschen Partei“ (DP) führt nach wie vor ein politisches Schattendasein; ihm gehörten 2006 nur noch ca. 15 Mitglieder an.



Die Zahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten blieb in Thüringen mit etwa 530 Personen auf dem Stand des Vorjahrs. Hingegen ging die Zahl der rechtsextremistischen Konzerte, die 2006 im Freistaat durchgeführt wurden, von 22 im Jahr 2005 auf 12 im Berichtszeitraum zurück; sechs von ihnen konnten von der Polizei aufgelöst werden. Sechs weitere rechtsextremistische Konzerte wurden von der Polizei im Vorfeld verhindert. Die Anzahl der Konzerte konnte auch deshalb reduziert werden, weil die Thüringer Sicherheitsbehörden intensiv zusammenarbeiteten und im Vorfeld Konzerte verstärkt aufzuklären vermochten. Nach wie vor hat die Szene ein starkes Interesse daran, rechtsextremistische Konzerte zu veranstalten, was auch künftig große Anforderungen an die Sicherheitsbehörden stellen wird.



2. Ideologischer Hintergrund



Rechtsextremistisches Denken wurzelt nicht in einer fest strukturierten Ideologie. Es setzt sich aus geistigen Versatzstücken unterschiedlicher ideengeschichtlicher Herkunft zusammen, die innerhalb der jeweiligen Ausprägung des Rechtsextremismus in unterschiedlicher Form zum Ausdruck kommen. Immer wiederkehrende Grundelemente sind:



· ein überzogener, häufig aggressiver Nationalismus, der das Prinzip der Völkerverständigung missachtet,

· die Überhöhung des Staats zu einem sich aus sich selbst heraus rechtfertigenden Wert und die Überbetonung der Staatsinteressen gegenüber den Freiheitsrechten des Einzelnen (Etatismus),

· eine völkische Ideologie, die sich typischerweise zu Rassenideologie und Fremdenfeindlichkeit verdichtet, wobei dem Antisemitismus eine besondere Stellung zukommt,

· das Leugnen oder Verharmlosen der Verbrechen des Nationalsozialismus sowie das Hervorheben angeblich positiver Elemente des Dritten Reichs (Revisionismus).



Weitere Elemente stellen die Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit und eine Ideologie der Ungleichwertigkeit dar. Antipluralismus und Autoritarismus sind in unterschiedlicher ideologischer Ausdrucksweise bei allen Rechtsextremisten zu finden. Die rechtsextremistischen Parteien beispielsweise sind überwiegend auf die „Nation“ fixiert und vertreten demnach eine nationalistische Position. Neonazis hingegen orientieren sich stärker an der „Rasse“ und weisen dementsprechend eine rassistische Position auf.



Das rechtsextremistische Spektrum lehnt wesentliche Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab und kämpft gegen sie an. Insbesondere ist es gegen die Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien eingestellt.



3. Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten



Wie bereits erwähnt belief sich die Anzahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten im Berichtszeitraum bundesweit wie 2005 auf etwa 10.400 Personen. Sie setzen sich größtenteils aus Skinheads zusammen, von denen zahlreiche rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten ausgehen. In den letzten Jahren haben jedoch weitere subkulturelle rechtsextremistische Randbereiche an Bedeutung gewonnen – wie beispielsweise der so genannte NS-Black Metal (NSBM), der eine rechtsextremistische Spielart des Black Metal darstellt. Diese rechtsextremistischen Randbereiche unterscheiden sich von den Skinheads vor allem durch andere bevorzugte Musikrichtungen und Outfits. In Zukunft ist mit einer weiteren Auszweigung der Szene zu rechnen.



Überproportional hoch ist das Personenpotenzial der rechtsextremistischen subkulturellen Szene in den neuen Bundesländern, wo nur rund ein Fünftel der Bevölkerung, jedoch fast die Hälfte der gewaltbereiten Rechtsextremisten der Bundesrepublik lebt.



In Thüringen verlief die Entwicklung ebenso wie in der Bundesrepublik im Ganzen; die Anzahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten blieb im Berichtszeitraum mit ca. 530 Personen dem Vorjahr gegenüber konstant.



Im Folgenden werden die Skinheads beschrieben, die die größte rechtsextremistischen Subkultur bilden. Soweit sich in den anderen rechtsextremistischen Randbereichen die Ausdrucksformen unterscheiden, werden sie gesondert kenntlich gemacht. Die einzelnen Subkulturen sind sich einander weitgehend gleich, insbesondere hinsichtlich der Wirkung der rechtsextremistischen Musik, deren Vertrieb sowie der Organisation von Konzerten.



3.1 Entstehung der Subkultur[4] der Skinheads und deren Ideologie



Die Skinheadbewegung trat in der Bundesrepublik Deutschland erstmals Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts in Erscheinung. Schon bald richteten sich gewalttätige Aktionen von Angehörigen dieser Bewegung gegen die Feindbilder „Ausländer“ und „Linke“. Größtenteils griff die Szene rechtsextremistisches Gedankengut auf, das bald den grundlegenden Bestandteil ihres Selbstverständnisses ausmachte. Auch in einigen Großstädten der DDR entwickelten sich zu Beginn der 80er Jahre aus den Reihen jugendlicher Rowdies und Hooligans Gruppen, deren grundsätzliche Opposition zum „SED-Staat“ in der Übernahme des typischen Outfits der Skinheads zum Ausdruck kam. Diese Jugendcliquen wiesen bereits deutliche Bezüge zum Rechtsextremismus auf und machten sehr bald durch Gewalttaten auf sich aufmerksam. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands weitete sich die gesamtdeutsche Skinheadszene sprunghaft aus. Es bildete sich eine gesamtdeutsche Skinhead-Subkultur heraus, die sich mehr und mehr politisierte. Parallel hierzu stieg auch die Gewaltbereitschaft der Szene beträchtlich an.



Mittlerweile lassen Äußerlichkeiten wie Kleidung oder Haarschnitt keine eindeutigen Schlüsse mehr auf die Skinheadszene zu. Während inzwischen auch viele unpolitische Jugendliche ein für Skinheads vermeintlich typisches Äußeres angenommen haben, tragen auch Skinheads oft die Haare länger und nordisch-germanischen Schmuck. Auch bekleiden sie sich mit zum Teil hochwertiger Markenware und mit Turnschuhen. Das früher häufig anzutreffende szenetypische Outfit, das von kahlrasierten Köpfen („Glatzen“), Springerstiefeln (oft auch schweren, manchmal mit Stahlkappen versehenen Arbeitsschuhen) und Bomberjacken gekennzeichnet war, gehört zum Teil der Vergangenheit an. Stattdessen werden von der Szene, soweit es um das äußere Erscheinungsbild geht, Stilelemente des jugendlichen Mainstreams übernommen. Anhänger des so genannten NSBM tragen oft lange schwarze Haare, dunkle Kleidung oder schminken sich schwarz.



In der Ideologie rechtsextremistischer Skinheads herrschen auf das Gedankengut der Nationalsozialisten ausgerichtete Ansichten vor, unter denen nationalistische, rassistische und antisemitische Vorurteile am stärksten vertreten sind; zumeist haben Skinheads jedoch keine fest gefügte Weltanschauung. Ihre Einstellung kommt in der Verachtung von Ausländern, Juden, Andersdenkenden oder so genannten Undeutschen, zu denen z.B. Obdachlose und Homosexuelle gezählt werden, zum Ausdruck. Ein hoher Alkoholkonsum und die Gruppendynamik setzen auf Seiten der Skinheads die Hemmschwelle für die Anwendung von Gewalt deutlich herab und lösen häufig spontane gewalttätige Übergriffe aus. Daher sind rechtsextremistische Skinheads in der Regel als gewaltbereit einzustufen.



Das Schlagwort „White Power“ symbolisiert die rassistische Einstellung der rechtsextremistischen Skinheads. Sie sehen sich als Krieger der „weißen Rasse“ an, was die „14 words“ – eine Art „Kampfruf“ – ausdrücken sollen.[5] Oft verwenden Skinheads auch nur Insidern bekannte Codes, wie beispielsweise Zahlen an Stelle von Buchstaben. So ist der Gruß „88“ in der Szene weit verbreitet.[6]



3.2 Strömungen und Strukturen der Skinheadszene



Innerhalb der Skinheadszene bildeten sich verschiedene Strömungen heraus. Neben rechtsextremistischen Skinheads – wie z.B. den „White-Power-Skins“ – gibt es auch überwiegend unpolitische sowie politisch linksorientierte Skinheads, zu denen „Red“- oder „Sharp“-Skins[7] rechnen.



Obwohl die Skinheadszene tendenziell organisationsfeindlich eingestellt ist, bestehen bzw. bestanden in Deutschland einige Organisationen, die sich meist als Eliteorganisationen verstehen. Zu ihnen gehören beispielsweise die „Hammerskins“ sowie „Blood & Honour“ („B & H“). Beide Organisationen haben einen politisch-weltanschaulichen Anspruch und agieren international.



Außer in den nachfolgend aufgeführten Organisationen finden sich Skinheads vor allem in Cliquen zusammen, denen es jedoch meist an ausgeprägten Strukturen mangelt. Sie sind an politischen Zusammenhängen nur wenig interessiert und wollen vor allem ein subkulturell geprägtes Lebensgefühl ausleben.



„Blood & Honour“ („B & H“)



Seit 1995 bestand in der Bundesrepublik eine deutsche „Division“ der „B & H“-Bewegung, die in Großbritannien entstanden ist.[8] Diese Organisation verfolgt das Ziel, auf internationaler Ebene eine autonome Struktur für die Skinheadszene zu schaffen. Sie propagiert den Nationalsozialismus und vertritt die rassistische „White Power“-Ideologie. Um auf die Szene mit dem Medium Musik ideologisch einzuwirken, konzentriert sich die „B & H“-Bewegung[9] auf die Organisation von Konzerten und Partys, wo insbesondere nationalistische und rassistische Bands auftreten. Ende des Jahres 1997 wurde in Thüringen die bundesweit vertretene „B & H“-Jugendorganisation „White Youth“ gegründet, die jüngere Szeneangehörige organisieren und an ältere Kameraden binden wollte.



Am 12. September 2000 verbot der Bundesminister des Innern die deutsche Division der „B & H“-Bewegung sowie deren Jugendorganisation „White Youth“, da sich beide Vereinigungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richteten. Zu diesem Zeitpunkt gehörten der „B & H“-Division Deutschland etwa 200 Personen in 15 Sektionen an; „White Youth“ zählte darüber hinaus rund 50 Mitglieder. Das Verbot wurde im Juni 2001 rechtskräftig und schwächte die Szene. Zahlreiche Protagonisten, die in der Gruppierung früher eine Rolle gespielt hatten, verließen die rechtsextremistische Szene oder verlegten ihre Aktivitäten in andere Handlungsfelder, woraufhin der organisatorische Zusammenhalt zerfiel.



Sowohl ehemalige als auch neue Aktivisten waren jedoch bestrebt, frühere Organisationsstrukturen zumindest ansatzweise aufrechtzuerhalten oder neu aufzubauen. Aus diesem Grund wurden seit dem Jahr 2000 von den Strafverfolgungsbehörden deutschlandweit mehrere Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Fortführung einer verbotenen Vereinigung gemäß § 85 StGB geführt, die bisher jedoch noch nicht zu einer Anklage einzelner „B & H“-Aktivisten geführt haben.



Obwohl die meisten ehemaligen Aktivisten der „B & H“-Szene nicht mehr zuzurechnen sind, bestehen zwischen einigen früheren Mitgliedern noch Kontakte. Einige ehemalige Funktionäre traten wieder in Erscheinung, indem sie sich an der konspirativen Vorbereitung von Konzerten und dem Vertrieb von CDs beteiligten. Darüber hinaus wirken auch Rechtsextremisten in „B & H“-Zusammenhängen mit, die mit der ehemaligen Organisation nichts zu tun hatten. Vereinzelt wird noch heute der Schriftzug „Blood & Honour“ auf T-Shirts oder Basecaps oder auf anderen Kleidungsstücken verwendet. Der hohe Provokationswert dieses Namens und der Reiz des Verbotenen sollen in der Szene eine größere Aufmerksamkeit erregen und den Verkaufsumsatz steigern. Das Logo „Blood & Honour“ hat auch unter jüngeren Rechtsextremisten eine gewisse Werbewirkung.



Am 7. März durchsuchte die Polizei in Thüringen sowie in sechs anderen Bundesländern ca. 120 Objekte von 80 Rechtsextremisten. Die betroffenen Personen stehen im Verdacht, die verbotene Vereinigung „Blood & Honour“ fortzuführen oder Nachfolgestrukturen zu unterstützen. In Thüringen fanden Durchsuchungsmaßnahmen bei acht Beschuldigten in elf Objekten in Arnstadt, Ilmenau, Geraberg, Weimar, Meiningen und Sonneberg statt. Als Beweismittel wurden CDs, DVDs, Hefte/Broschüren, Disketten, Videokassetten, T-Shirts und PCs sichergestellt. Deren Auswertung dauert an. Die Durchsuchungsmaßnahmen stellten die größte Exekutivaktion gegen Angehörige von „Blood & Honour“ dar, seit diese Organisation verboten worden ist. Wahrscheinlich haben diese Maßnahmen die Szene so verunsichert, dass von „Blood & Honour“ verfolgte Aktivitäten weiter zurückgehen.



Vor allem im süddeutschen Raum, aber auch in Thüringen bestanden und bestehen zwischen einigen ehemaligen Mitgliedern enge persönliche Verbindungen. Deren Intensität scheint 2006, insbesondere nach den Durchsuchungsaktionen, abgenommen zu haben. Es fanden einzelne Skinheadkonzerte statt, an deren Organisation Personen aus dem früheren Umfeld von „B & H“ mitwirkten. In Thüringen zählen nur wenige Personen zu den Anhängern von „B & H“.



„Hammerskin“-Bewegung



Die „Hammerskins“ stellen eine weltweit aktive Bewegung dar, die 1986 in den USA gegründet wurde und seit Mitte der 90er Jahre auch in Deutschland mit Sektionen vertreten ist. Die Bewegung versteht sich als Elite innerhalb der Skinheadszene. Sie verherrlicht bzw. propagiert rassistisches und antisemitisches Gedankengut. Ihr Erkennungsmerkmal – zwei gekreuzte Zimmermannshämmer in einer Raute – soll die Kraft und Stärke der „weißen Arbeiterklasse“ symbolisieren. Wegen ihres elitären Anspruchs sind die „Hammerskins“, die bundesweit ca. 100 Anhänger zählen, in der Szene umstritten. In Thüringen haben sie nur wenige Anhänger.



Da es den „Hammerskins“ an Organisationsstrukturen ebenso mangelt wie an Führungspersönlichkeiten, gelang es ihnen nicht, sich entsprechend ihrem Anspruch in der rechtsextremistischen Skinheadszene als Elite durchzusetzen oder mit der „B & H“-Bewegung zu konkurrieren. Von ihren überregionalen Koordinierungstreffen, die regelmäßig stattfinden, gingen konzeptionelle Impulse bislang nicht aus.



3.3 Kontakte zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen



Rechtsextremistische Skinheads sind überwiegend abgeneigt, sich in feste und auf Dauer angelegte Organisationsstrukturen einzugliedern. Deshalb bestehen auch kaum institutionalisierte Kontakte zu rechtsextremistischen Parteien oder Organisationen. Es gibt jedoch Kontakte auf regionaler Ebene, die sich insbesondere auf die NPD erstrecken und vor allem von persönlichen Verbindungen abhängen. Die anderen rechtsextremistischen Parteien stehen den Skinheads mit starkem Vorbehalt gegenüber. Auch die Skinheads sind anderen rechtsextremistischen Parteien gegenüber ablehnend eingestellt.



Für die NPD und die Neonazis stellt die Skinheadszene, von der meist keine eigenständigen politischen Aktionen ausgehen, ein ergiebiges Mobilisierungspotenzial für Demonstrationen und Mahnwachen dar. So werden Skinheads bei derartigen Veranstaltungen oft als Ordner eingesetzt. Für die Motivation der Skinheads, sich an Demonstrationen oder ähnlichen Veranstaltungen zu beteiligen, spielt der gebotene Aktionismus eine wesentliche Rolle.



Im Laufe der letzten Jahre bewegten sich die Skinhead- und die Neonaziszene zunehmend aufeinander zu, nachdem sie sich früher voneinander abgegrenzt hatten. In einem größeren Umfang bildeten sich so genannte Mischszenen heraus oder verschmolzen Skinheadcliquen und neonazistische Kameradschaften miteinander.[10] Die Gründe hierfür liegen in den offeneren Strukturen der Neonazis, die oftmals in „unabhängigen Kameradschaften“ agieren und somit der Organisationsunwilligkeit vieler Skinheads entgegenkommen. Zum anderen trugen in der Vergangenheit auch Strukturierungsversuche, die von der „B & H“-Bewegung ausgingen, dazu bei, die Skinhead- und die Neonaziszene einander anzunähern und in einem steigenden Maße zu politisieren.



In den letzten Jahren ist es sowohl der NPD als auch den Neonazis gelungen, zunehmend Skinheads für ihre Versammlungen zu mobilisieren, wenn sie rechtsextremistische Musik als Medium einsetzten. Diese Tendenz kommt in der Zahl der Personen zum Ausdruck, die sich an solchen Veranstaltungen beteiligt haben. So nahmen am „5. Thüringentag der nationalen Jugend“ am 20. Mai in Altenburg ca. 250 und an der Veranstaltung „Rock für Deutschland“ am 15. Juli in Gera ca. 600 Personen teil.[11] Diese beiden größten 2006 in Thüringen veranstalteten rechtsextremistischen Demonstrationen fanden vor allem deshalb einen verhältnismäßig großen Zulauf, weil mehrere Skinheadbands aufgetreten sind. Dieser Trend wird aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren von Dauer sein, da die NPD erkannt hat, mit welch großem Erfolg Musik eingesetzt werden kann, um Rechtsextremisten für Veranstaltungen zu gewinnen.



Innerhalb der rechtsextremistischen Musikszene findet eine internationale Kooperation statt, die auf der gemeinsam empfundenen Zugehörigkeit zur „White-Power“-Bewegung und weitgehend übereinstimmenden Feindbildern basiert. Skinheadbands aus dem Ausland – insbesondere aus Großbritannien und den USA – und deren CDs sind bei deutschen Skinheads beliebt; entsprechende Gruppen treten regelmäßig bei Konzerten in Deutschland – so auch in Thüringen – auf. Im Gegenzug beteiligen sich deutsche Bands an Veranstaltungen im Ausland und produzieren zum Teil auch Tonträger speziell für diesen Markt in englischer Sprache. Volksverhetzende fremdsprachige Tonträger finden auch in Deutschland weiterhin eine starke Verbreitung. Dementsprechend ist der Einfluss rechtsextremistischer Musik aus dem Ausland – trotz möglicher Sprachbarrieren – hoch. Mitunter reisen deutsche Skinheads auch zu Skinheadkonzerten ins Ausland.



3.4 Rechtsextremistische Musik

Wirkung auf Jugendliche



Alle Auszweigungen der subkulturellen rechtsextremistischen Szene versprechen Jugendlichen gruppendynamische Erlebnisse und Gefühle von Anerkennung, Gemeinschaft, Kameradschaft und Stärke. Rechtsextremistische Musik und Konzerte bilden deshalb wichtige Elemente, um die Szene zusammenzuhalten oder für sie zu werben. Das Gemeinschaftsgefühl, das die Konzerte stiften, und die aggressiven Rhythmen der Musik regen rechtsextremistisch „anpolitisierte“ Jugendliche oftmals an, sich in die rechtsextremistische Szene zu integrieren oder in ihr zu verbleiben. Die Musik drückt ihre Aggressionen, Ängste und Wünsche aus. Mit den Texten der Lieder werden die ideologischen Botschaften transportiert, für welche die Szene empfänglich ist. Ian Stuart DONALDSON, der die „Blood & Honour“-Bewegung in England gründete, äußerte in diesem Zusammenhang: „Eine Gruppe zu hören, die man gut findet, macht viel mehr Spaß als eine politische Versammlung.“



Die Skinheadbands, die ab Mitte der 80er Jahre in der Bundesrepublik aufkamen, trugen erheblich dazu bei, eine rechtsextremistische Gesinnung zum szenespezifischen Allgemeingut zu verfestigen. Zunehmend verarbeiteten sie in ihren Liedtexten rechtsextremistisches Gedankengut, das weite Teile der Skinheadbewegung antrieb, „farbige Rassen“ strikt abzulehnen und nur den „nordisch-arischen Rassen“ eine Existenzberechtigung zuzugestehen. Häufig sind die Texte, die auf den Konzerten vorgetragen werden, extremer als jene, die sich auf den CDs befinden. Mit aggressiven, menschenfeindlichen Formulierungen versuchen die Bands, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Die dadurch angestachelten „Hitler-Grüße“ oder Wechselgesänge zwischen Bands und Publikum steigern das aufputschende Erlebnis solcher Konzerte. Die Vorliebe für rechtsextremistische Musik trug nicht selten dazu bei, Jugendliche rechtsextremistisch zu sozialisieren. Die Hass- und Gewaltparolen, die Gruppendynamik und die Alkoholexzesse erzeugen „rechtsextremistische Erlebniswelten“. Sie können jugendliche Fans nachhaltig anregen, rechtsextremistische Feindbilder zu übernehmen oder diese zu verfestigen. Somit kann rechtsextremistische Musik in einem starken Maße dazu beitragen, verhaltensprägend zu wirken und für das rechtsextremistische Spektrum einzunehmen.








Facetten rechtsextremistischer Musik



Das musikalische Spektrum mit seinen oftmals einschlägigen Liedtexten ist mittlerweile sehr vielgestaltig. Es reicht vom typischen „R.A.C.“[12] über den „Black Metal“[13] und „Hardcore“[14] bzw. „Hatecore“[15] bis hin zu eingängigen Melodien bereits bekannter Stimmungslieder oder Schlager, für die neue bzw. umgeschriebene Texte verwendet werden. Die meisten Stücke stützen sich auf schnelle und harte Bass- und Schlagzeug-Beats, die dem Heavy Metal und verwandten Stilrichtungen entlehnt sind. Die Melodien bestehen meist aus stakkatoartig aneinandergereihten Tonfolgen, die nur wenig melodisch sind und oft von der grölenden Stimme des Sängers überlagert werden.



Vor allem der „NS-Black Metal“ (NSBM) bildet eine weitere Musikrichtung, in der rechtsextremistisches Gedankengut bundesweit an Bedeutung gewonnen hat. Dabei handelt sich um einen kleinen, eng umrissenen rechtsextremistischen Randbereich des ansonsten unpolitischen „Black Metal“, der sich jedoch zwischenzeitlich über die Scharnierfunktion neuheidnisch-rechtsesoterischen Gedankenguts an die Vorstellungswelt der rechtsextremen Szene angenähert hat. Die Bands, die diesem Spektrum zuzuordnen sind, verherrlichen den Nationalsozialismus, verwenden dessen Symbole und betreiben mit ihren Liedtexten oder in Interviews rassistische bzw. antichristliche und antisemitische Propaganda. Häufig beteiligen sich solche Bands auch an Skinheadkonzerten. Diese Form der Musik nimmt zwar inzwischen in der rechtsextremistischen Musikszene einen etwas höheren Stellenwert ein. Insgesamt reicht sie jedoch in Deutschland nach wie vor weder qualitativ noch quantitativ an den Markt heran, der von der Skinheadmusik abgedeckt wird. Weniger als 5 % der rechtsextremistischen Konzerte sind NSBM-Konzerte.



Songtexte der beschriebenen Musikrichtungen, Interviews von Bands u.ä. enthalten rassistische, antisemitische, gewaltverherrlichende Ansichten und glorifizieren die nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Die Lieder der rechtsextremistischen Bands widerspiegeln ein diffuses „NS-tümelndes“ Weltbild, das mit Fragmenten aus der germanischen Mythologie, mit militärischem Pathos, martialischem Männlichkeitsritus und dem „Gesetz der Straße“ angereichert worden ist. Auf dieser Grundlage geraten diese Lieder zu Hymnen, die von Brutalität, Aggression und Menschenverachtung, von Anklagen und Beschimpfungen des „Systems“ durchdrungen sind, die eine „jüdische Weltverschwörung“ unterstellen und sich in brutale Verfolgungs- und Vernichtungsphantasien hineinsteigern können.



3.5 Die rechtsextremistische Musikszene in Thüringen

Musikrichtungen und Musikbands in Thüringen



Das populärste und wirkungsmächtigste Genre rechtsextremistischer Musik stellen in Thüringen der überwiegend von rechtsextremistischen Skinheadbands gespielte „R.A.C.“ sowie zunehmend auch der „Hardcore“ dar. Jedoch hat sich im Freistaat auch im Bereich des NSBM eine relevante Konzert- und Musikszene herausgebildet.



Die Zahl der rechtsextremistischen Musikgruppen aus Thüringen, die 2006 im Verlauf von rechtsextremistischen Veranstaltungen auftraten oder eigene Tonträger veröffentlichten, ist von 10 im Jahr 2005 auf 15 im Berichtszeitraum angestiegen. Rund die Hälfte dieser Bands ist seit mehreren Jahren aktiv. Bei wenigstens fünf weiteren Thüringer Bands liegen Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Ausrichtung vor.



Als rechtsextremistische Bands, die 2006 aktiv waren, sind anzusehen:



· „Brainwash“, Altenburg

· „Celtic Dawn“, Heldrungen

· „D.N.A.“, Gera

· „Ehre & Stolz“, Suhl

· „Eternal Bleeding“, Altenburg

· „Eugenik“, Gera

· „Kreuzfeuer“, Altenburg

· „Moshpit“, Dresden/Altenburg

· „Ostfront“, Gera

· „PAK 88“, Erfurt

· „Radikahl“ (nur noch Sänger), Weimar

· „SKD“ („Sonderkommando Dirlewanger“), Gotha

· „Skuld“, Eisfeld

· „Totenburg“, Gera

· „Unbeliebte Jungs“ (vormals „Sturmangriff“), Sonneberg



Drei Bands, die sich 2005 an Konzerten beteiligt hatten, traten 2006 nicht in Erscheinung; sie sind deshalb vorstehend nicht mehr erwähnt. Mit „Kreuzfeuer“ brachte eine bereits aufgelöste Band 2006 nochmals eine CD heraus.



Musikgruppen werden dann als rechtsextremistisch eingestuft, wenn die Texte ihrer Lieder antisemitische, rassistische und menschenverachtende Ansichten enthalten. In die Bewertung werden die Zusammensetzung der Band und deren öffentliches Auftreten, beispielsweise bei Konzerten oder in Selbstdarstellungen im Internet oder Fanzines, ergänzend einbezogen.



Die rechtsextremistischen Bands sind größtenteils in Ostthüringen konzentriert, ansonsten vorwiegend in Mittel- und Südthüringen angesiedelt. Dort liegen auch die Schwerpunkte ihrer Aktivitäten. Mitunter spielten sie aber auch in den angrenzenden Bundesländern, zum Teil auch im Ausland. Überregionale Bedeutung haben „Eugenik“, „SKD“, „Eternal Bleeding“ und „Radikahl“ erlangt, die oft außerhalb Thüringens aufgetreten sind. „Moshpit“ und „Brainwash“ setzen sich aus Mitgliedern zusammen, die aus Thüringen und Sachsen stammen. Einzelne Musiker wirken in mehreren Bands mit. Mitunter schließen sich Mitglieder verschiedener Bands vorübergehend zu Projekten zusammen, um Tonträger einzuspielen und einige Male aufzutreten. Bei Konzerten oder Studioaufnahmen werden fehlende Positionen der Stammbesetzung oft durch den Einsatz von Musikern anderer Bands kompensiert. In dieser Beziehung sind einige Bandmitglieder der NSBM-Band „Totenburg“ besonders aktiv.



Bis auf „Kreuzfeuer“ nahmen alle oben genannten Bands im Berichtszeitraum mindestens an einer rechtsextremistischen Veranstaltung teil. Zu den aktivsten Bands zählten „SKD“ und „Eternal Bleeding“. Obwohl beide erst seit ca. zwei Jahren unter ihrem aktuellen Namen auftreten, veröffentlichten sie bereits eigene Tonträger und spielten auf zahlreichen rechtsextremistischen Konzerten. Sie setzen sich aus Mitgliedern zusammen, die zumeist bereits in anderen rechtsextremistischen Bands aktiv waren. Neben diesen Newcomer-Bands traten auch die etablierten Thüringer Bands „Radikahl“ und „Eugenik“ auf mehreren rechtsextremistischen Veranstaltungen auf.



Mit den CDs „The Years of Oi“ von „Kreuzfeuer“, „Um die Freyheit“ von „Radikahl“ und „Wer sich nicht wehrt lebt verkehrt – SKD/Blutstahl Live“ von „SKD“ wurden im Berichtsjahr mindestens drei neue CDs hiesiger rechtsextremistischer Bands veröffentlicht. Der Thüringer Liedermacher „Jürgen V.“ veröffentlichte mit „Wiederkehr des Reiches“ seine erste CD und die hiesigen Liedermacher „Julmond“ und „Veit“ brachten zum Jahresende ihre CD „Söhne Wotans“ heraus. Daneben wurden Songs von Thüringer Bands und Liedermachern auch auf Samplern veröffentlicht.



Während die Texte der veröffentlichten Songs vieler Bands deren rechtsextremistische Ausrichtung nur noch unterschwellig zum Ausdruck bringen, enthalten die Lieder der aus Gotha stammenden Gruppe „SKD“ (deren Name auf die SS-Einheit „Sonderkommando Dirlewanger“[16] zurückgeht) beispielhaft antisemitische, rassistische, ausländerfeindliche, volksverhetzende und gewaltverherrlichende Passagen. In ihrem Lied „Hängt sie auf“ lautet der Text u.a.:



„... Hängt sie auf, die Volksverräter, an Laternen oder Baum.

Es erwacht das Reich der Väter, bald aus einem bösen Traum.

Jagt das Pack ... raus aus jedem deutschen Gau.

Ausländerpack und Synagogen - raus, raus, raus! ...



... Zionisten, euer letztes Stündlein schlägt,

spürt ihr nicht, den Hass des Volks ...“



Ein namens- und textgleiches Stück ist auch auf dem Sampler „Blood & Honour Division Deutschland – Voices of Solidarity“ enthalten.



Die rechtsextremistische Einstellung dieser Band geht auch aus der inzwischen indizierten CD „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt – SKD/Blutstahl Live“ (2006) hervor. Sie enthält einen Live-Mitschnitt von Coversongs der rechtsextremistischer Skinheadbands „Landser“ aus Berlin, „Stahlgewitter“ aus Niedersachsen und „Skrewdriver“ aus England. An mehreren Stellen wird zum Rassenhass aufgestachelt bzw. die nationalsozialistische Weltanschauung propagiert oder verherrlicht. So heißt es u.a. in dem Lied „Tango“:



„ ... Oh, wie ich dieses scheiß Volk hasse,

seit wann gehört das Dreckspack zur arischen Rasse?!

Wenn bei Danzig die Polenflotte im Meer versinkt

und das Deutschlandlied auf der Marienburg erklingt.

Dann zieht die Wehrmacht mit ihren Panzern in Breslau ein

und dann kehrt Deutschlands Osten endlich wieder heim.“



3.6 Rechtsextremistische Konzerte



Die oft als überregionale Treffen organisierten Konzerte dienen als Forum, um Kontakte zu pflegen, Informationen auszutauschen und die Vernetzung der strukturschwachen Szene zu fördern. Zugleich stellen diese Veranstaltungen, die den Teilnehmern ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln, Treffpunkte für die ansonsten stark zersplitterte Szene dar.


Organisation und Ablauf



Auf das restriktive Vorgehen der Behörden gegen die Veranstaltung von rechtsextremistischen Konzerten reagiert die Szene mit einer Vielzahl konspirativer Methoden, wenn sie Konzerte plant und durchführt. Auf diese Methoden kann im Folgenden nur in Form eines Überblicks eingegangen werden:



Die Termine und Orte rechtsextremistischer Konzerte werden meist nicht öffentlich bekannt gegeben. Die Szene wirbt für sie vor allem per SMS, über Telefonketten, Mailinglisten, mit per Post versandten Briefen sowie durch Mundpropaganda. In der Regel wird nur ein Vorab-treffpunkt benannt, von dem aus die Teilnehmer zum eigentlichen Veranstaltungsort weitergeleitet werden. Mitunter wird der Polizeifunk mit Scannern abgehört, um gegebenenfalls kurzfristig auf Einsätze der Polizei reagieren zu können. Vor Beginn der Konzerte führen die Initiatoren gelegentlich Leibesvisitationen durch und fordern die Teilnehmer auf, die Handys abzugeben.



Die Angehörigen der Szene bemühen sich, ihre wahren Absichten zu verbergen, wenn sie Räumlichkeiten mieten und die Veranstaltungen gegenüber den Ordnungsbehörden anzeigen. So täuschen sie beispielsweise vor, Familienfeiern oder Klassentreffen vorzubereiten. Teilweise werden Räumlichkeiten von Personen gemietet, die sowohl deren Besitzern als auch den Polizei- und Ordnungsbehörden noch nicht einschlägig bekannt sind. Für Konzerte werden Gaststätten, alte Industriegelände oder Räumlichkeiten genutzt, über die Sympathisanten der Szene verfügen. Aus der Sicht der Szene ist es von Vorteil, dass Szeneobjekte kurzfristig als Ausweichobjekt zur Verfügung stehen, wenn ein Konzert an einem anderen Ort verhindert oder aufgelöst wird. In den Sommermonaten finden Konzerte auch auf Waldlichtungen, Wiesen oder anderen Orten im Freien statt. Gegenüber den Ordnungsbehörden werden Konzerte, wenn überhaupt, als „Geburtstagsfeiern mit Livemusik“ angezeigt. Oft erklären die Organisatoren, eine „geschlossene Veranstaltung“ mit „geladenen Gästen“, nicht jedoch ein Konzert, zu planen. Dazu kommen von der NPD angemeldete Veranstaltungen, bei denen rechtsextremistische Musikgruppen auftreten.



Für die Konzerte wird von den Teilnehmern in der Regel ein Eintrittsgeld zwischen 5 und 20 Euro erhoben. Dessen Höhe hängt u.a. davon ab, welche Bands auftreten oder welchen Anlass es für die Veranstaltung gibt (z.B. „Benefiz-Konzerte für inhaftierte Kameraden“). Oftmals sind im Eintritt Freigetränke enthalten. Von einem Teil der eingenommenen Gelder werden die Gagen der auftretenden Bands bzw. Reisekosten gezahlt. Die Höhe der Gagen variiert, kann jedoch durchaus im hohen dreistelligen Bereich liegen, wenn die Bands bekannt sind. Der Gewinn, der aus solchen Konzerten gezogen wird, fällt meist dem Veranstalter zu. Die Höhe der Gewinne ist schwer zu beziffern. In vielen Fällen dürften sie hoch genug ausfallen, um den Lebensunterhalt der Veranstalter zumindest aufzubessern. Nicht unerhebliche Umsätze und Gewinne werden darüber hinaus durch den Verkauf von CDs und Devotionalien der Szene erzielt.



Mitunter begingen Besucher und/oder Mitglieder der auftretenden Bands während oder im Umfeld der Konzerte Straftaten, bei denen es sich meist um Propagandadelikte handelte. Vereinzelt wurden im Verlauf der Konzerte Lieder mit fremdenfeindlichen und antisemitischen Texten gesungen, die den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Strafgesetzbuch (StGB) erfüllen. Insbesondere bei Konzerten, die von der Polizei aufgelöst oder verhindert werden, kommt es infolge des erhöhten „Frustpotenzials“ von Teilnehmern und Organisatoren manchmal zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte, die überwiegend in Beleidigungen und Körperverletzungen ihren Ausdruck finden.


Auftritte von rechtsextremistischen Bands in Thüringen



Wie bereits ausgeführt wurde, ging die Zahl der rechtsextremistischen Konzerte in Thüringen zurück. Es fanden 12 Konzerte statt, von denen sechs von der Polizei aufgelöst werden konnten; weitere sechs Konzerte wurden von der Polizei im Vorfeld verhindert. Darüber hinaus hat die Szene möglicherweise weitere kleinere Konzerte veranstaltet, die nicht bekannt geworden sind.

Statistik rechtsextremistischer Konzerte in Thüringen:
Grafik bitte über Link unten anschauen.

Dank einer verstärkten Vorfeldaufklärung, einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Polizei sowie einer konsequenten Umsetzung des Erlasses des Thüringer Innenministeriums (TIM) zur „Polizeilichen Behandlung von Skinhead-Konzerten“ gelang es im Berichtszeitraum erneut, den erheblich forcierten Bemühungen der Szene, Konzerte zu organisieren, mit Erfolg zu begegnen. Von 18 geplanten Konzerten konnten 6 aufgelöst und weitere 6 bereits im Vorfeld verhindert werden. Infolgedessen gehörte Thüringen auch 2006 zu den Bundesländern, in denen die meisten rechtsextremistischen Konzerte aufgelöst bzw. verhindert werden konnten.

Trotzdem rangiert Thüringen im Bundesvergleich mit 12 begonnenen Konzertveranstaltungen wie im Vorjahr im oberen Viertel. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Rechtsextremistische Musik und damit verbundene Veranstaltungen sind insbesondere in den neuen Bundesländern sehr populär. Zudem weist Thüringen aufgrund seiner zentralen geografischen Lage sowie des großen Angebots an preisgünstigen oder leerstehenden Gebäuden eine Infrastruktur auf, die sowohl für die Veranstalter der Konzerte als auch für die Sympathisanten, die aus Thüringen und anderen Bundesländern anreisen, von Vorteil ist.

Die rechtsextremistischen Konzerte fanden sowohl in Gaststätten als auch im Freien statt. Zum Teil wurden sie aber auch in so genannten Szeneobjekten veranstaltet – meist in ehemaligen Gaststätten, Fabrikhallen oder Baracken, die über einen längeren Zeitraum von Rechtsextremisten für ihre Aktivitäten genutzt werden. Solche Gebäude werden nicht nur für Konzerte, sondern auch als Probenräume für Bands, für Partys, als Versammlungsräume und als Freizeittreffs genutzt.

Die Zahl der Konzertveranstaltungen ging in Thüringen auch deshalb zurück, weil die in Gotha von Rechtsextremisten genutzten Vereinsräume des „Toringi-Vereins zur Thüringer Brauchtumspflege e.V.“ im Berichtszeitraum aufgrund von Maßnahmen, die die Behörden getroffen hatten, nicht mehr zur Verfügung standen.[17] Wie in den letzten Jahren in einer Reihe von Bundesländern zu beobachten war, stieg die Zahl der Konzerte dort stark an, wo sich Szeneobjekte in der Hand von Rechtsextremisten befanden.

An den rechtsextremistischen Konzerten beteiligten sich in Thüringen jeweils zwischen 70 und 400 Personen, von denen oftmals viele aus den angrenzenden Bundesländern angereist waren. Während im Jahr 2005 an den Konzerten in Thüringen im Durchschnitt etwa 160 Personen teilgenommen hatten, sank deren Zahl im Berichtszeitraum auf etwa 150 ab, was leicht über dem bundesweiten Durchschnitt von 135 Personen liegt. Sowohl in Thüringen als auch in der gesamten Bundesrepublik geht der Trend dahin, kleinere Konzerte zu veranstalten. So zählen die meisten Veranstaltungen nicht mehr als 100 Teilnehmer. Konzerte mit mehr als 200 Besuchern bildeten zuletzt die Ausnahme. Diese Tendenz dürfte sich herausgebildet haben, weil sich sowohl die Öffentlichkeit als auch die Behörden verstärkt dafür einsetzen, rechtsextremistische Konzerte zu verhindern. Daher ist es für die Organisatoren solcher Konzerte zunehmend schwieriger geworden, für größere Musikveranstaltungen geeignete Räume zu finden. Da die Veranstalter von Konzerten immer damit rechnen müssen, dass von ihnen organisierte Musikveranstaltungen verhindert bzw. aufgelöst werden, versuchen sie, das Risiko finanzieller Verluste in Grenzen zu halten, indem sie mehrere kleinere Konzerte organisieren.

Gut 40 % der Teilnehmer rechtsextremistischer Konzerte in Thüringen waren zwischen 20 und 24, knapp ein Drittel 25 bis 30 Jahre alt. Weniger als 10 % waren älter. Etwa ein Fünftel der Konzertbesucher war jünger als 20 Jahre. Der Anteil der Frauen an den Konzerten belief sich auf etwa 25 %, nachdem er im Vorjahr noch annähernd 20 % betragen hatte.

Rechtsextremistische Musik wird auch künftig eine starke Anziehungskraft auf Jugendliche ausüben. Und die Szene wird weiterhin versuchen, rechtsextremistische Konzerte zu veranstalten. Allerdings dürfte sich die Entwicklung fortsetzen, kleinere, konspirativ organisierte Konzerte auszurichten, da die Behörden daran festhalten werden, rechtsextremistische Konzerte nach Möglichkeit zu unterbinden. Ebenso dürfte sich das Spektrum der rechtsextremistischen Musikstile weiter auffächern.

Übersicht über die rechtsextremistischen Konzertaktivitäten:
bitte über Link anschauen.

3.7 Lieder- und Balladenabende/Auftritte von rechtsextremistischen Liedermachern



Liedermacher bieten zumindest für kleinere, oft regional begrenzte Veranstaltungen eine Alternative zu rechtsextremistischen Konzerten. Sie werden gern für Kameradschaftsabende oder auch für Parteiveranstaltungen eingeladen, um sie musikalisch zu umrahmen. Liederabende, an denen sich meist verhältnismäßig wenige Personen beteiligen, sind überwiegend nicht so öffentlichkeitswirksam wie die rechtsextremistischen Konzerte, bei denen der „Spaßfaktor“ wesentlich höher ist. Liederabende haben in der subkulturellen Szene nicht die Bedeutung von Konzerten, bei denen rechtsextremistische Bands auftreten. An ihnen nehmen in der Regel deutlich weniger Besucher teil.



Bundesweit ging die Anzahl von reinen Liederabenden im Berichtszeitraum zurück; in Thüringen wurde 2006 kein reiner rechtsextremistischer Liederabend bekannt. Es traten jedoch mehrfach Liedermacher bei Veranstaltungen auf, die von der NPD und den Neonazis organisiert worden waren. So sang der bundesweit in der Szene bekannte Liedermacher Frank RENNICKE am 18. März in Lichtenhain/Bergbahn (Landkreis Saalfeld-Rudolstadt) während einer Saalveranstaltung, an der sich bis zu 150 Rechtsextremisten beteiligten.



3.8 Rechtsextremistische Produktions- und Vertriebsstrukturen



Rechtsextremistische Musik wird zumeist von rechtsextremistischen Labels, d.h. von Produktionsfirmen, die sich in der Hand von Rechtsextremisten befinden, produziert. Für gewöhnlich sind an diese Labels Vertriebe angeschlossen. Im Freistaat Thüringen bestehen u.a. die rechtsextremistischen Labels „W&B Records“ in Fretterode und „Germania Versand“ in Sondershausen, die produzierte rechtsextremistische Musik über die zugehörigen Versandhandel vertreiben. Beide Labels veröffentlichten in der Vergangenheit verschiedene „Eigenproduktionen“ oder auch Sampler von rechtsextremistischen Bands bzw. Liedermachern.



Da rechtsextremistische Skinheadmusik im „normalen“ Handel meist nicht erhältlich ist, hat sich ein Versandhandel speziell für diese Musik herausgebildet. Im Zuge der Kommerzialisierung der Szene wurde der Handel mit Tonträgern durch ein umfassendes Angebot an Videos, Bekleidung, Schuhen/Stiefeln, Fahnen, Schmuck, Büchern etc. ergänzt. Rechtsextremistische Musik und Szeneartikel werden von Vertrieben, in so genannten Szene-Läden sowie von Klein- und Kleinsthändlern auf Konzerten oder anderen rechtsextremistischen Veranstaltungen angeboten.


Vertriebe/Versandhandel



Die Zahl der rechtsextremistischen Skinheadvertriebe, die in größerem Umfang bundesweit rechtsextremistische Musik und Szeneartikel anbieten und auf dem Postweg versenden, hat sich im Berichtszeitraum gegenüber dem Vorjahr von 75 auf etwa 90 erhöht. Die Anzahl der Vertriebe, deren Sitz sich in Thüringen befindet, liegt im einstelligen Bereich. Der Vertrieb erfolgt vorwiegend über das Internet, da er mit einem verhältnismäßig geringen Aufwand für Betreiber und Besteller verbunden ist. Zudem kommt Internetanbietern eine große Bedeutung zu, weil so entsprechendes Liedgut und Devotionalien einem zahlreichen Interessentenkreis zugänglich gemacht werden können. MP3-Dateien können von Internettauschbörsen heruntergeladen werden. Strafrechtlich relevante Tonträger werden vor allem weiterhin im Ausland, vorwiegend in den USA, produziert und von dort aus auch vertrieben.



Wie bereits angedeutet stellt das Label „W&B Records“, das der Neonazi und Funktionär der NPD Thorsten HEISE aus Nordthüringen betreibt, einen bedeutenden rechtsextremistischen Musikvertrieb in Thüringen dar. Der andere bereits genannte Vertrieb auf dem rechtsextremistischen Musikmarkt ist der „Germania Versand“, dessen Sitz sich in Sondershausen befindet. Beide Vertriebe bieten ein umfangreiches Sortiment an Tonträgern, die zum Teil von ihnen selbst produziert werden, und Bekleidung an. Weiterhin geben sie auf ihrer Homepage Termine bekannt, die u.a. Veranstaltungen der NPD betreffen, und veröffentlichen mit Rechtsextremisten geführte Interviews.


Szene-Läden



Als Szene-Läden werden Läden/Geschäfte bezeichnet, die aufgrund ihres Warenangebots einen Anlaufpunkt für Rechtsextremisten – insbesondere für rechtsextremistische Skinheads – darstellen. Die Betreiber der Geschäfte sind oft Rechtsextremisten, die aus anderen Zusammenhängen bekannt sind. Es handelt sich um Unternehmen, die zwar einschlägige Tonträger und Devotionalien verkaufen, jedoch weder ihre Waren im Internet anbieten noch Tonträger produzieren. Die Betreiber eröffnen ihre Läden oft in Städten mit einem größeren Einzugsbereich, da sie dort mit einer größeren Zielgruppe rechnen können und andererseits eine gewisse Anonymität für die Kunden gewahrt bleibt. Solche Geschäfte befinden sich u.a. in Erfurt, Gera, Jena, und Weimar. Es ist schwer möglich, Szene-Läden und gewöhnliche Geschäfte voneinander genau zu unterscheiden. Denn Rechtsextremisten entdecken mitunter auch Marken für sich, deren Hersteller sich – teilweise ausdrücklich – von der rechtsextremistischen Szene distanzieren. Zudem gibt es nur wenige Marken, deren Produkte ausschließlich von Rechtsextremisten getragen werden.


Klein- und Kleinsthändler



Klein- und Kleinsthändler wickeln als „fliegende Händler“, beispielsweise bei Skinheadkonzerten, spontan Geschäfte mit kleinen Stückzahlen ab. Sie bedienen lediglich, auch mit strafrechtlich relevanter Ware, die jeweilige regionale rechtsextremistische Szene. Von den beschriebenen Vertriebswegen abgesehen werden Szeneartikel auch privat, bei Kameradschaftstreffen oder sonstigen rechtsextremistischen Veranstaltungen veräußert. Mit dieser Dezentralisierung reagiert die Szene offenbar auf die Exekutivmaßnahmen der vergangenen Jahre, als strafrechtlich relevante oder indizierte Produkte sichergestellt werden konnten.



3.9 Rechtsextremistische Fanzines



Fanzines gehören neben der Musik zu den wichtigen Kommunikationsmitteln der rechtsextremistischen Skinheadszene. Der Begriff „Fanzine“ ergibt sich aus der verkürzten Zusammensetzung der beiden englischen Wörter fan (begeisterter Anhänger) und magazine (Magazin, Illustrierte). Die meist unregelmäßig erscheinenden Fanzines werden oft von Skinheads herausgegeben, die die Szene kennen und über Kontakte in der Szene verfügen. Sie unterscheiden sich in der Art, Aufmachung und Höhe der Auflage. Manche Fanzines wirken primitiv und sind von schlechter Qualität; andere sind durchaus ansprechend und qualitativ hochwertig gestaltet. Die Fanzines enthalten überwiegend Informationen, die sich auf Konzerte und Skinheadtreffen beziehen, sowie Interviews mit Skinheadbands. Sie werben aber auch für Tonträger, Szeneartikel oder andere Fanzines. Die Publikationen haben einen geringen, meist regional begrenzten Verteilerkreis. Der Verkauf von Fanzines erfolgt überwiegend auf Konzerten, über Vertriebe und Szene-Läden sowie von Hand zu Hand. Manche Fanzines können direkt beim Herausgeber oder per Internet bestellt werden. Fanzines in gedruckter Form haben stark an Bedeutung verloren; sie werden zunehmend im Internet veröffentlicht.



Bundesweit belief sich 2006 die Anzahl der Fanzines auf etwa 10, nachdem 2005 noch ca. 20 veröffentlicht worden waren. In Thüringen erschien im Berichtszeitraum weiterhin „Ratatösk – Das Fanzine aus der Wartburgstadt“ (Eisenach). Das von Thorsten HEISE veröffentlichte Online-Fanzine „Die Streiche von Max und Moritz“ wurde 2006 nicht aktualisiert.



4. Neuer Nationalsozialismus (Neonazismus)



4.1 Ideologischer Hintergrund



Neonationalsozialisten (Neonazis) fordern die Errichtung einer Staatsform und einer „Volksgemeinschaft“, die dem Programm der „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“ (NSDAP) von 1920 entsprechen. In ideologischer Hinsicht orientieren sie sich am 25-Punkte-Programm der NSDAP und HITLERs Buch „Mein Kampf“. Sie propagieren einen totalitären Staat auf der Grundlage des Elite- und Führerprinzips, der die eigene Rasse anderen gegenüber als höherwertig ansieht und das deutsche Volk vor „rassisch minderwertigen Ausländern“ sowie vor einer „Volksvermischung“ bewahren will. Neonazis streben die Wiederzulassung der NSDAP an, um ein „Viertes Reich“ zu gründen, das unter Ausschluss von Ausländern und Juden nach Eingliederung der ehemaligen deutschen Ostgebiete das „Großdeutsche Reich“ wiederauferstehen lässt.



Die Neonaziszene verfügt ebenso wenig über eine einheitliche, in sich geschlossene Ideologie wie der „historische Nationalsozialismus“. Obwohl von regionalen „Führungskadern“ oder anderen Rechtsextremisten Schulungsveranstaltungen durchgeführt werden, hat das Gros der deutschen Neonazis nur eine geringe Kenntnis vom Nationalsozialismus. Die Ansichten der Neonazis setzen sich aus ideologischen Versatzstücken nationalsozialistischer und gewaltverherrlichender Rhetorik und Symbolik sowie subkulturellen Elementen zusammen. Es erweist sich zunehmend als schwierig, zwischen der politisch-ideologisch geprägten Neonaziszene einerseits und der subkulturell geprägten Skinheadszene andererseits zu unterscheiden. Zwischen beiden Spektren des rechtsextremistischen Lagers sind die Übergänge fließend, und es bestehen starke personelle Überschneidungen. Was den meisten Neonazis an weltanschaulich-ideologischem Wissen fehlt, wird von ihnen durch eine provozierende und aggressive Haltung nach außen kompensiert. Da sich die Neonazis auf führende Personen der nationalsozialistischen Diktatur, auf deren Symbole und Riten berufen, geht von ihnen ein hohes Provokationspotenzial aus.



Neonazis betrachten ihre Umwelt aus der Sicht rassistisch unterlegter „Freund-Feind“-Kategorien. Sie sind der Überzeugung, sich in einem permanenten Kampf gegen das angeblich übermächtige „Weltjudentum“ zu befinden, das sie Außenstehenden gegenüber mit der Kurzformel ZOG[20] verschleiern. Ihrer Ansicht nach werden die westlichen Regierungen – insbesondere die der USA und Deutschlands – vom „internationalen Finanzjudentum“ gesteuert und unterstützten dessen Streben nach der Weltherrschaft. Als Chiffre für diese Behauptung wird von ihnen der Begriff „amerikanische Ostküste“ verwendet.



4.2 Organisationsformen der Neonaziszene im Allgemeinen



Neonazis sind in einer Vielzahl rechtsextremistischer Organisationen und Gruppierungen aktiv sowie meist regional und in lockeren Strukturen organisiert. Die „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“ (HNG)[21] stellt die einzige größere bundesweit agierende neonazistische Organisation dar. Darüber hinaus bestehen weitere kleinere neonazistische Vereine. Viele Neonazis sind inzwischen auch der NPD beigetreten.



Nachdem Anfang der neunziger Jahre mehrere neonazistische Organisationen verboten worden waren, reagierten die Neonazis mit zwei verschiedenen Gegenstrategien. Auf der Suche nach Organisationsformen fand sich ein Teil der Neonazis, die sich selbst als „Freie Nationalisten“ bezeichnen, in unabhängigen Kameradschaften („Organisierung ohne Organisation“) zusammen. Andere Neonazis fanden unter dem „legalen Dach“ der NPD Unterschlupf und nutzten deren Parteienprivileg für eigene Aktionen.



Die Zusammenarbeit zwischen der NPD und Neonazis wird auch als „Nationaler Widerstand“ bezeichnet. Dieser von der NPD proklamierte und auch von Teilen der Neonaziszene verwendete Begriff bezeichnet den Willen von Rechtsextremisten, gemeinsam organisationsübergreifend gegen das politische System der Bundesrepublik und die sie tragenden Kräfte vorzugehen. Während des letzten Jahrzehnts war das Verhältnis zwischen der NPD und den Neonazis sowohl von Annäherung als auch von Abgrenzung gekennzeichnet. Vor allem während des gegen sie gerichteten Verbotsverfahrens ging die NPD auf Distanz zu ihrem Bündnispartner. Im Jahr 2004 leitete die zwischen der NPD und Teilen der Neonaziszene getroffene Absprache, künftig offen zusammen zu arbeiten, eine neue Entwicklung ein. Sie erreichte in dem Konzept, die extreme Rechte in einer „Volksfront von Rechts“ zusammenzuschließen, ihren Höhepunkt.[22]


Konzept der „Freien Kameradschaften“



Die dominierende Organisationsform der Neonaziszene bildete viele Jahre die „Freie Kameradschaft“. Kameradschaften sind in den meisten Bundesländern vorhanden, obwohl führende und andere Neonazis in vergleichsweise großer Zahl in den letzten Jahren in die NPD eingetreten sind. Diese Neonazis engagieren sich nun vorwiegend in der NPD; oft betätigen sie sich sowohl in dieser Partei als auch in einer Kameradschaft. Das Konzept der „Freien Kameradschaften“ sieht vor, sowohl als kleine autonome Einheiten auf meist lokaler bzw. regionaler Ebene zu agieren als auch sich über technische und personelle Kontakte überregional zu vernetzen. Aufgrund ihres informellen Charakters sollen den Behörden weniger Angriffspunkte geboten werden, gegen die Kameradschaften vorzugehen. Obwohl Kameradschaften meist keine oder nur geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie dennoch kraft einer verbindlichen Funktionsverteilung deutlich strukturiert. Sie werden durch die Bereitschaft gekennzeichnet, gemeinsam politische Arbeit in der Absicht zu leisten, neonazistisches Gedankengut zu verbreiten. Die Verfassungsschutzbehörden sprechen dann von einer neonazistischen „Kameradschaft“, wenn die jeweilige Gruppierung die folgenden Merkmale aufweist:



· ein abgegrenzter Aktivistenstamm mit beabsichtigter geringer Fluktuation,

· eine lediglich lokale oder maximal regionale Ausdehnung,

· eine zumindest rudimentäre Struktur und

· die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf Basis einer rechtsextremistischen, insbesondere neonazistischen Grundorientierung.



Mehrere Gruppierungen versuchen, die Beschränkung auf einen lokalen Wirkungskreis auszugleichen, indem sie sich zu Aktionsbündnissen und -büros zusammenschließen. Diese sollen dazu beitragen, die Mobilisierung zu verbessern und gemeinsame Projekte zu entwickeln. Sie sind teilweise über Internetseiten vernetzt, werden aber – von Ausnahmen abgesehen – ihrem Koordinierungsanspruch nicht gerecht.



Jugendcliquen/Mischszene[23]



Neben den angesprochenen Organisationsformen, bei denen zumindest ansatzweise Strukturen zu erkennen sind, bestehen weitere Szenen, in denen Neonazis Aktivitäten entfalten. Der Mangel an attraktiven sozialen Alternativen (besonders im ländlichen Raum) sowie Kameradschaft untereinander führen oftmals zur Bildung von Jugendcliquen bzw. Mischszenen, die kaum noch erkennbare Strukturen aufweisen und in denen die Übergänge zum Bereich der subkulturell geprägten Rechtsextremisten (meist Skinheads) fließend sind.



Auch diese Jugendcliquen verwenden mitunter die Bezeichnung „Kameradschaft“ für sich. In einigen Fällen wird der Zusammenhalt auch durch martialisch klingende Phantasienamen beschworen. Solche überwiegend regionalen, subkulturell geprägten Cliquen treffen sich u.a. in Privatwohnungen und Gaststätten, an Tankstellen, Garagenkomplexen und anderen öffentlichen Räumen. Deren Mitglieder verfügen meist über eine rechtsextremistische Grundeinstellung. Im Vordergrund der Cliquen stehen jedoch gemeinsame Freizeitaktivitäten, insbesondere die Teilnahme an rechtsextremistischen Demonstrationen und Konzerten, und gemeinschaftliches Auftreten. Diesen Cliquen mangelt es oft entweder an einem abgegrenzten Aktivistenstamm oder an einer zumindest rudimentären Struktur, die auch gebietet, sich dauerhaft zu engagieren. Die Anzahl der Personen, die sich solchen Cliquen angeschlossen haben, schwankt. Mitunter fallen diese Cliquen durch provokatives Verhalten in der Öffentlichkeit auf, dessen Folgen auch Propagandadelikte, Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen sein können.



4.3 Personenpotenzial und Ausdrucksformen des Neonazismus in Thüringen



4.3.1 Personenpotenzial



Die Anzahl der Neonazis sank von etwa 230 im Jahr 2005 auf ca. 200 im Berichtszeitraum ab, da erneut etliche der NPD beigetreten sind und sich nunmehr vorwiegend in dieser Partei engagieren. Zahlreiche Neonazis gehören zugleich der NPD und einer Kameradschaft an. Bundesweit stieg hingegen die Zahl der Neonazis von 4.100 auf 4.200 Personen leicht an.



Die Thüringer Neonazis sind etwa zu 50 % zwischen 20 und 24 und zu 25 % zwischen 25 und 30 Jahre alt; nur an die 10 % sind älter. Etwa 15 % sind jünger als 20 Jahre, ca. 17 % weiblich. Lokale Aktionsschwerpunkte der Neonazis bildeten 2006 die Städte Eisenach, Weimar und Altenburg. Regional übergreifende Strukturen, die das neonazistische Spektrum umfassen, haben sich in Thüringen nach wie vor nicht herausgebildet.

4.3.2 Das Verhältnis zwischen Thüringer Neonaziszene und NPD[24]

In Thüringen arbeiten die Neonazis und die NPD seit Jahren offen zusammen. Die personellen und aktionistischen Verflechtungen zwischen dem neonazistischen Spektrum und der NPD sind sehr eng. Sie kooperieren insbesondere im Zusammenhang mit Veranstaltungen, die gemeinsam organisiert und durchgeführt werden.



Inzwischen traten fast alle führenden Thüringer Neonazis in die NPD ein, in der viele von ihnen auch Funktionen übernahmen. Diese Entwicklung setzte sich auch im Berichtszeitraum insofern fort, als Neonazis zahlreiche Ämter im Landesvorstand oder in den Kreisverbänden übernahmen: Der seit Jahren vor allem in Arnstadt agierende Neonazi Sven GEYER wurde im Februar zum Vorsitzenden des neugegründeten Kreisverbands Ilmkreis, Patrick WIESCHKE, der aktivste Thüringer Neonazi, im Februar/März zum stellvertretenden Vorsitzenden des Kreisverbands Wartburgkreis gewählt. Außerdem wurde WIESCHKE im Juli zum Landesgeschäftsführer der NPD bestimmt und auf dem Landesparteitag als Beisitzer in den Landesvorstand gewählt. Im April stieg der langjährige Neonazi Sebastian REICHE zum Vorsitzenden des neu gegründeten Kreisverbands Gotha auf. Dieser Trend wirkte auch auf die Zusammensetzung des auf dem Landesparteitag der NPD am 1. Juli neu formierten Landesvorstands ein, dem nunmehr neben WIESCHKE auch REICHE und der Neonazi Hendrik HELLER, der Vorsitzende des Kreisverbands Wartburgkreis, als Beisitzer angehören.[25]



Diese Entwicklung zeigt auf, in welchem starken Maße führende Neonazis in Thüringen in die Strukturen der NPD integriert worden sind. Außer ihnen traten auch andere Anhänger des aktionsorientierten rechtsextremistischen Spektrums der NPD bei. Mit ihrer Strategie, alle Auszweigungen auf der extremen Rechten unter ihrer Führung in einer „Volksfront von Rechts“ zu vereinen, ist es der NPD in Thüringen im Laufe eines längeren Prozesses gelungen, das neonazistische Spektrum weitgehend zu integrieren. Das neonazistische Spektrum hat im Freistaat seine eigenständige Bedeutung innerhalb des rechtsextremistischen Lagers zu Gunsten der NPD eingebüßt, nachdem dessen Wortführer der NPD beigetreten sind und in führenden Positionen dazu beitragen, die Neonazis an die NPD zu binden und deren Aktionen zu unterstützen. Taktische und strategische Überlegungen dürften in Thüringen meistens nur noch von der NPD ausgehen, wenn auch Neonazis an ihnen einen Anteil haben und mit ihrem Gedankengut auch die NPD beeinflussen.

4.3.3 Internet/Publikationen

Internet



Da im neonazistischen Spektrum feste Strukturen oft nicht vorhanden sind, kommt der Nutzung von klassischen und modernen Medien eine besondere Bedeutung zu. Insbesondere das Internet wird von Neonazis intensiv eingesetzt, um sich selbst darzustellen, rechtsextremistische Ansichten zu verbreiten und Informationen weiterzugeben. Interessenten können über dieses Medium den Kontakt zu den „Freien Gruppen im Thüringer Widerstand“ aufnehmen.



Die Internetangebote fluktuieren stark. Einige Websites sind vorübergehend offline, verschwinden gänzlich aus dem Netz oder erscheinen später wieder auf einem neuen Speicherplatz. Teilweise werden die Seiten einmal ins Netz gestellt, um danach nur sehr sporadisch oder gar nicht aktualisiert zu werden. Manche Websites werden aus aktuellem Anlass lediglich vorübergehend betrieben.



Für das neonazistische Spektrum sind u.a. die Websites des „Aktionsbüros – Koordinierungsstelle für den Widerstand in Thüringen“, einer Internetplattform von Gruppen und Einzelpersonen aus dem Spektrum der „Freien Nationalisten“ Thüringens, des „Nationalen Widerstands Jena“ (NWJ) sowie der „Kameradschaft Zella-Mehlis“ von Bedeutung.



Publikationen



Obwohl Thüringer Rechtsextremisten elektronische Medien wie das Internet bevorzugt als Kommunikationsmittel einsetzen, verwenden sie zunehmend auch selbst hergestellte Publikationen, um auf sich aufmerksam zu machen und Informationen zu verbreiten. Sie werden in gedruckter Form verteilt, zum Teil aber auch in das Internet eingestellt.



Auch im Berichtszeitraum wurden in Thüringen sowohl vom neonazistischen Spektrum als auch von der NPD Publikationen bzw. Flugblätter hergestellt und verteilt. Sie kritisieren meist die etablierten Parteien und geben vor, für die Interessen und die Probleme der „kleinen Leute“ eintreten zu wollen. Vorwiegend griffen die Verfasser Themen mit lokaler und regionalpolitischer Bedeutung auf, um abstrakt gegen „die Politik“ zu polemisieren und im Sinne ihres vom Lagerdenken geprägten Weltbildes („Wir, das Volk – Ihr, die Politiker“) gegen politische Mandatsträger und Entscheidungsprozesse zu agitieren. Indem sich die Rechtsextremisten auf lokale oder regionale Themen konzentrieren, die für die Einheimischen sowohl einen hohen Reiz- als auch Identifikationswert besitzen, versuchen sie gezielt, ein politisches Angebot an „Unzufriedene“ zu lancieren. Zugleich bemühen sie sich, eine plumpe Agitation und eine aggressive Propaganda zu vermeiden, um potenzielle Interessenten nicht abzuschrecken.



Folgende Publikationen wurden von Angehörigen des neonazistischen Spektrums, die zum Teil auch der NPD angehören, herausgegeben:



„Der Rennsteig Bote“



„Der Rennsteig Bote“, der auch im Internet abgerufen werden kann, wurde erstmals im April/Mai 2005 festgestellt. Im Berichtszeitraum sind drei Ausgaben erschienen. Die Initiatoren der Zeitung verfolgen das Ziel, ergänzend zu den „gleichgeschalteten Medien“ über „aktuelle Geschehnisse im Landkreis Gotha zu informieren und (mit) unabhängigen Informationen zu Politik, Wirtschaft, Geschichte und Kultur“ aus der Sicht der Szene aufzuklären. Sie greifen daher regionale Themen auf und verweisen auf lokale Veranstaltungen des rechtsextremistischen Spektrums. Federführend ist der Neonazi Patrick WIESCHKE.



„Der Wartburgkreis Bote“



WIESCHKE trägt ebenfalls die Verantwortung für das „Unabhängige Mitteilungsblatt für Eisenach & Umgebung – Der Wartburgkreis Bote“, das zum ersten Mal zeitgleich mit der im Januar eröffneten Website „Arbeitsgruppe Bürgerbeteiligung“ („Der Wartburgkreis Bote“) herausgegeben wurde. Auch dort werden regionalpolitische Themen aufgegriffen. Die „Arbeitsgemeinschaft“ will mit einer Politik, die ausschließlich auf „deutsche Interessen und Menschen“ ausgerichtet ist, einen Gegenpol zur etablierten Kommunalpolitik bilden. „Der Wartburgkreis Bote“ wird eigenen Angaben zufolge jeden zweiten Monat herausgegeben; die Höhe der Auflage soll sich angeblich auf 22.000 Exemplare belaufen.



Im Juni/Juli erschien in der dritten Ausgabe des „Wartburgkreis Boten“ eine Annonce, mit der für eine „nationale Jugendgruppe“ eine „günstige Immobilie auf Mietkaufbasis“ gesucht wurde. Diese Annonce deutet auf die ständigen Bemühungen der rechtsextremistischen Szene hin, für ihre Aktivitäten geeignete Immobilien zu erwerben oder zu mieten.



Am 25. Oktober und am 21. November fanden in Eisenach unter der Leitung des Oberbürgermeisters Einwohnerversammlungen statt, an denen sich Redakteure des „Wartburgkreis Boten“, darunter auch Patrick WIESCHKE, beteiligten. Sie ergriffen mehrfach das Wort, schlugen Änderungen vor und übten Kritik am „Leitbild für die Stadt Eisenach“. Diese Aktionen sind ein Beispiel dafür, auf welche Weise die rechtsextremistische Szene in Thüringen 2006 die „Wortergreifungsstrategie“ praktisch in die Tat umsetzte.[26]



„Bürgerstimme! Mitteilungsblatt freier Kräfte der Region Erfurt-Arnstadt“



Im Berichtszeitraum wurden u.a. in Erfurt drei Ausgaben der Schrift „Bürgerstimme! Mitteilungsblatt freier Kräfte der Region Erfurt-Arnstadt“ verteilt. Dieses „freie, unabhängige und kostenlose Mitteilungsblatt“, als dessen verantwortlicher Herausgeber der Erfurter Neonazi Patrick PAUL im Impressum aufgeführt wird, erscheint nach eigenen Angaben alle zwei Monate. Das Mitteilungsblatt weist nicht nur auf Termine der rechtsextremistischen Szene hin, sondern enthält auch Artikel, aus denen die fremdenfeindliche und rassistische Gesinnung der Verfasser deutlich hervorgeht.



4.4 Organisationsformen der Neonaziszene in Thüringen



4.4.1 Kameradschaften



Bundesweit bestehen etwa 160 Kameradschaften. In Thüringen wurden im Berichtszeitraum Aktivitäten folgender Kameradschaften bekannt. Weitere Gruppierungen mit lockeren Strukturen, die rechtsextremistische Aktivitäten entfalteten, werden im Kapitel 4.4.3 behandelt.



„Kameradenkreis um Patrick WIESCHKE“


auch: „Kameradschaft Eisenach“, „Nationaler Widerstand Eisenach“
früher: „Sektion Eisenach des THS“/NSAW
Sitz: Eisenach
Mitglieder: ca. 20
Führungsperson: Patrick WIESCHKE



Dieser Personenkreis, der ca. 20 Personen umfasst, ist das Relikt der früheren, von WIESCHKE geführten „Sektion Eisenach“ des ehemaligen „Thüringer Heimatschutzes“ (THS). Diese Sektion nannte sich früher auch „Nationales und Soziales Aktionsbündnis Westthüringen“ (NSAW); diese Bezeichnung wird mitunter heute noch benutzt. Der Name „Kameradschaft Eisenach“ wird nach wie vor am häufigsten verwendet, obwohl wiederholt die Bezeichnung „Nationaler Widerstand Eisenach“ auftauchte, um den gemeinsamen organisationsübergreifenden Protest von NPD und Neonaziszene öffentlich zu demonstrieren.



Patrick WIESCHKE ist einer der aktivsten Neonazis in Thüringen, der bereits früher in der NPD Funktionen innehatte und als stellvertretender Landesvorsitzender der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) amtierte, jedoch im Mai 2002 aus der NPD austrat. Zu diesem Zeitpunkt war er u.a. wegen Anstiftung zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und Sachbeschädigung in einer Berufungsverhandlung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Nachdem er im Mai 2004 aus der Haft entlassen worden war, entfaltete er in der rechtsextremistischen Szene Thüringens abermals zahlreiche Aktivitäten. Seither ist es ihm gelungen, sich unter den Thüringer Neonazis als einer ihrer „führenden Köpfe“ zu profilieren. Inzwischen ist WIESCHKE der NPD wieder beigetreten; seit Februar/März 2006 amtiert er als stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbands Wartburgkreis. Auf dem Landesparteitag der NPD wurde er als Beisitzer in den Landesvorstand gewählt. Darüber hinaus wurde er zum Landesgeschäftsführer der Partei bestimmt. Nachdem WIESCHKE der NPD beigetreten ist, haben die Aktivitäten der „Kameradschaft Eisenach“ abgenommen. Seither engagiert sich das von WIESCHKE geführte lokale rechtsextremistische Spektrum zumeist innerhalb der NPD.



Am 20. Januar organisierte WIESCHKE in einer Eisenacher Gaststätte, die bereits als Trefflokal der „Kameradschaft Eisenach“ bekannt war, eine Saalveranstaltung, bei welcher der bundesweit bekannte Neonazi Thorsten HEISE vor etwa 60 Rechtsextremisten als Redner auftrat.



„Kameradschaft Eichsfeld“


auch: „Kameradschaft Northeim“
Sitz: Fretterode
Mitglieder: ca. 20
Führungsperson: Thorsten HEISE



Die „Kameradschaft Northeim“ wurde 1995 von dem Neonazi Thorsten HEISE gegründet. Seit er im Oktober 2002 von Niedersachsen nach Fretterode umgezogen ist, finden auf seinem Anwesen wöchentlich „Kameradschaftsabende“ statt, an denen in der Regel 15 bis 20 Personen teilnehmen. Über HEISE unterhält die Kameradschaft Kontakte zu Rechtsextremisten in anderen Bundesländern. Die Angehörigen der Kameradschaft nehmen an szenetypischen Veranstaltungen, vor allem außerhalb Thüringens, teil; im Freistaat traten sie hingegen öffentlich nur selten auf. Am 7. Oktober beteiligten sie sich in Nordhausen an einer Demonstration der NPD mit einem Transparent, dessen Aufschrift „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht! – Kameradschaft Northeim“ lautete.



HEISE zählt zu den bekanntesten deutschen Neonazis. Er war Landesvorsitzender der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) in Niedersachsen, die bis zu ihrem Verbot im Jahre 1995 über ein Jahrzehnt eine der auffälligsten neonazistischen Organisationen in der Bundesrepublik darstellte. HEISE betreibt den Versandhandel „W&B Records“, der u.a. Bild- und Tonträger, Geschenkartikel und Militärkleidung in großem Umfang anbietet. Mit seinem Vertrieb ist er auch im Internet aktiv.[27]



Nachdem sich die Führung der NPD im September 2004 für eine „Volksfront von Rechts“ ausgesprochen hatte, trat HEISE mit zwei weiteren bundesweit agierenden Protagonisten der Neonaziszene in die NPD ein. Kurz darauf wurde er in den Bundesvorstand gewählt, um die Zusammenarbeit zwischen der NPD und „freien Kräften“ zu fördern. HEISEs Aufstieg in den Bundesvorstand erhöhte die Akzeptanz des Thüringer Landesverbands innerhalb des neonazistischen Spektrums. Seit Mai 2005 gehört HEISE als Beisitzer auch dem Landesvorstand an.



Den einschlägig vorbestraften HEISE verurteilte das Amtsgericht Northeim/Niedersachsen am 23. Februar 2006 wegen der Produktion und Einfuhr des volksverhetzenden Tonträgers „Komm zu uns!“ der Band „Sturm 18“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und der Ableistung von 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Außerdem ordnete das Gericht an, die sichergestellten 3.000 CDs einzuziehen. Da HEISE eine weitere Lieferung von 3.000 CDs verkauft hatte, sollen von seinem Vermögen 15.510 Euro als Wertersatz eingezogen werden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Im Sommer 2006 ließ HEISE auf seinem Grundstück in Fretterode das Denkmal des I. Panzerkorps der ehemaligen Waffen-SS wiedererrichten, das im April 2004 von Unbekannten in Marienfels/Rheinland-Pfalz zerstört worden war.



„Braune Aktionsfront Thüringen“ (B.A.F.)


Sitz: Region Weimar und Apolda
Mitglieder: etwa 35
Führungsperson: u.a.: Martin RÜHLEMANN



Zahlreiche rechtsextremistische Aktionen gehen in Weimar nach wie vor von der Gruppierung „Braune Aktionsfront Thüringen - Sektion Weimar“ (B.A.F.) aus, die seit 2003 aktiv ist und sich auch im Internet präsentiert. Ihre Angehörigen organisierten im Berichtszeitraum Flugblattaktionen und besuchten Orte, die von Rechtsextremisten zur Glorifizierung ihrer Ideologie missbraucht werden. So legte die Gruppierung u.a. im April an der Grabstätte von Rudolf HEß im bayerischen Wunsiedel ein Blumengebinde nieder, um den Stellvertreter Adolf HITLERs zu ehren.



Nach dem gewalttätigen Übergriff auf eine Familienfeier von Mosambikanern und Kubanern am 25. Mai in Weimar verteilten Angehörige der rechtsextremistischen Szene Mitte Juni unter dem Titel „Nun geht die Hetzjagd richtig los...“ Flugblätter an Haushalte in Weimar, die von der „Braunen Aktionsfront Thüringen - Sektion Weimar“ unterzeichnet worden waren. Die Schuld für die Auseinandersetzung liege, behaupteten die Verfasser des Flugblatts, bei den „Negern“. Man werde nicht akzeptieren, „als Deutsche zu Freiwild im eigenen Land zu werden“, nur weil „derzeit ein überzogener ‚Rassismuswahn‘ in der BRD“ herrsche.



Die Personen, die der B.A.F. zugehören, sind mit dem Kreisverband Weimar-Weimarer Land der NPD eng verbunden, da der Wortführer der Gruppierung, Martin RÜHLEMANN, in die NPD eingetreten ist und seit Mai 2005 auch dem Vorstand des Kreisverbands angehört.



Im Raum Apolda agiert die „Braune Aktionsfront Thüringen - Sektion Apolda“. Im März konnten Flugblätter festgestellt werden, die mit „Kameradschaft Apolda“ und „B.A.F. Thüringen Sektion Apolda“ unterzeichnet waren.



„Kameradenkreis um Thomas GERLACH“


auch: „Nationale Sozialisten Altenburger Land“
Sitz: Region Altenburg
Mitglieder: etwa 20
Führungsperson: u.a. Thomas GERLACH



Ende 2004/Anfang 2005 bildete sich die neonazistische Gruppierung „Nationale Sozialisten Altenburger Land“ heraus, die auch unter den Bezeichnungen „Bürgerinitiative Altenburger Land“, „Bürgerinitiative Schöner Wohnen Altenburger Land“ oder „Initiative – Meinungsfreiheit auch für Deutsche“ bzw. „Bürgerinitiative – Gegen das Vergessen“ Aktionen entfaltet.



Als Anführer der Gruppierung gilt der langjährige Rechtsextremist Thomas GERLACH aus dem Raum Altenburg, der sowohl der organisierten Neonazi- als auch der Skinheadszene zuzurechnen ist. Er bezeichnet sich als „Freier Nationalist“, der dem „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ (KDS) ebenso angehört wie dem von Rechtsextremisten initiierten „Freundeskreis Halbe“ (FKH). Er verfügt über zahlreiche Kontakte zu Rechtsextremisten im In- und Ausland. Wie im Internet berichtet wurde, nahm GERLACH am 17. September als Vertreter des KDS an einem Bundesparteitag der „Partei national Orientierter Schweizer“ (PNOS) teil. Bereits im November 2005 gehörte er zu den Personen, die sich an einem „Nationalisten-Treffen“ in Lissabon beteiligten. Darüber hinaus kommuniziert GERLACH in zahlreichen rechtsextremistischen Internetforen.



GERLACH beging mehrfach Propagandadelikte und Körperverletzungen. Die Gruppierung „Nationale Sozialisten Altenburger Land“ begann Aktivitäten zu entwickeln, nachdem GERLACH im Oktober 2004 eine mehrjährigen Haftstrafe wegen schwerer Körperverletzung verbüßt hatte.



Die Gruppierung „Nationale Sozialisten Altenburger Land“ war im Internet als Ausrichter des 5. „Thüringentags der nationalen Jugend“ in Altenburg benannt worden, an dem sich bis zu 250 Rechtsextremisten beteiligt hatten.[28]

4.4.2 Vereine

Bundesweit bestehen zahlreiche rechtsextremistische Vereine, die unterschiedliche Ziele verfolgen und historische, politische oder gesellschaftliche Themen aufgreifen. Viele von ihnen sind in das Vereinsregister eingetragen. Auch Thüringer Rechtsextremisten gründeten in der Vergangenheit rechtsextremistische Vereine bzw. entfalteten entsprechende Aktivitäten. So waren 2005 der „Toringi-Verein zur Thüringer Brauchtumspflege e.V.“ und der Verein „Nationalisten für Kinderrechte“ aktiv. Beide Vereine waren vermutlich Versuche lokaler Rechtsextremisten, um zu erkunden, inwieweit es ihnen die Gründung von Vereinen erleichtert, Räume zu mieten oder ihre wirklichen Ziele zu verschleiern. Die genannten Vereine traten 2006 nicht mehr in Erscheinung. Der „Toringi-Verein“ stellte seine Aktivitäten ein, nachdem dessen Vereinsräume von den Ordnungsbehörden im Dezember 2005 geschlossen und versiegelt worden waren.



In einzelnen Fällen engagierten sich Rechtsextremisten u.a. in Feuerwehren und Sportvereinen. Auch in Traditionsvereinen sowie in Vereinen, die sich der Denkmalpflege widmen, sind Rechtsextremisten vertreten. Diese Vereine verfolgen für gewöhnlich keine politischen Ziele. Rechtsextremisten haben in Thüringen bisher nur vereinzelt den Versuch unternommen, Vereine gezielt zu unterwandern bzw. Vereine zu gründen, um rechtsextremistische Aktivitäten zu entfalten. Vermutlich werden sie künftig jedoch mehr als bisher anstreben, sich mit dem Ziel in Vereinen zu betätigen, dort Kontakte zu Personen aufzunehmen, die dem rechtsextremistischen Lager nicht angehören, Berührungsängste abzubauen und für ihre politischen Absichten zu werben.






„Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“ (HNG)


Gründungsjahr: 1979
Sitz: Frankfurt/Main
Mitglieder
bundesweit: ca. 600
Thüringen: etwa 15
Publikation: „Nachrichten der HNG“



Die HNG stellt die mitgliederstärkste, neonazistische Organisation in Deutschland dar. Sie zählt etwa 600 Mitglieder, von denen etwa 15 aus Thüringen stammen. Ihre Hauptaufgabe sieht die HNG darin, „nationale Gefangene“ zu betreuen, um diese nach ihrer Haftentlassung der rechtsextremistischen Szene zu erhalten. Ein Großteil der Mitglieder der HNG gehört noch anderen rechtsextremistischen Organisationen an. Infolgedessen bildet die HNG ein Bindeglied innerhalb der zersplitterten neonazistischen Szene, deren Bedeutung für die Szene inzwischen jedoch zurückgegangen ist. Sie gibt monatlich die Publikation „Nachrichten der HNG“ mit einer Auflage von etwa 700 Exemplaren heraus. In der Publikation soll anhand von Berichten über „Repressionen“ gegenüber „nationalen Gefangenen“ im Justizvollzug die angebliche politische Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland dokumentiert werden.



Die Jahreshauptversammlung der HNG fand am 18. März in Dillstädt/Landkreis Schmalkalden-Meiningen statt. An der Veranstaltung nahmen fast 200 Personen teil, die nahezu aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren.

4.4.3 Sonstige

Neben den aufgeführten Gruppierungen bestehen in Thüringen weitere lockere Personenzusammenschlüsse, von denen rechtsextremistische Aktivitäten ausgehen.



„Hausgemeinschaft ‚Zu den Löwen‘“ in Jena-Lobeda



Die „Hausgemeinschaft ‚Zu den Löwen‘“ bezeichnet einen Personenzusammenschluss von Thüringer Rechtsextremisten, die ein Gebäude in Jena-Lobeda bewohnen. Die Räumlichkeiten werden von der rechtsextremistischen Szene für Vortragsabende, Kameradschaftstreffen, Schulungen oder Liederabende genutzt. Das von den Bewohnern als „Hausgemeinschaft ‚Zu den Löwen‘“ (HGM) bzw. – zumindest in den Anfangsjahren – auch als „Braunes Haus“ bezeichnete Objekt dient der rechtsextremistischen Szene ebenfalls als Anlaufstelle für ihre Anhänger und soll damit der Zersplitterung der Szene entgegenwirken. In dem Gebäude befinden sich auch die Geschäftsstellen des Kreisverbands Jena der NPD und des Landesverbands der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN).



Rechtsextremistische Jugendcliquen/Mischszene[29]



Neonazistische Aktivitäten gehen in Thüringen ebenfalls von Personenzusammenschlüssen und regional agierenden Aktivisten aus, die für Veranstaltungen jeweils ein bestimmtes Personenpotenzial aus ihrem Umfeld mobilisieren können. Im Internet, auf Transparenten und Flugblättern sowie als Unterstützergruppen für rechtsextremistische Aktivitäten erscheinen immer wieder die Bezeichnungen „Kameradschaft Leinefelde“, „Nationaler Freundeskreis Sondershausen“, „Nationaler Widerstand Sömmerda“/„Kameradschaft Sömmerda“, „Freie Kräfte Erfurt“ (FKE)/„Freie Aktivisten Erfurt“ (FAE), „Kameradschaft Blankenhain“, „Freie Nationalisten Friedrichroda“, „Zukunft – Perspektive – Heimat Bad Salzungen“ („Z-P-H Bad Salzungen“)/„Kameradschaft Bad Salzungen“, „Kameradschaft Breitungen“, „Aktionsgruppe Rennsteig“, „Nationaler Jugendbund Ilmenau“, „Freie Kameradschaft Ilmkreis“, „Nationale Front Thüringer Wald“/„Kameradschaft Thüringer Wald“, „Kameradschaft Zella-Mehlis“, „Autonome Nationalisten Südthüringen“, „Kameradschaft Probstzella“, „Freikorps Thüringen“ oder „Mädelring Thüringen“ (MRT)“. Kameradschaften im engeren Sinne stellen sie jedoch nicht dar. Meist mangelt es ihnen an einem abgegrenzten Aktivistenstamm, einer erkennbaren Struktur oder an der Bereitschaft, gemeinsam politische Arbeit zu leisten – mithin an Merkmalen, die eine Kameradschaft kennzeichnen. Einige Gruppierungen sind mitunter rein fiktiver Natur, andere lediglich von kurzer Dauer. Sie stehen und fallen mit dem Engagement und der Überzeugungskraft ihres jeweiligen Wortführers.



4.5 Gewaltpotenzial der Neonaziszene



Öffentliche Veranstaltungen der Neonazis verlaufen überwiegend störungsfrei, was zum Teil auf die Auflagen der Ordnungsbehörden und die massive Polizeipräsenz zurückzuführen ist. Andererseits ist die Szene aber auch bemüht, sich in der Öffentlichkeit als wählbare Alternative oder „Opfer des Systems“ darzustellen. Wenn Straftaten begangen wurden, entfielen sie größtenteils auf die „Propagandadelikte“. Mitunter kommt es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen dem rechts- und dem linksextremistischen Spektrum, das auch 2006 wiederholt gegen rechtsextremistische Veranstaltungen vorging.[30] In der Öffentlichkeit, in Zeitungen oder Flugblättern lehnen es die Neonazis meist ab, Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele zu propagieren. Solche, für die öffentliche Meinung bestimmten Äußerungen können jedoch nicht über das Gewaltpotenzial hinwegtäuschen, das in Teilen der Neonaziszene vorhanden ist. Zahlreiche Neonazis, unter denen sich viele Führungskader befinden, sind vorbestraft, weil sie Gewalttaten – oft mit allgemeinem kriminellen Hintergrund – begangen haben. Wenn die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist, kommt es sowohl gegenüber dem politischen Gegner als auch untereinander durchaus zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.



Seit einigen Jahren treten in einigen Bundesländern bei rechtsextremistischen Demonstrationen mitunter Personengruppen auf, die sich als „Autonome Nationalisten“ bezeichnen. Deren Kennzeichen sind:



· militante Kampfformen („Schwarzer Block“ und Gewaltandrohungen gegen Polizei und Gegendemonstranten),

· ein verändertes Outfit (schwarze Kleidung oder/und Vermummung),

· die Verwendung abgewandelter „linker“ Symbole und einer Sprache mit Anglizismen.



Der Zulauf, den die „Autonomen Nationalisten“ bundesweit erhalten, hält sich in Grenzen, werden sie doch auch innerhalb des neonazistischen Spektrums kritisiert. Im Unterschied zu anderen Neonazis schließen die „Autonomen Nationalisten“ aber die Anwendung militanter Kampfformen in der Öffentlichkeit nicht aus.



Auch an Demonstrationen in Thüringen nahmen Rechtsextremisten teil, die schwarze Kleidung, Sonnenbrillen oder Kapuzen trugen, um sich unkenntlich zu machen. Anlässlich einer am 7. Oktober von der NPD und „Freien Kräften“ in Nordhausen organisierten Demonstration trat erstmals eine Gruppe in Erscheinung, die ein Transparent mit der Aufschrift „Kapitalismus abschalten – Globalisierung stoppen – We will rock you – Autonome Nationalisten Südthüringen“ mit sich führte.



Zwar kann daraus noch nicht auf die Existenz einer festen Struktur von „Autonomen Nationalisten“ in Thüringen geschlossen werden. Jedoch ist diesem Spektrum aufgrund der ihm zuzurechnenden Gewaltbereitschaft eine verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen.



4.6 Aktivitäten der Neonaziszene



Das neonazistische Spektrum neigt in starkem Maße dem Aktionismus zu. Dessen Anhänger sind in einem hohen Maße bereit, an Demonstrationen mitzuwirken. Sie nehmen mitunter eine weite Anreise auf sich, um an Demonstrationen Gleichgesinnter im gesamten Bundesgebiet teilzunehmen (sog. „Demo-Tourismus“). Meist kommt es ihnen nicht so sehr auf das Motto der Veranstaltungen an. Demonstrationen vermitteln ihnen ein Gemeinschaftsgefühl, das ein wichtiges Bindeglied in der ansonsten recht schwach strukturierten Neonaziszene darstellt.



Das neonazistische Spektrum führte 2006 im Freistaat sieben eigene Demonstrationen und Kundgebungen durch, an denen sich zum Teil deutlich unter 50, aber auch bis zu 400 Personen beteiligten. Im Jahr 2005 hatte die Anzahl der Demonstrationen um ein Sechsfaches höher gelegen. Damals waren von der Szene zeitweise fast jede Woche „Montagsdemonstrationen“ veranstaltet worden, die sich gegen die Arbeitsmarkt- und Sozialreformen der Bundesregierung gerichtet, jedoch nur wenige Teilnehmer angezogen hatten. Im Jahr 2005 hatten sich an der größten, von Neonazis veranstalteten Demonstration etwa 250 Personen beteiligt. Neonazis schlossen sich im Berichtszeitraum regelmäßig Veranstaltungen an, die die NPD organisiert hatte. An vielen Veranstaltungen und Aktivitäten nahmen überwiegend dieselben Rechtsextremisten teil, denen es gleich ist, ob diese von „Freien Nationalisten“ oder von der NPD initiiert werden.



Neonazis organisierten im Berichtszeitraum nicht nur öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen, sondern auch Saalveranstaltungen, Schulungen, Flugblattaktionen und Internetauftritte. Zunehmend wendete das rechtsextremistische Spektrum 2006 die „Wortergreifungsstrategie“ an, um in Veranstaltungen anderer politischer Richtungen eigene politische Inhalte vorzutragen, die Veranstaltungen zu stören und sie – wenn möglich – in ihrem Sinne „umzufunktionieren“. Diese Entwicklung verdeutlicht, wie sehr die Propaganda der rechtsextremistischen Szene an Professionalität gewonnen hat und wie selbstbewusst sie inzwischen auftritt, um sich als politische Alternative zum „herrschenden System“ darzustellen. Solche Aktivitäten werden von 2007 an wahrscheinlich desto mehr an Intensität gewinnen, je näher die Parlamentswahlen in Thüringen im Jahr 2009 heranrücken.



Nachfolgend sind die wichtigsten Veranstaltungen des neonazistischen Spektrums in Thüringen aufgeführt:


Veranstaltungen mit Bezug auf historische Daten



Der „Terminkalender“ der Neonazis enthält Daten, an denen die Durchführung von Demonstrationen fest eingeplant ist. Zu ihnen zählen der „Führergeburtstag“ Adolf HITLERs am 20. April, der „Tag der Arbeit“ am 1. Mai, der Todestag von Rudolf HEß am 17. August und der „Heldengedenktag“ (Volkstrauertag), der im November begangen wird. Entsprechende Veranstaltungen fanden sowohl bundesweit als auch in Thüringen statt. Andere Daten, wie der Tag der „bedingungslosen Kapitulation“ am 8. Mai oder die „Reichspogromnacht“ am 9. November, werden sporadisch aufgegriffen.



Rechtsextremisten marschieren anlässlich des „Tages der Ehre“ am 11. März in Halbe/Brandenburg auf



Am 11. März fanden in Halbe zwei Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene statt, die von den Rechtsextremisten Christian WORCH aus Hamburg und Lars JACOBS aus Mecklenburg-Vorpommern organisiert und durchgeführt wurden.



WORCH veranstaltete unter dem Motto „Demokratie ist erlernbar – auch für Demokraten“ eine Kundgebung, an der sich bis zu 200 Personen beteiligten. Sie reihten sich anschließend in einen von JACOBS initiierten „Trauermarsch“ ein, dessen Motto „Die Vergangenheit strömt in hundert Wellen in uns fort“ lautete. Im Verlauf dieser Veranstaltung – der sich ca. 800 Personen angeschlossen hatten – traten ein Liedermacher und mehrere Redner auf. Zu den Teilnehmern gehörten auch Rechtsextremisten aus Thüringen.



Die zentrale Veranstaltung zum „Heldengedenken“ wird von Neonazis seit Jahren in Halbe organisiert. In der Nähe dieses Ortes fand im April 1945 die letzte große Kesselschlacht des Zweiten Weltkriegs zwischen der Wehrmacht und der Roten Armee statt. Der Soldatenfriedhof in Halbe stellt die größte Kriegsgräberstätte des Zweiten Weltkriegs in Deutschland dar. Der Ort ist deshalb für Neonazis von großer symbolischer Bedeutung.



Während der Weimarer Republik wurde 1926 der Gedenktag für die Toten des Ersten Weltkriegs eingeführt. Die Nationalsozialisten benannten den Feiertag 1934 in „Heldengedenktag“ um und bestimmten ihn zum offiziellen Staatsfeiertag, der auf den fünften Sonntag vor Ostern fiel. Der „Heldengedenktag“ bezog sich jedoch nicht nur auf jene, die im Ersten Weltkrieg gefallen, sondern auch auf die Nationalsozialisten, die im Verlauf des Putschversuchs am 9. November 1923 in München getötet worden waren. Mit den Veranstaltungen am 11. März in Halbe wollten die Rechtsextremisten an den „Heldengedenktag“ der Nationalsozialisten anknüpfen.



Die Bundesrepublik Deutschland griff den Gedenktag für die Toten des Ersten Weltkriegs wieder auf, indem sie 1952 den Volkstrauertag als nationalen Trauertag einführte, um im November der Gefallenen beider Weltkriege und der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu gedenken. Das rechtsextremistische Spektrum führt zum „Heldengedenktag“ und zum Volkstrauertag Veranstaltungen durch, um das nationalsozialistische Regime im revisionistischen Sinne von der Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg zu entlasten und die Wehrmacht zu glorifizieren.



Veranstaltungen zum 1. Mai



Traditionell war der 1. Mai der „Internationale Kampftag“ der Arbeiterbewegung. Die Nationalsozialisten führten den „Tag der nationalen Arbeit“ als gesetzlichen Feiertag ein und missbrauchten ihn für ihre Massenkundgebungen. Rechtsextremisten knüpfen an diese Tradition an und gehen an diesem Tag auf die Straße, um für ihre Leitgedanken zu agitieren.



Am 1. Mai führte die rechtsextremistische Szene mehrere dezentrale Veranstaltungen u.a. in Rostock, Leipzig (zwei Veranstaltungen), Magdeburg und Heppenheim/Weinheim durch.



An der Demonstration in Rostock, die der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern der NPD unter dem Motto „Arbeit für Deutsche“ angemeldet hatte, beteiligten sich ca. 1.300 Rechtsextremisten. Im Verlauf der Veranstaltung trat u.a. der Thüringer Neonazi Thorsten HEISE als Redner auf. Meldungen im Internet zufolge soll zudem der Thüringer Rechtsextremist Patrick WIESCHKE das Wort ergriffen haben. Die Demonstration war von der Partei zur „bundesweiten Großdemonstration“ erklärt worden, um die NPD in Mecklenburg-Vorpommern im Landtagswahlkampf zu unterstützen.



An den Demonstrationen in Leipzig, die von den bundesweit agierenden Neonazis Christian WORCH und Steffen HUPKA geleitet wurden, nahmen etwa 400 bzw. 300 Rechtsextremisten teil. Jeweils ca. 400 Rechtsextremisten schlossen sich den Demonstrationen in Magdeburg sowie in Heppenheim bzw. Weinheim an.



An den Veranstaltungen des rechtsextremistischen Lagers nahmen bundesweit insgesamt rund 3.200 Personen teil. Somit stieg die Anzahl der Teilnehmer im Vergleich mit dem Vorjahr (2.200) um etwa 1.000 Personen an. Die NPD bewertete ihre Veranstaltung in Rostock als Erfolg, weil sie die Demonstration planmäßig entlang der vorgesehenen Wegstrecke durchführen konnte. Hingegen seien die Demonstrationen in Leipzig als Fehlschlag einzuschätzen, da es den Veranstaltern nicht gelang, die im Vorfeld angekündigten 1.000 Teilnehmer zu mobilisieren und die Veranstaltungen vorzeitig aufgelöst wurden.



Gedenkveranstaltungen zum 19. Todestag von Rudolf HEß



Die Gedenkveranstaltung für den Stellvertreter HITLERs in Parteiangelegenheiten, Rudolf HEß, hat im neonazistischen Ereigniskalender eine herausragende Bedeutung erlangt. HEß war an führender Stelle daran beteiligt, den totalitären nationalsozialistischen Führerstaat zu errichten und dessen Politik durchzusetzen. Der internationale Militärgerichtshof in Nürnberg verurteilte ihn 1946 zu lebenslanger Haft. Er beging 1987 im alliierten Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau Selbstmord. Er wird von vielen Neonazis als unbeugsamer „Märtyrer“ gefeiert, der für seine Ideale lange Jahre der Gefangenschaft auf sich nahm, ohne von seiner Gesinnung abzurücken. Aus Anlass des Todestages von HEß am 17. August organisiert die rechtsextremistische Szene seit Jahren Gedenkveranstaltungen, die seit 2005 jedoch an Resonanz verloren haben.



Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) – wie bereits 2005 – das Verbot der zentralen HEß-Gedenkkundgebung im oberfränkischen Wunsiedel, wo HEß bestattet worden ist, bestätigt hatte, organisierte die rechtsextremistische Szene am 17. und 19. August in Jena, Berlin und München dezentrale Veranstaltungen, an denen sich etwa 480, 250 bzw. 200 Rechtsextremisten beteiligten, sowie kleinere Aufzüge, die in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg stattfanden. An dem so genannten Heß-Wochenende nahmen insgesamt etwa 1.200 Personen teil.



Für die durchgeführten Veranstaltungen wählten die Initiatoren größtenteils Losungen, die auf HEß nur indirekt Bezug nahmen. Auf diese Weise hofften sie, deren Verbot verhindern zu können. Meist stellten sie diese Veranstaltungen unter das Motto „Meinungsfreiheit“, um somit gegen die für das Verbot der zentralen Gedenkkundgebung in Wunsiedel herangezogenen gesetzlichen Bestimmungen zu protestieren. Nach Ansicht der Rechtsextremisten verstößt § 130 Strafgesetzbuch (Volksverhetzung) gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Artikel 5 des Grundgesetzes. § 130 Abs. 4 Strafgesetzbuch sieht vor, denjenigen mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe zu belegen, der „öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt“.



Wie bereits erwähnt fand in Thüringen am 19. August in Jena unter dem Motto „Für Meinungsfreiheit – Entweder ganz oder gar nicht“ eine Kundgebung statt, die bis zu 480 Rechtsextremisten aus Thüringen und anderen Bundesländern anzog. Die Kundgebung war vom Landesgeschäftsführer der NPD, Patrick WIESCHKE, angemeldet worden. Die rechtsextremistische Szene hatte für die Veranstaltung unter den Losungen „Für die Abschaffung von Meinungsparagraphen! Gegen die Diskriminierung und Mundtotmachung von politisch Andersdenkenden! Freiheit für alle Politischen Gefangenen! Meinungsfreiheit jetzt!“ bundesweit im Internet mobilisiert. Als Redner traten u.a. der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen RIEGER, der seit Jahren zu den aktivsten Rechtsextremisten Deutschlands zählt, Marcel WÖLL, der Vorsitzende des Landesverbands Hessen der NPD, und Ralph TEGETHOFF, einer der führenden deutschen Neonazis aus Nordrhein-Westfalen, auf.



Die Stadt Jena hatte die Veranstaltung untersagt, da sie den Aufzug als Ersatzveranstaltung für den in Wunsiedel verbotenen Aufmarsch der rechtsextremistischen Szene ansah. Gegen das Verbot legten die Veranstalter erfolgreich Rechtsmittel ein.



Thüringer Neonazis verherrlichen HEß



Die rechtsextremistische Szene in Thüringen machte für HEß größtenteils mit Transparenten, Plakaten und Aufklebern Propaganda. In Sömmerda brachten Unbekannte auf dem Soldatenfriedhof ein Plakat mit dem Bildnis von HEß und den Bemerkungen „Der Friedensflieger“ und „Der Gefangene – Es war Mord“ an. In Arnstadt, Pößneck, Nordhausen und Erfurt wurden u.a. zahlreiche Aufkleber und Plakate sichergestellt, die HEß glorifizierten. Am 19. August wurden in Weimar drei Rechtsextremisten festgenommen, als sie auf dem Theaterplatz eine Ansprache halten wollten, die sich auf HEß bezog. Ebenfalls in Weimar soll es bereits am 16. August zu einer „Flugblattaktion zu Ehren von Rudolf Hess, dem Märtyrer des Friedens“ gekommen sein.



Gedenkveranstaltungen von Rechtsextremisten zum Volkstrauertag



Das „Zentrale Heldengedenken“ fand am 18. November in Seelow/Brandenburg statt. An der Veranstaltung beteiligten sich rund 1.100 Angehörige des rechtsextremistischen Spektrums, darunter eigenen Angaben nach auch etwa 100 Personen aus Thüringen. Der „Freundeskreis Halbe“ (FKH) hatte unter dem Motto „Die Vergangenheit strömt in hundert Wellen in uns fort!“ bundesweit aufgerufen, sich an der traditionellen Veranstaltung zu beteiligen. Ursprünglich sollte das „Heldengedenken“ – wie in den letzten Jahren – in Halbe/Brandenburg stattfinden. Die Veranstaltung wurde dort jedoch abgesagt, nachdem es auch vor dem Bundesverfassungsgericht nicht gelungen war, die Durchführung der Veranstaltung als Demonstrationszug durchzusetzen.



Rechtsextremisten traten auch 2006 am Volkstrauertag organisationsübergreifend in mehreren Orten Thüringens auf. Die größte Veranstaltung führten die Kreisverbände Erfurt-Sömmerda und Gotha der NPD am 19. November in Friedrichroda durch, an der etwa 80 Rechtsextremisten teilnahmen. Angehörige des Kreisverbands Gotha und „Freie Kräfte“ aus Friedrichroda legten am Gefallenendenkmal Kränze nieder. An den am selben Tag von der NPD gemeinsam mit „Freien Kräften“ organisierten Gedenkveranstaltungen in Gera, Weimar und Gleichamberg, in deren Verlauf Kränze niedergelegt wurden, nahmen 40 bis 50 Rechtsextremisten teil. Wie in den Jahren zuvor fand am Volkstrauertag am Soldatengrab auf der Schmücke bei Oberhof eine Gedenkfeier statt, an der ca. 40 Angehörige der rechtsextremistischen Szene mitwirkten. Auch Mitglieder des Stützpunkts Erfurt der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) führten auf dem Hauptfriedhof der Stadt eine Gedenkveranstaltung durch. Sie legten am „Ehrenmal ihrer Volkshelden“ einen Kranz mit der Aufschrift „Ruhm und Ehre den tapferen gefallenen Soldaten – JN Erfurt“ nieder. Darstellungen der Szene im Internet zufolge beteiligten sich in Kleinschmalkalden/Landkreis Schmalkalden-Meiningen ein „halbes Dutzend Aktivisten“ an einer Kranzniederlegung der „Nationalen Front Thüringer Wald“. In Eisenach legten 25, in Arnstadt 50 „nationale Menschen“ an Ehrenmalen Kränze nieder. Weitere Veranstaltungen solcher Art führten Angehörige der rechtsextremistischen Szene in Bad Salzungen, Mühlhausen, Leinefelde, Hildburghausen, Heiligenstadt und Zella-Mehlis durch.



Vom neonazistischen „Aktionsbüro Thüringen“ wurde unter der Überschrift „Heldengedenken 2006 – Die Jugend bekennt sich“ im Internet über alle Aktivitäten Thüringer Rechtsextremisten am Volkstrauertag umfangreich berichtet, „damit wir den Lesern mit BRD-Mentalität eindrucksvoll dokumentieren können, welch Geist in uns wohnt“.


Veranstaltungen mit Bezug auf aktuelle Themen



Neonazis greifen nicht nur historische Daten, sondern auch Gegenwartsthemen auf, um sie in ihrem Sinne zu deuten und ihre Ansichten der Bevölkerung nahe zu bringen. Nachdem sie – ebenso wie die NPD – 2004 und 2005 vorzugsweise soziale Themen wie die Arbeitsmarktreform „Hartz IV“ und die „Agenda 2010“ in den Mittelpunkt ihrer Agitation gerückt hatten, griffen sie im Berichtszeitraum insbesondere die Themenfelder „Globalisierung“ und „Antikapitalismus“ auf und wendeten sich verstärkt kommunalen Angelegenheiten zu. Themen, die ihr rassistisches und ausländerfeindliches Gedankengut eindeutig zum Ausdruck bringen, sind hingegen in den Hintergrund getreten. Mit dieser Strategie verfolgen die Neonazis insbesondere das Ziel, diejenigen in der Bevölkerung, die von tiefgreifenden Transformationsprozessen wie der Globalisierung betroffen sind oder künftig von ihr Nachteile befürchten, für ihre politischen Ansichten einzunehmen. Mit dieser Politik wollen die Neonazis und die NPD an Akzeptanz in der Bevölkerung gewinnen und sich als politische Alternative zu den Volksparteien, zum „herrschenden System“ insgesamt anbieten. „Antikapitalistisch“ geprägte Anschauungen, die sich oft mit der Ablehnung des politischen und wirtschaftlichen Systems der Bundesrepublik decken, werden von der NPD und den Neonazis in der Absicht aufgegriffen, im Sinne einer „Querfront-Politik“ politische Lagergrenzen zu überwinden, um auch auf ein „linkes“ Protestpotenzial Einfluss zu gewinnen. Es gelte für die NPD, schrieb einer der Ideologen der Partei im Dezember in der „Deutschen Stimme“, die „Position des Antikapitalismus aus den Traditionsbeständen der Linken heraus(zu)brechen und mit nationalen Inhalten auf(zu)laden“ sowie die „immense Vertretungslücke der ‚Globalisierungsopfer‘“ zu schließen.



So beteiligten sich beispielsweise Neonazis eines „Nationalen Freundeskreises Sondershausen“ mit Transparenten und Flugblättern an den Protestaktionen, die sich gegen die geplanten Subventionskürzungen der Thüringer Theater richteten. Andere Neonazis wandten sich gegen Pläne zur Aufstellung von Windkrafträdern in der Nähe der Wartburg oder die Kindergartenpläne der Landesregierung.



Die Antiglobalisierungskampagne, die 2006 vorrangig von ostdeutschen Neonazis vorangetrieben wurde, begann in Thüringen im Januar mit Veröffentlichungen im Internet. Auf der Homepage des neonazistischen „Aktionsbüros Thüringen“ hieß es: „Freie Menschen statt freie Märkte! Kapitalistische Normalitäten angreifen! Nationale und soziale Alternativen schaffen! Konsumwahn, Verwertung, Soziale Ausbeutung, Imperialistische Unterdrückung, Massenverelendung: Dies alles sind Normalitäten im heutigen kapitalistischen System. Die Globalisierung, welche bereits in alle Lebensbereiche vorgedrungen ist, vernichtet in ganz Europa kulturelle und soziale Werte und Standards, sowie die Arbeitsplätze von Millionen Menschen. ... Dies wollen viele nationale und soziale Aktionsgruppen aus ganz Deutschland mit einer deutschlandweiten Kampagne gegen Kapitalismus und die Auswüchse der Globalisierung jetzt ändern, und unsere Alternativen eines Sozialismus in den Farben der Völker herausstellen.“



Rechtsextremisten starten mit mehreren Veranstaltungen „Antikapitalismus- und Globalisierungskampagne



Antikapitalistische Kaffeefahrt am 4. März



Am 4. März fanden in den Städten Bad Salzungen, Ilmenau und Arnstadt unter dem Motto „Freie Menschen statt freie Märkte – Menschen stehen auf in (Bad Salzungen, Ilmenau und Arnstadt) und überall“ im Rahmen einer so genannten antikapitalistischen Kaffeefahrt Kundgebungen statt, die von Patrick WIESCHKE als Veranstalter und Versammlungsleiter durchgeführt wurden. An den Kundgebungen beteiligten sich jeweils zwischen etwa 80 und ca. 110 Personen. Die Redner bezeichneten den Kapitalismus neben dem Kommunismus als die „größte Irrlehre der Welt“, der die „Nationalisten“ eine Absage erteilen. „Der nationale Sozialismus verbindet das Verlangen nach menschenwürdiger und nationaler Souveränität mit dem sozialen Gedanken“. Das „allgemeine Wohl der Einheimischen“ sollte „das oberste Gesetz im Staate sein“.


Saalveranstaltung am 18. März in Lichtenhain



Am 18. März führte Patrick WIESCHKE in Lichtenhain Bergbahn/Landkreis Saalfeld-Rudolstadt eine Saalveranstaltung durch, an der zu Beginn ca. 150, später jedoch nur noch 50 bis 60 Personen teilnahmen. Eigenen Angaben zufolge stand die Veranstaltung unter dem Motto „Kapitalistische Normalitäten angreifen“ und sollte „den Aktivisten das notwendige geistige Rüstzeug mit auf den Weg geben, damit sie in der Öffentlichkeit den Menschen die notwendige Klarsicht verschaffen können“. Die Versammlung diente als Vorbereitung auf die von WIESCHKE für den 1. April in Arnstadt angekündigte Demonstration. Als Referenten traten Rechtsextremisten auf, die u.a. die Globalisierung mit dem Weg in den Abgrund gleichsetzten.


Demonstration am 1. April in Arnstadt



Am 1. April führte Patrick WIESCHKE unter dem Motto „Freie Menschen statt freie Märkte – Menschen stehen auf in Arnstadt und überall“ in Arnstadt eine Demonstration durch, an der sich ca. 400 Rechtsextremisten aus Thüringen, Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt beteiligten. Auf der Homepage des rechtsextremistischen „Aktionsbüros Thüringen“ wurden „Freie regionale Kräfte unterstützt durch die NPD und zahlreiche freie Aktionsgruppen“ als Veranstalter angegeben.



Diese Demonstration sollte „den Auftakt einer deutschlandweiten Kampagne gegen den globalen Kapitalismus und die Auswüchse der Globalisierung darstellen, welche im Frühjahr 2006 von diversen nationalen und sozialen Aktionsgruppen aus ganz Deutschland“ gestartet werden sollte. Angaben im Internet nach wurden am 22. April in Halberstadt/Sachsen-Anhalt und am 1. Mai in Magdeburg/Sachsen-Anhalt Veranstaltungen im Rahmen dieser Kampagne durchgeführt.



Eigens für die „Antikapitalismuskampagne“ wurde im Internet eine Website eingerichtet, die sich unter der Überschrift „Zukunft statt Globalisierung“ zu einer übergreifenden Kampagnenseite entwickelte. Sie enthält Aufrufe, die für die Teilnahme an verschiedenen bundesweit geplanten Kundgebungen zu den Themen „Antiglobalisierung“ und „Antikapitalismus“ werben. Sie berichtet aber auch über Demonstrationen und andere Aktionen, die stattgefunden haben, und bietet Propagandamaterial bzw. Texte an, die heruntergeladen werden können. Die Website ruft auf, sich an „gegnerischen“ Veranstaltungen „kritisch zu beteiligen“. Deren Verfasser regen an, sich der „Wortergreifungsstrategie“ zu bedienen, eigene Transparente zu zeigen oder die Veranstaltungen – als Zeichen der Ablehnung – lautstark zu begleiten. Künftige Aktivisten sollten mit dem Ziel in Vereine und Gruppierungen – die sich ebenfalls mit der Thematik „Globalisierung und Kapitalismus“ beschäftigen – „einrücken, um auf diese Einfluss zum gewinnen“.



Auch die NPD griff die „Antikapitalismuskampagne“ auf und führte Aktionen durch, die sich auf sie bezogen.


Regelmäßig wiederkehrende Thüringer Veranstaltungen



Rechtsextremisten gedenken der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871



Am 21. Januar fanden sich in Dillstädt/Landkreis Schmalkalden-Meiningen etwa 50 Personen zu einer „Reichsgründungsfeier“ zusammen. Die Feier, die von rechtsextremistischen „Freien Kräften“ initiiert wurde, stand im Zeichen der Erinnerung an die Gründung des zweiten Deutschen Reichs am 18. Januar 1871 in Versailles. Bereits in den Jahren 2004 und 2005 hatten sich aus demselben Anlass bis zu 120 Rechtsextremisten in Ammelstädt/Landkreis Saalfeld-Rudolstadt bzw. Dillstädt getroffen.



Die Initiatoren der Veranstaltung strebten nicht nur an, an die Gründung des Deutschen Reichs zu erinnern, sondern wollten mit der Feier auch eine direkte historische Entwicklungslinie vom Deutschen Kaiserreich zur heutigen Bundesrepublik suggerieren.



„Sandro WEILKES-Gedenkmarsch“



Einen festen Platz im „Veranstaltungskalender“ der Thüringer Rechtsextremisten nimmt der „Sandro WEILKES-Gedenkmarsch“ ein, der seit 1996 im Mai jedes Jahres stattfindet und seit 1997 von der NPD organisiert wird.[31]



„5. Thüringentag der nationalen Jugend“



Am 20. Mai fand in Altenburg der nunmehr „5. Thüringentag der nationalen Jugend“ statt, welcher wiederum von „Freien Kräften“ gemeinsam mit der NPD initiiert worden war. Die Anzahl der Teilnehmer stieg im Verlauf der Veranstaltung bis auf 250 an. Rede- und Musikbeiträge der Skinheadbands „Eternal Bleeding“ aus Altenburg, „Eugenik“ aus Gera und der Band „Civil Disorder“ aus Magdeburg/Sachsen-Anhalt wechselten einander ab. Für die Veranstaltung war auf den einschlägigen rechtsextremistischen Websites Thüringens sowie auf der im Jahr 2004 eigens für den „Thüringentag der nationalen Jugend“ eingerichteten Sonderseite geworben worden. Die zentrale Forderung der Veranstaltung laute wiederum, hieß es auf der Sonderseite, Freiräume für die nationale Jugend in Thüringen zu schaffen, da diese „faktisch die letzten Orte geistiger und gedanklicher Freiheit der nationalen und sozialistischen Opposition“ darstellten.



Die ersten vier „Thüringentage“ fanden am 1. Juni 2002 in Jena, am 31. Mai 2003 in Gotha, am 29. Mai 2004 in Saalfeld und am 28. Mai 2005 in Weimar statt. An ihnen beteiligten sich etwa 130, bis zu 350, 250 bis 300 sowie etwa 150 Personen. Im Verlauf dieser Veranstaltungen traten Rechtsextremisten als Redner auf, die in Thüringen – mitunter aber auch über den Freistaat hinaus – in der Szene bekannt sind.



Der „Thüringentag der nationalen Jugend“, der vornehmlich auf Jugendliche sowie junge Erwachsene ausgerichtet ist, hat im Veranstaltungskalender der Thüringer Rechtsextremisten seit 2002 einen festen Platz. Diese Veranstaltung wird wahrscheinlich auch weiterhin einen hohen Stellenwert für das rechtsextremistische Spektrum haben, da der „5. Thüringentag“ infolge des Auftritts von Livebands und zahlreichen Rednern nach Ansicht der Initiatoren erfolgreich verlaufen und die Anzahl der Teilnehmer im Vergleich mit dem Vorjahr wieder angestiegen ist.



4.7 Nutzung des Internets durch Rechtsextremisten



Die rechtsextremistische Szene Thüringens ist umfassend im Internet vertreten. Sie nutzt dabei die gesamte Palette der Möglichkeiten, die das Internet eröffnet, um miteinander zu kommunizieren, Informationen zu verbreiten, sich selbst darzustellen, für sich zu werben und für ihre Ziele zu agitieren. Sie bedient sich des Internets aber auch in der Absicht, Tonträger, Literatur, Kleidung und andere Utensilien der Szene zu verkaufen. Diejenigen Websites, die regelmäßig aktualisiert werden, bieten ein umfangreiches Repertoire an Informationen, die meist einen klaren regionalen Bezug aufweisen. Der Berichterstattung der „Systemmedien“ setzen sie eine Art von Gegendarstellung entgegen, in der sich das rechtsextremistische Lager als Opfer verschiedener Kampagnen beschreibt. Im Bereich des neonazistischen Spektrums und der rechtsextremistischen Parteien dient die Berichterstattung vor allem der Selbstinszenierung, als Agitations- und Propagandamedium, als Mobilisierungsinstrument sowie der Anwerbung neuer Mitglieder. Im Musikbereich bieten darüber hinaus die zahlreichen Websites der Vertriebe einem Interessentenkreis komfortable Möglichkeiten, sich online mit einschlägigem Szenematerial zu versorgen. Manche Websites werden aus aktuellem Anlass lediglich vorübergehend betrieben, beispielsweise um für Veranstaltungen zu mobilisieren.



Im Berichtszeitraum konnten im Internet über 60 Thüringer Websites mit regionalen rechtsextremistischen Bezügen abgerufen werden. Etwa die Hälfte davon wurde mehr oder weniger regelmäßig aktualisiert.



Von den rechtsextremistischen Parteien ist in Thüringen insbesondere der Landesverband der NPD und ca. die Hälfte seiner Kreisverbände – inzwischen mit einheitlichem Layout – im Internet vertreten. Im Diskussionsforum der NPD finden zahlreiche Diskussionen statt, die sich auf unterschiedliche, oft lokal relevante Themen beziehen.



Annähernd ein Drittel der rechtsextremistischen Websites entfällt in Thüringen auf den Musikbereich und hier wiederum überwiegend auf Mailorder. Der bedeutendste Vertrieb für rechtsextremistische Devotionalien ist der „W&B-Versand“ von Thorsten HEISE aus Fretterode, dessen Website nahezu täglich aktualisiert wird. Neben weiteren Firmen präsentieren sich noch einzelne Personen und Gruppierungen sowie rechtsextremistische Musikgruppen im Netz. Deren politische Ausrichtung geht oft schon aus der Homepage hervor, wenn diese beispielsweise mit dem Titel „Rock fürs Reich“ überschrieben oder mit einschlägiger Symbolik versehen sind.



Der überwiegende Teil der Websites entfällt auf Gruppierungen und einzelne Personen aus dem neonazistischen Spektrum. Sie schließen aktionsbezogene Websites wie die des „Aktionsbüros Thüringen“ ebenso ein wie Präsentationen einzelner Kameradschaften oder Sonderseiten, die zu aktuellen Anlässen, wie zum Beispiel zum „Thüringentag“, angelegt wurden.



Auch bei den von Thüringer Rechtsextremisten betriebenen Internetpräsenzen sind – dem allgemeinen Trend im Internet entsprechend – mittlerweile Ansätze zu erkennen, von statischen Websites abzukommen und stattdessen dynamische Websites anzubieten. So sind zahlreiche Homepages mit Diskussionsforen verknüpft oder bieten die Möglichkeit, Beiträge online zu kommentieren. Der „Nordthüringer Beobachter“, der sich Ende 2006 selbst zum „Thüringer Weblog“ (Onlinetagebuch) kürte, setzt bereits RSS-Technologie[32] ein, damit sich der Nutzer aktuell über die neuesten News informiert kann, ohne ständig die Website ansurfen zu müssen.



In den redaktionellen Bereichen der Websites werden die Strafgesetze nur selten verletzt. Strafrechtlich relevante Inhalte auf den Websites von Thüringer Rechtsextremisten beschränken sich zumeist auf wenige Einzelfälle. Insbesondere im Bereich der Parteien, aber auch bei einigen von Neonazis eingestellten Seiten täuscht das Layout der Homepage zunächst über die eigentliche Ausrichtung der Website hinweg.



Einschlägige Homepages sind oft untereinander verlinkt. Darüber hinaus fördern szeneeigene Speicherplatzanbieter weitere Vernetzungsbemühungen der rechtsextremistischen Szene. So bietet ein Projekt des Jenaer Rechtsextremisten Ralf WOHLLEBEN „parteigebundenen und freien Nationalisten aus Thüringen“ Speicherplatz zum Selbstkostenpreis an. Nachdem dessen Server im Sommer vorübergehend durch eine Hacking-Attacke lahmgelegt worden war, konnte zeitweise knapp ein Drittel der Websites von Thüringer Rechtsextremisten nicht abgerufen werden. Bereits im Februar 2006 wurde die Datenbank des „Aufruhr-Versands“, der aufgrund seines breitgefächerten Lieferangebots einen der bekanntesten rechtsextremistischen Vertreibe in Thüringen darstellt, „gehackt“. Die Täter veröffentlichten über 7.500 Bestelldaten von Kunden und beeinträchtigten vorübergehend den Geschäftsverkehr, was letztlich auch zu einem Wechsel des Betreibers mit einer neuen Geschäftsadresse außerhalb Thüringens beigetragen haben dürfte.

Mit der fortschreitenden Etablierung und Professionalisierung von Rechtsextremisten im Internet nimmt die Gefahr zu, dass immer mehr Menschen mit rechtsextremistischem Gedankengut in Berührung kommen. Insbesondere auf Jugendliche wirkt der Reiz des Verbotenen und die Integration multimedialer Elemente, wie z.B. Spiele, Bilder, Musik und Videosequenzen, auf den rechtsextremistischen Websites anziehend. Exekutivmaßnahmen gegen Betreiber von Websites mit strafbarem Inhalt, deren Sperrung und Löschung oder Filtersoftware leisten nur einen Beitrag zum Schutz der Jugend vor Meinungsmanipulation. Es bedarf zugleich der öffentlichen Diskussion, staatsbürgerlicher Aufklärung und der Medienerziehung, um einen qualifizierten Umgang mit rechtsextremistischer Hasspropaganda zu erreichen.

5. Rechtsextremistische Parteien
5.1 „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD)
bitte über Link anschauen.

5.1.1 Der Bundesverband der NPD


Entwicklung der Partei



Die NPD, die aus der rechtsextremistischen „Deutschen Reichspartei“ hervorgegangen ist, wurde 1964 gegründet, um das rechtsextremistische Lager zu sammeln. Bis Ende der sechziger Jahre zählte die Partei, die in mehreren Landtagen vertreten war, bundesweit mehr als 25.000 Mitglieder. Bei der Bundestagswahl im Jahre 1969 verfehlte sie mit 4,3 % der Stimmen den Einzug in das Parlament nur knapp. Diese Niederlage leitete den Niedergang der Partei ein, der bis in die neunziger Jahre hinein andauerte. Im Jahr 1995 erreichte er seinen Tiefstand, als der Partei nur noch 2.800 Mitglieder angehörten.



Mit der Wahl Udo VOIGTs 1996 zum Bundesvorsitzenden vollzog die durch Wahlniederlagen geschwächte Partei den Wandel von einer „Altherrenpartei“ zu einer Partei, die sich als Spitze einer nationalistischen Protestbewegung versteht. VOIGT entwickelte nicht nur das „Drei-Säulen-Konzept“, das 2004 in ein „Vier-Säulen-Konzept“[33] ausgeweitet wurde. Er leitete auch in Bezug auf die Nachwuchsrekrutierung einen Paradigmenwechsel ein und vertiefte die Verbindungen zum neonationalsozialistischen und subkulturellen Spektrum. Ende der neunziger Jahre gelang es der NPD, die Anzahl ihrer Mitglieder erheblich zu steigern und deren Altersdurchschnitt wesentlich zu senken.



Im Jahr 2001 stellten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat vor dem Bundesverfassungsgericht Anträge, um die Verfassungswidrigkeit der NPD feststellen zu lassen und infolgedessen ein Verbot der Partei zu erreichen. Das Verbotsverfahren wurde 2003 eingestellt, da eine Sperrminorität des Zweiten Senats des Gerichts die Beobachtung der NPD auf Bundes- und Landesvorstandsebene durch V-Leute unmittelbar vor und während des Verbotsverfahrens als ein „nicht behebbares Verfahrenshindernis“ bewertet hatte. Da die NPD während des Verbotsverfahrens aus taktischen Gründen auf Distanz zum neonazistischen Spektrum ging und öffentlichkeitswirksam weniger in Erscheinung trat, wandten sich zahlreiche aktionsorientierte Rechtsextremisten von ihr ab. Infolge dieser Entwicklung geriet die NPD erneut in einen Abwärtstrend hinein, der sich in einem Rückgang der Mitgliederzahl niederschlug. Im Jahr 2003 besaß die NPD nur noch rund 5.000 Mitglieder, nachdem ihr im Jahr zuvor noch 6.100 Personen angehört hatten.



Im September 2004 wurde durch die Absprache zwischen der NPD und großen Teilen der Neonaziszene, künftig offen zusammenzuwirken, eine neue Entwicklung eingeleitet. Daraus resultierte das von der NPD propagierte Konzept, die rechtsextremistischen Parteien und „freien Kräfte“ in einer „Volksfront von Rechts“ zusammenzuschließen, um als „Gesamtbewegung des nationalen Widerstands“ geschlossen gegen das politische System der Bundesrepublik vorzugehen. Diese Strategie hat seither in der extremen Rechten zunehmend Resonanz gefunden und eine Aufwärtsentwicklung der NPD bewirkt, die sowohl bundesweit als auch in Thüringen zu einem Anstieg der Mitgliederzahl führte. Der NPD traten vor allem viele Neonazis bei, woraufhin sich die Anzahl ihrer Mitglieder bis Ende 2005 bundesweit auf 6.000 erhöhte. Im Januar 2005 schlossen die NPD und die DVU den „Deutschland-Pakt“, in dem die Zusammenarbeit beider Parteien für die kommenden Wahlen auf Europa-, Bundes- und Landesebene festgelegt wurde.



Im Jahr 2006 erreichten die von der NPD betriebenen Bemühungen, sich als Gravitationszentrum und stärkste Kraft des rechtsextremistischen Lagers zu etablieren, einen neuen Höhepunkt, als sie bei den Landtagswahlen am 17. September in Mecklenburg-Vorpommern 7,3 % der Stimmen gewann und – nach 2004 in Sachsen – mit sechs Abgeordneten in ein zweites Landesparlament einzog. Seitdem tritt die NPD mit gestärktem Selbstbewusstsein auf. Am 11./12. November veranstaltete sie erstmals einen Bundesparteitag in Berlin. Im Hinblick auf die nächsten Wahlen zum Deutschen Bundestag im Jahr 2009 „sei klar“, kündigte VOIGT an, „dass man sich in Berlin treffe. Denn hier werde deutsche Politik gemacht, die wir zukünftig mitbestimmen werden.“



Im September ist der Neonazi Jürgen RIEGER in die Partei eingetreten und auf dem Bundesparteitag als Beisitzer in den Vorstand gewählt worden. Er sei Mitglied der Partei geworden, äußerte der überzeugte Anhänger der NS-Rassenideologie, um die NPD zu stärken. Die NPD haben wahrscheinlich in erster Linie finanzielle Beweggründe angetrieben, den vermögenden Rechtsanwalt RIEGER in die Partei und den Bundesvorstand aufzunehmen. Schließlich ist die finanzielle Lage der Partei infolge der kostenintensiven Wahlkämpfe in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin sowie angesichts der Rückforderungen, die die Bundestagsverwaltung erhebt, äußerst angespannt. Von 1996 an hatte der damalige Vorsitzende des Landesverbands Thüringen der NPD über mehrere Jahre falsche Spendenquittungen ausgestellt, deren Beträge größtenteils in die Rechenschaftsberichte der Partei verbucht wurden. Da die Rechenschaftsberichte daher nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprachen, war die für die Partei erfolgte Festsetzung und Auszahlung der Parteienfinanzierung für die Jahre 1998 und 1999 rechtswidrig. Gemäß den einschlägigen Bestimmungen besteht eine Rückzahlungsverpflichtung der Partei in Höhe von voraussichtlich 870.000 Euro, die die NPD im Rahmen der staatlichen Teilfinanzierung erhalten hat.



Dennoch ist es der NPD 2006 gelungen, ihre Stellung als bedeutendste rechtsextremistische Partei auszubauen. Ihr gehören nunmehr rund 7.000 Mitglieder an. Gemessen an der Zahl ihrer Mitglieder hat sich die NPD als zweitstärkste Partei im rechtsextremistischen Spektrum nach der DVU etabliert.


Ideologie der Partei



Die NPD verficht eine verfassungsfeindliche Ideologie. Von Rassenhass und Antisemitismus geleitet verfolgt sie das Ziel, das von ihr so genannte System – die freiheitliche demokratische Grundordnung – zu überwinden. Die NPD propagiert einen völkischen Kollektivismus und agitiert fremdenfeindlich. Sie spricht von einer „ethnisch homogenen Volksgemeinschaft“, die durch „gemeinsame Abstammung, Geschichte, Sprache und Kultur“ entstehe. Die Würde des Menschen hängt für sie, ihrem Parteiprogramm zufolge, von seiner biologisch-genetischen Teilhabe an der „Volksgemeinschaft“ ab. Ein Sozialstaat müsse, hieß es im Dezember in der „Deutschen Stimme“, „den Kreis seiner Teilnahmenberechtigten strikt“ auf „Volksangehörige“ begrenzen, und ein Sozialstaat müsse „volksgemeinschaftlich“ organisiert sein. Die NPD missachtet die vom Grundgesetz garantierte Freiheit, sich persönlich zu entfalten. Sie stellt „Grundziele des Volkes“ auf, an denen sich die Volksherrschaft – anstelle der verfassungsmäßigen Ordnung – orientieren solle. In der von der NPD propagierten Gesellschaftsordnung sollen autoritäre Eliten vorherrschen. Der Anspruch auf Führerschaft steht im Widerspruch zum pluralistischen Mehrparteiensystem der Bundesrepublik.


Strategie der Partei



Das „Vier-Säulen-Konzept“, das den „Kampf um die Straße, die Köpfe, die Parlamente und den organisierten Willen“ umfasst, bildete auch im Berichtszeitraum die Basis für die politische Agitation der NPD.



„Kampf um die Straße“



Im Berichtszeitraum setzte die NPD ihren „Kampf um die Straße“ fort, indem sie zentrale Großveranstaltungen ebenso organisierte wie regionale Demonstrationen, an denen sich auch Neonazis und Skinheads beteiligten. Im Jahr 2005 hatte die NPD die Termine für ihre Aktionen oftmals darauf ausgerichtet, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen und Gegenaktionen des linksextremistischen Spektrums hervorzurufen. Im Berichtszeitraum bemühte sich die Partei hingegen, durch „einen moderaten Ton und ziviles Auftreten“ Berührungsängste in der Gesellschaft abzubauen und sich als „normale“ Partei neben anderen darzustellen. Indem sie für ihre Demonstrationen und Kundgebungen „alltagsnahe“ Themen wählte, suchte sie sich als Teil einer sozialen Protestbewegung zu profilieren, die als einzige Partei für die Interessen des „kleinen Mannes“ eintrete. Mit dieser Taktik verfolgte sie die Absicht, Wähler für sich zu gewinnen. Auch im Berichtszeitraum organisierte die NPD zahlreiche Veranstaltungen, bei denen Mitglieder von ihr als Redner auftraten, Musikbeiträge jedoch den Schwerpunkt bildeten. Die Anzahl der bundesweit durchgeführten Demonstrationen blieb im Vergleich mit dem Vorjahr in etwa gleich. Allerdings bildete sich der Trend heraus, kleinere Veranstaltungen auszurichten.



„Kampf um die Köpfe“



Der „Kampf um die Köpfe“ zielt vor allem darauf ab, die Mitglieder der NPD politisch zu schulen, die Programmatik der Partei mit Flugblättern zu verbreiten und die Monatszeitung „Deutsche Stimme“ zu vertreiben. Mit der „Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft“ verfügt die NPD über ein eigenes Publikationsorgan des Parteivorstandes, dem ein Versandhandel für rechtsextremes Propaganda- und Werbematerial angeschlossen ist. Seit August gibt die NPD unter dem Titel „Jetzt reicht’s“ eine Informationszeitung heraus, um angebliche politische Missstände und aktuelle Themen aufzugreifen.



Im Juli nahm das „Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V.“ (i.G.) seine Tätigkeit auf, indem es eine Diskussions- und Informationstagung veranstaltete. Bereits im April 2005 hatte die Fraktion der NPD im sächsischen Landtag die Gründung eines solchen „Bildungswerkes“ bekannt gegeben und als Beitrag zur „weiteren Professionalisierung“ bezeichnet. Der Verein solle insbesondere mit Hilfe von Seminaren und Publikationen „politische Bildungsarbeit“ im Sinne der NPD betreiben und die „Denkansätze der ‚Dresdner Schule‘“ im öffentlichen Diskurs popularisieren. Mit dem „Bildungswerk“ verfolgt die NPD darüber hinaus die Absicht, sich zum Kristallisationspunkt jener Bestrebungen zu entwickeln, die auf die Intellektualisierung des rechtsextremistischen Lagers ausgerichtet sind. Gleichermaßen versucht die NPD, die Parteiarbeit zu intensivieren, indem sie von ihr unabhängige Intellektuelle an die Partei heranzieht.



„Kampf um die Parlamente“



Nachdem es der NPD 2004 gelungen war, mit 12 Abgeordneten in den sächsischen Landtag einzuziehen, vermochte sie es im September 2006, sechs Sitze im Parlament von Mecklenburg-Vorpommern zu erringen. Auch bei den Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Berlin gewann sie zum Teil erheblich an Stimmen hinzu, scheiterte jedoch daran, in deren Landesparlamente einzuziehen.



Nach den Wahlerfolgen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, wo die NPD nunmehr in vier von zwölf Bezirksversammlungen vertreten ist, kündigte VOIGT an, dass der „Kampf um Deutschland“ weitergehe. Nun gelte es, „den Westen in Angriff zu nehmen“. Das Ziel bestehe darin, 2008 in die Landtage von Bayern und Hessen sowie 2009 schließlich in den Bundestag einzuziehen. Von der „strategischen Achse Dresden-Berlin-Schwerin“ ausgehend will die NPD „von Mitteldeutschland aus eine nationale Welle über das Land schwappen“ lassen. Sie werde, so hofft die Partei, sowohl die Zusammensetzung der Parlamente verändern als auch die „geistig-kulturellen Fundamente des Systems unterspülen“.



Es ist zweifelhaft, ob es der NPD gelingen wird, an ihre Wahlerfolge – insbesondere in den alten Bundesländern – anzuknüpfen. Bei den Wahlen, die in den letzten Jahren in den alten Bundesländern stattfanden, blieb sie ungeachtet des Zuwachses an Stimmen verhältnismäßig weit davon entfernt, in deren Parlamente einzuziehen. Außerdem hängen weitere Wahlerfolge davon ab, ob die „Volksfront von Rechts“ und der „Deutschland-Pakt“ fortbestehen.

„Kampf um den organisierten Willen“



Die NPD verfolgt den „Kampf um den organisierten Willen“ in der Absicht, „möglichst alle nationalen Kräfte“ zu konzentrieren, um die Macht durch den „organisierten Willen“ zu erlangen. Dieses Konzept ist mit der „Volksfront von Rechts“ identisch, die die NPD seit 2004 anstrebt. Es zielt darauf ab, die Neonazis, die DVU, die „Republikaner“, die „Deutsche Partei“ (DP) sowie die Skinheads in dieses Bündnis einzubeziehen und somit sowohl die personellen als auch die strukturellen Ressourcen des rechtsextremistischen Spektrums zu bündeln und dessen Zersplitterung zu überwinden. Seit dieses Konzept verkündet worden ist, nähern sich rechtsextremistische Parteien und Organisationen der NPD in unterschiedlicher Form an. Am 15. Januar 2005 unterzeichneten die NPD und die DVU den „Deutschlandpakt“. Dieser „Pakt“ sieht vor, bei Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen nicht gegeneinander anzutreten, wechselseitig jedoch die Listen der NPD und der DVU für die jeweils andere Partei zu öffnen. Dieser Absprache entsprechend soll sich die DVU an den Landtagswahlen in Bremen (2007), Hamburg (200cool , Thüringen und Brandenburg (2009) beteiligen. Bei allen anderen Wahlen bis 2009 will die DVU nicht antreten, wenn die NPD kandidiert.



Im Berichtszeitraum appellierte die NPD erneut vergebens an die „Republikaner“, sich der „Volksfront von Rechts“ anzuschließen. Die Mehrheit der Delegierten wies auf dem Bundesparteitag der „Republikaner“ am 8./9. Dezember in Höchstadt/Bayern die Aufforderung der NPD zurück, der „Volksfront“ beizutreten. Die meisten Delegierten bestätigten Dr. SCHLIERER im Amt des Bundesvorsitzenden, der sich seit Jahren gegen eine starke Minderheit in der Partei dagegen ausspricht, mit der NPD zusammenzuarbeiten. Wer dafür eintrete, drohte er auf dem Bundesparteitag, solle seinen Weg außerhalb der Partei fortsetzen. Auf dem Bundesparteitag ist dieses Bekenntnis in einer Resolution nochmals bekräftigt worden. Die Resolution erhärtet die bereits 2004 beschlossene „Veitshöchheimer Erklärung“, mit der die „Republikaner“ jegliche Zusammenarbeit oder Kooperation mit der NPD zurückwiesen.



Aus der Sicht der NPD kann die „Volksfront von Rechts“ bisher als „Erfolgsmodell“ angesehen werden. Die NPD hat sich in dem Bündnis als führende Kraft durchgesetzt, indem sie sowohl die neonazistische Szene und die subkulturellen rechtsextremistischen Spektren als auch die DVU an sich zu ziehen und sie für ihre politischen Ziele einzusetzen vermochte. Gegenwärtig werden die Kräfte, die sich zu diesem Bündnis bekennen, von den Wahlerfolgen und der Aussicht, auch in den nächsten Jahren aus den Wahlen gestärkt hervorzugehen, zusammengehalten. Jedoch bleibt offen, ob es der extremen Rechten weiterhin gelingen wird, die gruppenspezifischen Gegensätze auszugleichen und sich dem gemeinsamen Ziel unterzuordnen, sich gegen das politische System der Bundesrepublik durchzusetzen und der NPD für dieses Ziel die Führung zu überlassen.


Bundesparteitag



Aus den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern gestärkt hervorgegangen, hielt die NPD am 11./12. November erstmals in Berlin ihren 31. Parteitag ab. An der Veranstaltung, deren Motto „Aus der Mitte des Volkes“ lautete, nahmen 232 Delegierte und etwa 300 Gäste teil.



Udo VOIGT wurde von 221 Delegierten im Amt des Bundesvorsitzenden bestätigt. Er erhielt 95,2 % der Stimmen, nachdem im Oktober 2004 auf dem letzten Bundesparteitag 86,8 % der Delegierten für ihn votiert hatten. Holger APFEL, Peter MARX und Sascha ROßMÜLLER wurden zu stellvertretenden Parteivorsitzenden, der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen RIEGER (wie bereits erwähnt)[34], die Mitbegründerin des „Rings Nationaler Frauen“ (RNF)[35], Stella PALAU, der stellvertretende Chefredakteur der „Deutschen Stimme“, Andreas MOLAU, und der bundesweit bekannte Neonazi Thomas WULFF als Beisitzer in den Bundesvorstand gewählt. Mit dem bundesweit bekannten Thüringer Neonazi Thorsten HEISE und Frank SCHWERDT, dem Vorsitzenden des Thüringer Landesverbands, sind weiterhin zwei Thüringer Rechtsextremisten im Bundesvorstand der Partei vertreten. Einem Beschluss des Parteitags zufolge gehören alle Landesvorsitzenden der NPD kraft ihres Amtes fortan dem Parteivorstand an. Auf diese Weise soll, betonte VOIGT, eine „bessere Verbindung der Parteiführung zu der Arbeit vor Ort gewährleistet und die politische Schlagkraft erhöht werden“. In seiner Gastrede forderte der Vorsitzende der DVU, Dr. Gerhard FREY, die „Volksfront“ zur Geschlossenheit auf, bilde sie doch eine „zwingende Voraussetzung dafür, dass auch in Berlin bald wieder deutsche Politik gemachte werden kann“.



VOIGT vermochte seine führende Stellung in der Partei zu festigen, da er in Berlin mit einem noch besseren Wahlergebnis als auf dem vorhergegangenen Bundesparteitag im Amt des Bundesvorsitzenden bestätigt worden ist. Mit seiner Wiederwahl bekräftigte die Partei zugleich das Ziel, an der „Volksfront“-Strategie festzuhalten. VOIGT wolle nicht „eher ruhen“, hieß es im Dezember in der „Deutschen Stimme“, bis er die „Partei mit einer starken nationalen Fraktion in den Deutschen Reichstag geführt habe“.



5.1.2 Der Thüringer Landesverband der NPD



Entwicklung des Landesverbands



Der Thüringer Landesverband der NPD wurde 1990 gegründet. In den folgenden Jahren war die organisatorische Gliederung des Verbands in Regional-, Kreis- und Ortsverbände vielen Änderungen unterworfen. In den Jahren 1998/1999 stieg die Anzahl der Mitglieder erheblich an, nachdem insbesondere jüngere Neonazis der Partei beigetreten waren. Ein Teil von ihnen übernahm bald Funktionen in den Vorständen und richtete den Landesverband zunehmend aktionistisch aus.



Als auch der Thüringer Landesverband im Zuge des gegen die NPD im Jahr 2001 angestrengten Verbotsverfahrens unter dem neuen Landesvorsitzenden Frank SCHWERDT, der selbst dem neonazistischen Spektrum entstammt, gemeinsame Aktivitäten mit Neonazis einschränkte, verlor die Partei bedeutende Anteile ihres neonazistischen Potenzials. Im Landesvorstand setzten sich zunächst jene Kräfte durch, die politisch eher zurückhaltend agieren wollten. Nachdem jedoch das Verbotsverfahren 2003 eingestellt worden war, öffnete sich der Landesverband erneut Neonazis und Skinheads und weitete seine Aktivitäten aus. Er vermochte den langjährigen Niedergang zu stoppen, sich zu konsolidieren und seit 2004 einen Aufwärtstrend einzuleiten. Diese Entwicklung schlug sich bei den Landtagswahlen des Jahres 2004 nieder, als die Partei ihren Anteil an den Wählerstimmen von 0,2 % im Jahr 1999 auf 1,6 % steigerte. Im Jahr 2005 erreichte die NPD bei der Bundestagswahl in Thüringen ihr deutschlandweit zweitbestes Ergebnis, als sie 3,7 % der Zweitstimmen erhielt.



Auch im Berichtszeitraum gelang es dem Landesverband, die Aufwärtsentwicklung fortzusetzen. Sie spiegelte sich in der Mitgliederzahl wider, die von 240 Ende 2005 auf etwa 380 stark angestiegen ist. Darüber hinaus „verjüngte“ sich die Partei, da ihr auch 2006 in vergleichsweise großer Zahl Neonazis beigetreten sind. Auf den anhaltenden Zuwachs an Mitgliedern reagierte die Partei auch insofern, als sie ihre Strukturen weiter ausbaute.



Bundespolitische Bedeutung hat der Thüringer Landesverband vor allem, weil Frank SCHWERDT und Thorsten HEISE dem Bundesvorstand angehören und über weitreichende überregionale Kontakte verfügen. HEISE zählt weiterhin zu den bundesweit führenden Neonazis.



Organisationsstruktur



Im Berichtszeitraum hielt der Landesverband an dem seit 2004 verfolgten Ziel fest, seine Strukturen zu erweitern. Er gründete die Kreisverbände Ilmkreis bzw. Unstrut-Hainich-Eichsfeld neu und teilte den ehemaligen Kreisverband Erfurt-Gotha in die Kreisverbände Erfurt-Sömmerda und Gotha; außerdem richtete er die Ortsverbände Greiz und Hildburghausen ein. Nunmehr setzt sich der Landesverband aus den 13 Kreisverbänden Altenburg, Erfurt-Sömmerda, Gera, Gotha, Jena, Hildburghausen-Suhl, Ilmkreis, Nordhausen-Sondershausen, Saale-Orla, Saalfeld-Rudolstadt, Unstrut-Hainich-Eichsfeld, Wartburgkreis, Weimar-Weimarer Land sowie den 3 Ortsverbänden Blankenhain, Greiz und Hildburghausen zusammen. Mit der Gründung des dreizehnten Kreisverbands schloss der Landesverband wieder zum bisherigen Höchststand im Jahr 1999 auf, als er aus ebenso vielen Untergliederungen bestand. Für das Jahr 2007 plant der Landesverband, in allen Regionen des Freistaats mit Kreisverbänden vertreten zu sein.



In Thüringen gehören einem Kreisverband im Durchschnitt ca. 30 Mitglieder an. Von den Kreisverbänden gingen in unterschiedlichem Ausmaß Aktivitäten aus. Einige Untergliederungen, zu denen insbesondere die Kreisverbände Gotha, Wartburgkreis, Gera und Jena zählen, gestalteten ihre Parteiarbeit öffentlichkeits- und medienwirksam. Die beiden erstgenannten Verbände führten regelmäßig Demonstrationen, Mahnwachen und Informationsstände durch; die beiden letztgenannten traten durch die Veranstaltungsreihen „Rock für Deutschland“ und „Fest der Völker“ auf. Einige Kreisverbände organisierten vorzugsweise interne bzw. geschlossene Veranstaltungen. Von anderen Kreisverbänden gingen hingegen nur wenig Aktivitäten aus.



Welche Aktionen von einem Kreisverband ausgehen und welche Anziehungskraft er somit auf Gesinnungsgenossen ausübt, hängt vor allem vom Engagement der führenden Personen und einzelner Aktivisten ab. Die meisten Mitglieder der NPD sind weder willens noch fähig, eine kontinuierliche Parteiarbeit zu leisten, öffentlichkeitswirksame Aktionen zu entwickeln und Rechtsextremisten einzubinden, die noch nicht organisiert sind. Sie nehmen lediglich mehr oder minder häufig an den Veranstaltungen der NPD und der Neonazis teil.



Personelle Zusammensetzung



Im Berichtszeitraum stieg die Zahl der Mitglieder – wie erwähnt – um 140 auf etwa 380 Mitglieder stark an. Somit verzeichnete der Landesverband nicht nur den höchsten Anstieg der Mitgliederzahl, sondern auch den höchsten Mitgliederstand seit seiner Gründung im Jahr 1990. Mit etwa 380 Mitgliedern rangiert der Thüringer Landesverband unter den Landesverbänden im Mittelfeld. An der Einwohnerzahl gemessen, nimmt er jedoch nach Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern den dritten Platz ein. Auch im Jahr 2007 strebt der Landesverband einen Zuwachs an Mitgliedern an, der noch stärker als im Berichtszeitraum ausfallen soll. Der Landesverband will zu diesem Zweck eine „Mitgliederkampagne 2007“ starten.



Der Landesverband gewann nicht nur an Mitgliedern hinzu, sondern verjüngte sich auch. Dieser Prozess spiegelt sich im Durchschnittsalter der Funktionäre exemplarisch wider. Während das Durchschnittsalter der Landesvorstandsmitglieder im Jahr 2005 noch rund 37 Jahre betrug, ging es im Berichtszeitraum auf etwa 31 Jahre zurück. Überdies ist die Mehrheit der derzeit amtierenden Landesvorstandsmitglieder jünger als 30 Jahre. Die Vorsitzenden der Kreisverbände sind im Durchschnitt etwa 28 Jahre alt.



Frauen sind in der Thüringer NPD nur in geringer Zahl vertreten. Ihr Anteil ist sowohl unter den Funktionären als auch unter den Teilnehmern von Veranstaltungen gering. Frauen waren im Berichtszeitraum weder im Landesvorstand noch seit Mitte des Jahres unter den Kreisvorsitzenden vertreten.



Landesparteitag und Landesvorstand



Am 1. Juli veranstaltete der Landesverband in Thüringen in Ammelstädt/Landkreis Saalfeld-Rudolstadt einen Landesparteitag, an dem sich etwa 70 Delegierte und ca. 50 Gäste beteiligten. Als Redner traten Frank SCHWERDT und Udo VOIGT auf.



Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Wahl des neuen Landesvorstands. Frank SCHWERDT und Ralf WOHLLEBEN wurden in ihren Ämtern als Vorsitzender des Landesverbands bzw. als dessen Stellvertreter bestätigt. Als Beisitzer fungieren – wie bisher – Patrick WEBER, Thorsten HEISE und Martin RÜHLEMANN. Neu wurden Patrick WIESCHKE, Sebastian REICHE, Hendrik HELLER und Jan MORGENROTH als Beisitzer in den Vorstand gewählt. Die meisten Mitglieder des Landesvorstands, die lediglich fünf Kreisverbänden entstammen, fungieren außerdem als Vorsitzende von Kreisverbänden. Jedem Mitglied des Landesvorstands wurde ein „politisches Ressort“ zugewiesen, um sich an den Strukturen der Thüringer Landesregierung zu orientieren. So wurden beispielsweise die Ressorts „Arbeit und Soziales“, „Natur und Landwirtschaft“ oder „Jugend und Kinder“ eingerichtet.



Die Delegierten verabschiedeten auch die „Botschaft von Ammelstädt – Heimat ist mehr als nur ein Standort“, in der sowohl der Kapitalismus als auch die Globalisierung als „Todfeind der Völker“ bezeichnet werden. Die NPD fordert in der „Botschaft von Ammelstädt“ eine „raumorientierte Volkswirtschaft fernab der Globalisierung“. Es gelte, agitiert die NPD, „skrupellosen Nutznießern des Kapitalismus, die davon profitieren, daß unser aller Thüringer Wald verschachert und gerodet wird, die Werra vergiftet, das Volkseigentum ausverkauft, die Arbeitsplätze kommen und gehen und die Menschen bindungs- und haltlos gemacht werden“, entgegenzuwirken. Der Landesverband strebt die folgenden Ziele an, um letzten Endes „Thüringen politisch wieder zu erobern“:



1. Das heimatverbundene Unternehmertum sei zu fördern.

2. Die Arbeit sei zu den Menschen zu bringen, statt die Menschen zur Arbeit.

3. Regionale Wirtschaftsstrukturen seien zu erhalten, wiederzubeleben und zu stärken.

4. Den Thüringern sei das andere Deutschland, unser Deutschland vorzuleben.


Das Verhältnis der Thüringer NPD zu anderen Rechtsextremisten


Verhältnis zur Neonaziszene



Das Verhältnis zwischen dem Landesverband der NPD und den neonazistischen Kräften, das traditionell von Integration und Kooperation gekennzeichnet ist, wurde im Berichtszeitraum weiter verfestigt. Es gelang dem Landesverband, zahlreiche Mitglieder zu gewinnen, die dem neonazistischen Spektrum entstammen, etlichen von ihnen Ämter im Landesvorstand oder in den Kreisvorständen zu übertragen und sie so in die Partei zu integrieren. Alle Mitglieder des Landesvorstands, aber auch die Mehrheit derjenigen, die den Kreisverbänden vorstehen, entstammen dem neonazistischen Spektrum. Die meisten Vorsitzenden der Kreisverbände üben als Führungspersonen von lokalen neonazistischen Gruppierungen eine „Doppelfunktion“ aus. Thüringen zählt zu den Bundesländern, in denen die Einbeziehung von Neonazis in die NPD am weitesten fortgeschritten ist.



Die Kooperation beider Spektren äußert sich insbesondere in der gemeinsamen Organisation von Veranstaltungen und Kampagnen. Teilnehmer, Redner und Ordner treten oftmals auch auf Veranstaltungen des jeweils anderen Spektrums auf.


Verhältnis zu Skinheads



Der Landesverband der NPD setzte im Berichtszeitraum vor allem rechtsextremistische Musik ein, um das subkulturelle rechtsextremistische Spektrum zu umwerben. Von dessen Anhängern gehen meist keine eigenständigen politischen Aktionen aus. Sie besuchen jedoch gern Musikveranstaltungen, die von der NPD durchgeführt werden. Auf diese Weise erhöhen sie das Mobilisierungspotenzial der Partei. Da Skinheads entweder gar nicht oder höchstens regional organisiert sind, sind die Verbindungen zur NPD zumeist lokal gebunden und von persönlichen Kontakten abhängig.[36]



Mit welchen Mitteln sich die NPD 2006 bemühte, Anhänger des rechtsextremistischen subkulturellen Spektrums für ihre Aktionen zu gewinnen, zeigen die beiden Veranstaltungsreihen „Fest der Völker“ und „Rock für Deutschland“ exemplarisch auf.[37]


Verhältnis zu anderen Parteien und Organisationen



Der Landesverband ist nach wie vor bestrebt, in Thüringen das Konzept der „Volksfront von Rechts“ und den „Deutschland-Pakt“ umzusetzen. Kontakte zwischen der NPD und der DVU bestehen vor allem über die beiden Funktionäre der DVU, Walter BECK und Uwe BÄZ-DÖLLE.[38] Beide traten als Direktkandidaten auf der Liste der NPD im Jahr 2005 zur Bundestagswahl an.



Enge Kontakte unterhält der Landesverband seit Jahren auch zum Vorsitzenden des Thüringer Landesverbands der „Deutschen Partei“ (DP), Kurt HOPPE, der mehrfach an Veranstaltungen der NPD teilnahm und 2005 im Wahlkreis Suhl-Schmalkalden-Meiningen-Hildburghausen als Direktkandidat der NPD zur Bundestagswahl antrat.



Dagegen haben sich die „Republikaner“ auch in Thüringen nicht an der „Volksfront von Rechts“ beteiligt.


Veröffentlichungen



Im Berichtszeitraum verstärkte der Landesverband der NPD die Öffentlichkeitsarbeit erneut, indem er die Darstellung der Kreisverbände im Internet erweiterte und vereinheitlichte sowie die „Thüringenstimme“, das Informationsblatt des Landesverbands, regelmäßig herausgab.



Internet



Nunmehr verfügen sowohl der Landesverband als auch die Kreisverbände Erfurt-Sömmerda, Gera, Gotha, Jena, Wartburgkreis und Weimar-Weimarer Land über Websites, die allerdings in unterschiedlichem Umfang aktualisiert werden. Sie berichten vorzugsweise über regionale und überregionale Veranstaltungen und Aktionen, gehen aber auch auf tagespolitische Themen ein. Der Landesverband stellte außerdem anlassbezogene Sonderseiten in das Internet ein und betrieb ein eigenes Forum – den „NPD Thüringen Gesprächskreis“.



„Thüringenstimme“



Seit August 2005 gibt der Landesverband die „Thüringenstimme“ heraus, die die Funktion eines Informationsblatts erfüllen soll. Die Publikation umfasst parteiinterne Informationen und Reaktionen auf die Tagespresse, verweist auf Veranstaltungen des rechtsextremistischen Spektrums, greift tagespolitische Themen auf und veröffentlicht Kleinanzeigen „von und für Kameraden“. Teilweise stimmen die Artikel mit den Beiträgen überein, die bereits auf den Homepages des Landesverbands bzw. der Kreisverbände veröffentlicht wurden. Die Artikel thematisierten insbesondere die Entwicklung des Landesverbands und die Ergebnisse der Kommunalwahl vom Mai 2006. Die Leser werden in der Publikation aufgefordert, für die Ziele des Landesverbands – wie zum Beispiel die „Mitgliederkampagne 2007“ – einzutreten und ihn mit Spenden zu unterstützen.



Die „Thüringenstimme“ wird seit Mitte des Jahres 2006 regelmäßig jeden Monat herausgegeben. Als Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetztes wurde Ralf WOHLLEBEN, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands und Vorsitzender des Kreisverbandes Jena der NPD, benannt.



Der Landesverband intensiviert seine Arbeit



Dem Landesverband gelang es im Berichtszeitraum, die Parteiarbeit zu intensivieren und auszuweiten. Wie in der Vergangenheit agitierte er insbesondere gegen das politische System der Bundesrepublik und die etablierten Parteien sowie die Politik der Länder und Kommunen. Weit mehr als im Vorjahr griff er jedoch wirtschafts-, sozial- und tagespolitische Themen in der Absicht auf, in den Städten und Gemeinden stärker als früher hervorzutreten, Rückhalt in der Bevölkerung zu finden und als Sachwalter der „kleinen Leute“ wahrgenommen zu werden. „Das soziale Thema ist die große Kampfstätte, wo wir uns auch in den neuen Bundesländern in den nächsten Jahren sehen“, hatte ein parlamentarischer Berater der Fraktion der NPD in Sachsen bereits 2005 betont. Da es nur noch drei Jahre bis zur Landtagswahl in Thüringen dauere, mahnte der Landesvorstand im September in der „Thüringenstimme“ jedes Mitglied, „den Wahlkampf nicht in weiter Ferne zu sehen, sondern ihn als faktisch aktuell zu begreifen“. Die „aktiven Mitglieder und Kreisverbände“ sollten „verstärkt Kommunalpolitik betreiben“, da es auf diesem Gebiet „in der Vergangenheit vermehrt Mängelerscheinungen“ gegeben habe. Es gelte u.a., kommunalpolitische Angelegenheiten aufzugreifen und ihnen gegenüber Stellung zu beziehen, in Vereinen und gemeinnützigen Organisationen mitzuarbeiten, an Stadtrats- und Kreistagssitzungen teilzunehmen, die Lokalpresse und die politischen Kontrahenten zu beobachten sowie in der Region regelmäßig Präsenz zu zeigen. Denn wenn es der Partei gelänge, „kommunal Fuß zu fassen“ und sich „als unübersehbare politische Kraft in Thüringen zu etablieren“, sei 2009 der Einzug einer „nationalen Opposition“ in den Erfurter Landtag realistisch.



Der Landesverband beschränkte sich nicht mehr darauf, die Ansichten der NPD in Publikationen, im Internet oder in Reden, die in öffentlichen oder geschlossenen Veranstaltungen gehalten wurden, zu propagieren. Zunehmend nutzten dessen Aktivisten Ausstellungen, Stadtratssitzungen, Protestkundgebungen demokratischer Kräfte und Ausstellungen als „Podium“, um im Sinne der „Wortergreifungsstrategie“ beispielsweise gegen die Schließung von Theatern oder das Familienfördergesetz zu protestieren. Außerdem traten sie in Veranstaltungen auf, die sich mit historischen Themen oder mit dem Rechtsextremismus befassten. Diese Strategie zielt nach eigenen Worten darauf ab, „Reflexe des Gegners“ zu nutzten, um mit „geringer Kraftaufwendung die größtmögliche PR Wirkung“ zu erzielen. Im Ganzen gesehen strebt die NPD mit dieser Politik an, die gesellschaftliche Isolierung zu durchbrechen, sich als potenzieller Gesprächspartner anzubieten, als integraler Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens akzeptiert zu werden und schließlich die Meinungsführerschaft zu übernehmen.



Der Landesverband entwarf im Berichtszeitraum nach dem Vorbild des Bundesverbands und anderer Landesverbände Konzepte und initiierte Kampagnen, um nicht nur nach außen, sondern auch nach innen die politische Arbeit zu intensivieren. So arbeitet die Thüringer NPD seit 2006 darauf hin, „thüringenspezifische Grundsatzprogramme“ zu entwerfen. Das Referat „Wirtschaft und Mittelstand“ des Landesverbands richtete beispielsweise eine Arbeitsgruppe „Mittelstand“ ein, die Thüringer Unternehmer mehrfach zu „Unternehmerforen“ einlud. Auf der Grundlage dieser Treffen und Kontakte will der Landesverband ein „wirtschaftspolitisches Grundsatzprogramm“ erarbeiten, in dem Wünsche der Unternehmer berücksichtigt werden sollen. Zudem strebt die Partei an, eine „realitätsbezogene Analyse der momentanen Situation des Thüringer Mittelstandes, der Kleinunternehmen und des traditionellen Handwerkes“ zu erstellen. Das Ziel bestehe letzten Endes darin, „praktikable wirtschaftspolitische Forderungen in die Öffentlichkeit tragen zu können“. Mit dieser Kampagne will die Partei nicht nur ihr politisches Profil schärfen, sondern auch Unternehmern signalisieren, sich „als einzige ehrliche Mittelstandspartei“ ihrer Probleme anzunehmen und für sie einzutreten. Überdies verabschiedete die Thüringer NPD auf ihrem Landesparteitag am 1. Juli die „Botschaft von Ammelstädt“[39], in welcher der Landesverband seine künftigen politischen Ziele festlegte.



Im Jahr 2007 will sich der Landesverband von dem Motto „Das Jahr der programmatischen Gegenoffensive“ leiten lassen. Wahrscheinlich wird er die „Wortergreifungsstrategie“ weiter verfolgen, aber auch seine Konzepte, wie angekündigt, nicht nur an die „neuen politischen Realitäten“ in Thüringen anpassen, sondern auch erweitern. Und mit seiner „Mitgliederkampagne 2007“ strebt er an, in „einem größeren Maße das Interesse und die Aufmerksamkeit der Thüringer Bevölkerung und der Medienlandschaft“ zu erregen. Er hat die Absicht, eine „Kampagnen-Zeitung“ herauszugeben und flächendeckend Informationsstände, Mahnwachen sowie Kundgebungen zu organisieren, um dieses Ziel zu erreichen.



Der Landesverband hat erkannt, wie groß die Bedeutung ist, die sowohl einer verbesserten Öffentlichkeitsarbeit als auch einer langjährigen Arbeit an der Basis und einer Verankerung in den Kommunen zukommt. Indes scheint die praktische Umsetzung dieses Konzepts, da es vermutlich an geeigneten Aktivisten fehlt, nicht in dem Maße voranzukommen wie von der NPD erhofft. Denn bisher gelang es dem Landesverband nicht, bei Kommunalwahlen Erfolge zu erzielen. Ebenso wenig brachte es die Thüringer NPD im Unterschied zu anderen Landesverbänden zuwege, eigene Einrichtungen zu organisieren, die beispielsweise Schülern Nachhilfe geben oder „Hartz IV“-Empfänger beraten.



Landesverband will möglicherweise mit eigener Liste zur Landtagswahl antreten



Wie im „Deutschland-Pakt“[40] vereinbart worden ist, soll die DVU 2009 in Thüringen zur Landtagswahl antreten. Da sich die DVU in Thüringen in einem desolaten Zustand befindet, dürfte sie jedoch kaum imstande sein, eine eigene Liste aufzustellen. Die NPD scheint zu erwägen, sich mit einer eigenen Liste zur Wahl zu stellen. Es müsse überlegt werden, soll der stellvertretende Vorsitzende der NPD, Peter MARX, geäußert haben, ob nicht die NPD anstelle der DVU in Thüringen zur Wahl antrete, falls die NPD in Mecklenburg-Vorpommern gut abschneide. Entscheidend für diese Überlegungen dürfte sein, ob der Landesverband der NPD einerseits die Aufwärtsentwicklung fortsetzen kann und die DVU andererseits in ihrem schlechten Zustand verharrt.



SCHWERDT kündigte nach dem Wahlerfolg der NPD in Mecklenburg-Vorpommern an, „selbstbewußter denn je das Ziel“ anzusteuern, „im Jahr 2009 auch in Thüringen eine nationale Fraktion in den Erfurter Landtag zu bringen“. Bis dahin werde der Landesvorstand darauf hinarbeiten, die Verankerung der Partei in den Kommunen auszubauen sowie die „Bündnisarbeit mit anderen nationalen Parteien und Gruppierungen“ zu verstärken. Am 20. September wurde am Gebäude des Thüringer Landtags ein Plakat mit der Aufschrift „Darauf freuen wir uns. NPD“ angebracht.



Veranstaltungen des Landesverbands



Den Schwerpunkt der öffentlichkeitswirksamen Aktionen, die im Berichtszeitraum vom Landesverband ausgingen, bildeten Mahnwachen und Informationsstände. Gegenüber dem Vorjahr stieg deren Zahl von drei auf 18 an. Die Anzahl der Demonstrationen und Kundgebungen hingegen nahm geringfügig von 12 auf 11 ab. Ebenso ging die Zahl der Personen, die sich an Demonstrationen oder Kundgebungen beteiligten, im Durchschnitt von ca. 175 im Jahr 2005 auf etwa 145 im Berichtszeitraum zurück. Die durchschnittliche Teilnehmerzahl fiel geringer aus, weil das „Fest der Völker“ verboten[41] und mehr kleinere Kundgebungen als im Vorjahr veranstaltet wurden. Die Mehrzahl der öffentlichen Aktionen wurde, wie im Jahr 2005, wiederum gemeinsam mit Neonazis organisiert und durchgeführt.



Wie insbesondere die Veranstaltung „Rock für Deutschland“ zeigte, bediente sich der Landesverband wiederholt mit Erfolg der Strategie, rechtsextremistische Musik mit politischer Agitation zu verbinden, um wesentlich mehr Teilnehmer für öffentlichkeitswirksame Aktionen der NPD zu gewinnen, die Akzeptanz der Partei im aktionsorientierten rechtsextremistischen Spektrum zu steigern und auf der Straße eine größere Präsenz zu zeigen. Die Veranstaltung „Rock für Deutschland“ stellte, wie im vorigen Jahr, mit 600 Teilnehmern die größte öffentlichkeitswirksame Aktion dar, die vom rechtsextremistischen Spektrum Thüringens organisiert wurde.



In den kommenden Jahren dürfte in der Agenda rechtsextremistischer Veranstaltungen vor allem die Veranstaltungsreihe „Fest der Völker“, die bereits bis 2015 angemeldet worden ist, einen hohen Stellenwert einnehmen. Dem „Fest der Völker“ kommt eine solche Bedeutung deshalb zu, weil sich zahlreiche Skinheadbands und Redner aus dem In- und Ausland an der Veranstaltung beteiligen und vergleichsweise viele Rechtsextremisten anzuziehen vermögen. Für das im Berichtszeitraum organisierte „Fest der Völker“, das verboten worden ist, hatten die Veranstalter mit 500 bis 1.000 Teilnehmern gerechnet.



Folgende Veranstaltungen der Thüringer NPD waren im Berichtszeitraum von Bedeutung:



Veranstaltung, zum „Andenken an den ermordeten Sandro WEILKES“ am 6. Mai in Neuhaus am Rennweg



Am 6. Mai nahmen in Neuhaus am Rennweg 32 Angehörige der rechtsextremistischen Szene an einer Kundgebung teil, die dem „Andenken des ermordeten Sandro WEILKES“ gewidmet und vom Vorsitzenden des Landesverbands Thüringen, Frank SCHWERDT, angemeldet worden war. Als Redner traten Thomas WIENROTH, der dem Bundesvorstand der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) angehört, und Michael BURKERT, Vorsitzender des Kreisverbands Erfurt-Sömmerda, auf.



Der Landesverband Thüringen führt traditionell anlässlich des Todestages von WEILKES jedes Jahr im Mai in Neuhaus eine Demonstration durch. WEILKES war 1995 im Verlauf einer Auseinandersetzung zwischen rechts- und linksgerichteten Jugendlichen erstochen worden. Seither versucht die rechtsextremistische Szene, WEILKES zum Märtyrer zu verklären und die Straftat als politisch motiviertes Verbrechen hinzustellen.



Die Anziehungskraft der Veranstaltung hat in den letzten Jahren jedoch erheblich abgenommen. Von 2001 an ist die Anzahl der Teilnehmer von ca. 220, über 120, 150, 75 und 90 auf 32 im Berichtszeitraum stark zurückgegangen. Allem Anschein nach können sich immer weniger Rechtsextremisten mit dem Thema dieser Gedenkveranstaltung identifizieren.


Kundgebungen am 13. Mai in Suhl



Der Landesverband nahm eine gewalttätige Auseinandersetzung am 5. Mai in Suhl-Nord, in deren Verlauf zwei Personen zum Teil lebensbedrohlich verletzt worden waren, zum Anlass, am 13. Mai in Suhl zwei Kundgebungen durchzuführen. An den Veranstaltungen beteiligten sich etwa 100 Personen. Neben dem stellvertretenden Vorsitzenden des Kreisverbands Wartburgkreis, Patrick WIESCHKE, soll auch der Erfurter Rechtsextremist Patrick PAUL als Redner aufgetreten sein.


Veranstaltungsreihe „Fest der Völker“ am 10. Juni in Jena verboten



Ralf WOHLLEBEN meldete im Namen des Kreisverbands Jena, als dessen Vorsitzender er amtiert, für den 10. Juni in Jena unter dem Motto „Fest der Völker – für ein Europa der Vaterländer“ eine Kundgebung an. Im Rahmen der Veranstaltung, für die 500 bis 1.000 Teilnehmer erwartet wurden, sollten 13 Redner und 5 Skinheadbands, u.a. aus Belgien, Bulgarien, Dänemark, Großbritannien, Italien, Portugal, Russland, Schweden, Slowakei, Tschechien und Ungarn, auftreten.



Die Stadt Jena erließ gegen die Veranstaltung eine Verbotsverfügung, indem sie sich auf den angesichts der Fußballweltmeisterschaft bestehenden polizeilichen Notstand berief. Letzten Endes bestätigte das Oberverwaltungsgericht Weimar die Verbotsverfügung.



Mit dem „Fest der Völker“ hatte die NPD im Juni 2005 in Jena diejenige Demonstration des rechtsextremistischen Spektrums veranstaltet, die mit ca. 500 Personen nach dem „Friedensfest“ in Gera die meisten Teilnehmer angezogen hatte. Das „Fest der Völker“ fand 2005 vor allem deshalb einen großen Zulauf aus der rechtsextremistischen Szene, weil acht Skinheadbands aus dem In- und Ausland auftraten und ihre Musik, nicht jedoch die Ansprachen von Rechtsextremisten, den Schwerpunkt der Veranstaltung bildeten.



Mit dem „Fest der Völker“ versucht die NPD, neben der Veranstaltung „Rock für Deutschland“ und dem „Thüringentag der nationalen Jugend“ eine dritte Veranstaltungsreihe zu etablieren. Auch von einem jährlich wiederkehrenden „Fest der Völker“ verspricht sich die NPD, mehr Neonazis und Skinheads als bisher für ihre Veranstaltungen zu gewinnen, auf Dauer an sich zu binden, andere Jugendliche an die Partei heranzuführen und stärker in die Öffentlichkeit hineinzuwirken.


Saalveranstaltung am 10. Juni in Oberhof



Am 10. Juni führte der Landesverband in Oberhof eine Saalveranstaltung durch, an der u.a. der Bundesvorsitzende Udo VOIGT, der Vorsitzende des Landesverbands, Frank SCHWERDT, der stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbands Wartburgkreis, Patrick WIESCHKE, der stellvertretende Landesvorsitzende und Vorsitzende des Kreisverbands Jena, Ralf WOHLLEBEN, sowie der Vorsitzende des Thüringer Landesverbands der „Deutschen Partei“ (DP), Kurt HOPPE, teilnahmen. Im Rahmen der Veranstaltung, die auch von ausländischen Rechtsextremisten besucht wurde, traten Redner und Liedermacher auf. Insgesamt sollen ca. 200 Rechtsextremisten an der Saalveranstaltung teilgenommen haben.


NPD setzt Veranstaltungsreihe „Rock für Deutschland“ am 15. Juli in Gera fort



Am 15. Juli führte der Kreisverband Gera unter dem Motto „Thüringens Zukunft gestalten“ in Gera eine Veranstaltung durch, die etwa 600 Rechtsextremisten anzog. Mit der Kundgebung setzte die NPD die Veranstaltungsreihe fort, die unter dem Titel „Rock für Deutschland“ seit 2003 Jahr für Jahr in Gera organisiert wird.



Als Veranstaltungsleiter fungierte der Kreisverbandsvorsitzende Gordon RICHTER. Als Redner traten der Vorsitzende des Landesverbands, Frank SCHWERDT, Gordon RICHTER, der Landesgeschäftsführer und stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbands Wartburgkreis, Patrick WIESCHKE, der Thüringer Neonazi Patrick PAUL, der Mitarbeiter der Fraktion der NPD im sächsischen Landtag, Lennert AAE, der ehemalige Rechtsterrorist Peter NAUMANN sowie der Pressesprecher des Landesverbands Bayern, Günter KURSAWE, auf. Sie äußerten sich u.a. über die vermeintliche „Zunahme der staatlichen Repressionen gegen nationale Menschen und Organisationen“ und die „fatale Bevölkerungsentwicklung durch ungehemmte Zuwanderung“.



Im Wechsel mit den Redebeiträgen spielten die Skinheadbands „T.H.O.R.“ aus Sachsen, „Projekt Vril“ aus Nordrhein-Westfalen, „Agitator“ und „Nordfront“ aus Niedersachsen sowie „Faust“ aus Baden-Württemberg/Hessen. Im Rahmen der Kundgebung wurden mehrere Verkaufsstände betrieben, wo rechtsextremistische Vertriebe – darunter „Ragnarök Records“ aus Baden-Württemberg und „Germania Versand“ aus Thüringen – Devotionalien der Szene anboten.



Die Anzahl der Teilnehmer ist zwar hinter der des Vorjahrs, als sich 700-750 Personen zur größten öffentlichkeitswirksamen Veranstaltung, die vom rechtsextremistischen Spektrum Thüringens organisiert wurde, zusammengefunden hatten, zurückgeblieben. Dennoch stellte diese Veranstaltung die größte Demonstration dar, die im Berichtszeitraum in Thüringen von Rechtsextremisten organisiert worden ist. Die Veranstaltungsreihe „Rock für Deutschland“ dürfte sich in der Agenda rechtsextremistischer Veranstaltungen in Thüringen fest etabliert haben.


Demonstration am 19. August in Jena



Am 19. August führte der Landesverband unter dem Motto „Für Meinungsfreiheit – Entweder ganz oder gar nicht“ in Jena eine Demonstration durch, an der sich bis zu 480 Rechtsextremisten aus Thüringen und anderen Bundesländern beteiligten. Da an diesem Tag bundesweit Veranstaltungen aus Anlass des Todestages von Rudolf HEß am 17. August stattfanden, wird auf den betreffenden Beitrag verwiesen.[42]


Demonstration am 7. Oktober in Nordhausen



Am 7. Oktober veranstaltete die NPD unter dem Motto „Zukunft statt Globalisierung – Für eine nationale und soziale Perspektive“ in Nordhausen eine Demonstration, der sich etwa 250 Rechtsextremisten aus Thüringen und den angrenzenden Bundesländern anschlossen. Die Veranstaltung war vom Vorsitzenden des Kreisverbands Nordhausen-Sondershausen, Patrick WEBER, angemeldet worden.



Ansprachen hielten der Bundesvorsitzende der Partei, Udo VOIGT, der Vorsitzende des Landesverbands Thüringen, Frank SCHWERDT, der Neonazi Thorsten HEISE, der sowohl dem Bundes- als auch dem Landesvorstand der NPD angehört, der Landesgeschäftsführer der NPD, Patrick WIESCHKE, der Hamburger Neonazi Thomas WULFF, der gemeinsam mit HEISE 2004 der NPD beigetreten ist, sowie der „Freie Nationalist“ Patrick PAUL aus Erfurt. Als Sänger trat der rechtsextremistische Liedermacher Maximilian LEMKE aus Jena auf.



Die Demonstration ist in die „deutschlandweite Kampagne gegen den globalen Kapitalismus und die Auswüchse der Globalisierung“ eingebunden, die mit der Auftaktkundgebung am 1. April in Arnstadt begonnen hat. Mit der Kampagne weiten die NPD und die Neonazis jenes Agitationsfeld aus, in dessen Mittelpunkt die „soziale Frage“ steht.[43]





5.1.3 „Junge Nationaldemokraten“ (JN)



Mit den JN verfügt die NPD als einzige der rechtsextremistischen Parteien über eine zahlenmäßig relevante Jugendorganisation. Sie wurde 1969 gegründet und bildet einen „integralen Bestandteil der NPD“. Als Bundesvorsitzender amtiert seit 2002 Stefan ROCHOW. Kraft seines Amtes ist der Vorsitzende der JN zugleich Mitglied des Parteivorstands der NPD. Die JN sehen sich als „nationalistische Jugendbewegung Deutschlands“ mit „revolutionärer Ausrichtung“ an. Sie bekennen sich zur „Volksgemeinschaft“, die sie in „einer neuen nationalistischen Ordnung“ verwirklichen wollen.



Seit 2004 bemühen sich die JN, ihre Organisationsstruktur wiederaufzubauen und eigene politische Akzente zu setzen, nachdem sie lange lediglich ein „Anhängsel“ der NPD darstellten. Obwohl sie inzwischen einige Landesverbände und regionale Stützpunkte gegründet haben, ist es ihnen bisher nicht gelungen, die Organisation spürbar wiederzubeleben und in Bezug auf das Personenpotenzial einen Aufwärtstrend einzuleiten. Daher dürfte sich die Anzahl ihrer Mitglieder bundesweit unverändert auf etwa 350 belaufen.



Im Berichtszeitraum gingen von den JN – wie im Jahr zuvor – nur wenige öffentlichkeitswirksame Aktivitäten aus. Vom 17. bis 19. März fand in Rudolstadt eine Tagung von führenden Funktionären der ostdeutschen Landesverbände und der Mitglieder des Bundesvorstands statt. Mit dem Treffen soll vor allem die Absicht verfolgt worden sein, sich auf eine gemeinsame Strategie zu verständigen, die auf die Gewinnung von Mitgliedern sowie auf einen „verstärkt sozialrevolutionär und aktionistisch ausgerichteten Kurs“ abzielt. Eine Form des praktizierbaren Widerstands sahen die Teilnehmer darin, die „Wortergreifungsstrategie beim politischen Gegner“ anzuwenden: In der „direkten Konfrontation mit dem Gegner soll dieser nicht mehr in der Lage sein über Nationalisten, sondern nur noch mit ihnen zu diskutieren.



Vom 14. bis 16. April führten sie in Mosbach bei Eisenach ihre traditionelle „Osterschulung“ durch, für die sie nicht mehr als ca. 20 Teilnehmer mobilisieren konnten. In den Jahren 2004 und 2005 fanden solche Schulungen nicht statt, da es an Teilnehmern mangelte.

Der Thüringer Landesverband der JN



Am 14. Januar wurde erneut ein Landesverband der JN in Thüringen gegründet, nachdem sich ein solcher bereits im Jahr 2000 konstituiert hatte. Er untergliederte sich in die Stützpunkte Jena, Eisenach, Gera und Saalfeld-Rudolstadt und zählte Ende 2000 etwa 70 Mitglieder. Von 2001 an gingen von diesem Landesverband kaum noch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten aus. Ab dem Jahr 2003 existierte er faktisch nicht mehr.



Im Jahr 2004 waren jedoch Ansätze für eine Reorganisation der JN in Thüringen zu beobachten, die letzten Endes in die Neugründung des Landesverbands im Januar 2006 mündeten. Im Jahr 2005 bestanden Stützpunkte im Saale-Orla-Kreis, in Jena und im Raum Saalfeld-Rudolstadt. Ende 2005 gehörten den Thüringer JN etwa 20 Mitglieder an.



Indem die JN im Februar 2006 einen neuen Stützpunkt in Erfurt bildeten, hielten sie an ihrem seit 2004 verfolgten Ziel fest, die Strukturen wiederzubeleben. Andererseits scheint der Stützpunkt Saale-Orla nicht mehr zu bestehen. Folglich untergliedert sich der Landesverband in die drei Stützpunkte Erfurt, Jena und Saalfeld-Rudolstadt. Im Berichtszeitraum gehörten dem Landesverband weiterhin etwa 20 Mitglieder an. Außerdem bestehen zwischen der NPD und der JN zahlreiche Doppelmitgliedschaften. So gehört die Mehrzahl der Mitglieder des Landesvorstands zugleich der NPD an und hat in der Partei zum Teil auch Funktionen inne.



Der Landesverband trat lediglich in den ersten Monaten des Berichtzeitraums aktiv hervor. So führte er im Rahmen einer Kampagne gegen „Kinderschänder und Sexualstraftäter“ in den Monaten Februar, März und Mai im Raum Weimarer Land mehrere Kundgebungen durch, an denen sich im Durchschnitt ca. 20 Personen beteiligten. Die Veranstaltungen fanden in der Öffentlichkeit nur wenig Beachtung. Die JN trieben diese Kampagne offensichtlich mit dem Ziel voran, Anhänger zu gewinnen, indem sie sich des Themas „Kinderschänder“ in populistischer Art und Weise annahmen. Außerdem nahmen Mitglieder der JN an Aktionen der NPD und des neonazistischen Spektrums teil.



Ebenso wenig wie im Jahr 2005 ist es den JN in Thüringen im Berichtszeitraum gelungen, ihre Strukturen nachhaltig mit Leben zu erfüllen, Mitglieder hinzuzugewinnen, sich durch originäre, besonders für Jugendliche interessante Aktionen von der NPD zu „emanzipieren“ und im rechtsextremistischen Lager Thüringens eine eigenständige Stellung zu erlangen.



5.2 Deutsche Volksunion (DVU)
bitte über Link anschauen.

5.2.1 Der Bundesverband der DVU



Die DVU wurde 1987[45] in München unter dem Namen „Deutsche Volksunion-Liste D“ (DVU-Liste D) gegründet und 1991 durch Satzungsänderung in „Deutsche Volksunion“ (DVU) umbenannt. Mit derzeit etwa 8.500 Mitgliedern – einschließlich der DVU e.V. und weiterer Nebenorganisationen – ist sie noch die mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei Deutschlands. Die DVU verfügt in allen Bundesländern über Landesverbände. Gegenwärtig ist sie in den Parlamenten von Brandenburg und Bremen vertreten.



Der Münchener Verleger Dr. Gerhard FREY, der seit der Gründung der DVU als deren Bundesvorsitzender amtiert, wurde auf dem Bundesparteitag im Januar 2005 abermals im Amt bestätigt. Die Partei wird von Dr. FREY zentralistisch geführt. Der bedingungslose Machtanspruch des Vorsitzenden lässt den Unterorganisationen keinen Handlungsspielraum, um eigene Initiativen zu entfalten und selbstständig politische Arbeit zu leisten. Nach wie vor ist die DVU bei ihrem Vorsitzenden hoch verschuldet. Die Personalunion von Vorsitzendem und Kreditgeber verleiht Dr. FREY eine ungewöhnliche Machtfülle. Er ist faktisch zugleich Chefideologe und -stratege der Partei, alleinige Entscheidungsinstanz in Sach- und Personalangelegenheiten, einzig befugtes Sprachrohr und nicht zuletzt ihr oberster Spendeneintreiber und Großfinanzier.



Die DVU hat ihr Parteiprogramm bewusst vage formuliert, um ihre verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu verschleiern und möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Die extremistische Ausrichtung der Partei kommt in ihrem Parteiorgan „National-Zeitung/Deutsche Wochenzeitung“ (NZ) deutlicher zum Ausdruck als im Parteiprogramm. In der NZ greift die DVU die typischen rechtsextremistischen Agitationsfelder unter dem Blickwinkel eines übersteigerten Nationalismus auf. Besondere Schwerpunkte bilden Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Antiamerikanismus sowie ein umfassender Revisionismus. Ausländer und Juden werden pauschal diskreditiert und als hauptsächliche antideutsche Feindbilder dargestellt.


Die DVU und der „Deutschland-Pakt“



Der „Deutschland-Pakt“, der 2005 zwischen der NPD und der DVU geschlossen wurde, scheint der NPD eher zum Vorteil zu gereichen als der DVU. Dafür spricht das Ergebnis der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, zu der entsprechend dem „Deutschland-Pakt“ die DVU antrat. Obwohl der Wahlkampf mit einem sehr hohen materiellen Einsatz geführt wurde und sich zahlreiche Mitglieder der NPD als Wahlkampfhelfer für die DVU betätigten, entfielen auf die DVU lediglich 3 % der Zweitstimmen. Infolgedessen verfehlte sie ihr Wahlziel deutlich, in den Landtag von Sachsen-Anhalt einzuziehen. Da Dr. FREY es nicht der NPD anlasten kann, an der 5 %-Hürde gescheitert zu sein, dürfte er den „Deutschland-Pakt“ vorerst nicht offen in Frage stellen.



Obwohl die Bundesvorsitzenden der DVU und NPD, Dr. FREY und VOIGT, auch 2006 betonten, beide Parteien seien sich in den Grundzielen einig, bestehen die Differenzen fort, die sich insbesondere auf die Beurteilung des Nationalsozialismus und auf die Zusammenarbeit mit Neonazis und Skinheads beziehen. Beide Parteien unterscheiden sich auch in Hinsicht auf ihre Grundstruktur und ihre Fähigkeit erheblich voneinander, ihre Anhänger für Aktionen und die Parteiarbeit zu mobilisieren. Während von den überalterten Landesverbänden der DVU kaum öffentlichkeitswirksame Aktionen ausgehen, entfalten die im Durchschnitt erheblich jüngeren Mitglieder der Landes- und Kreisverbände der NPD insbesondere im „Kampf um die Straße“ in weit größerem Ausmaß Aktivitäten. Sollte die DVU infolgedessen gegenüber der NPD immer mehr an Anziehungskraft verlieren, könnte dieser Prozess die DVU antreiben, sich aus dem „Deutschland-Pakt“ und der „Volksfront von Rechts“ zurückzuziehen und wieder eigenständig neben der NPD zu agieren.


5.2.2 Der Thüringer Landesverband der DVU



Als Vorsitzender des Landesverbands Thüringen der DVU, der 1991 gegründet wurde, amtiert Walter BECK. Er wurde auf dem gemeinsamen Landesparteitag der Landesverbände Sachsen und Thüringen am 15. Januar in Bad Kösen zum wiederholten Mal im Amt bestätigt.



Der Zerfallsprozess, von dem der Landesverband seit Jahren geprägt wird, setzte sich auch im Berichtszeitraum fort. Die Partei verfügt zwar offiziell über mehrere Kreisverbände. Die Aktivitäten ihrer Mitglieder beschränken sich jedoch meistens darauf, die „National-Zeitung“ zu beziehen und gelegentlich die „Politischen Stammtische“ der Partei zu besuchen. Da es der DVU im Freistaat an Strukturen fehlt, was u.a. auf den autoritären Führungsstil des Bundesvorsitzenden zurückzuführen ist, und es ihr an engagierten Mitgliedern mangelt, gelang es dem Landesverband auch 2006 nicht, eine kontinuierliche Parteiarbeit zu leisten und den Niedergang zu stoppen. Im Berichtszeitraum sank die Zahl der Mitglieder, die ohnehin seit Jahren stetig zurückgegangen ist, von ca. 80 im Vorjahr auf etwa 60 ab. Die Thüringer DVU ist – im Gegensatz zur NPD – für junge Rechtsextremisten nicht attraktiv. Das Durchschnittsalter der Mitglieder des Landesvorstands liegt bei ca. 60 Jahren.



Eine Bündnispolitik, die sich auf die NPD bezog, wurde vom Landesverband der DVU im Berichtszeitraum nicht gezielt betrieben. Mit der NPD wirkten jedoch Uwe BÄZ-DÖLLE, der im Landesverband die größte Bedeutung erlangt hat, und Walter BECK auch 2006 eng zusammen. Beide traten zur Bundestagswahl im September 2005 als Direktkandidaten der NPD an.



BÄZ-DÖLLE pflegt nicht nur zur NPD, sondern auch zu anderen Rechtsextremisten intensive Kontakte. Seit Jahren tritt er als stellvertretender Versammlungsleiter bzw. Ordner des „Sandro-Weilkes-Gedenkmarschs“ auf, der vom Landesverband der NPD jedes Jahr veranstaltet wird. Seit 1999 amtiert er als Beisitzer im Landesvorstand der DVU, die er im Stadtrat von Lauscha vertritt. Bei den Kommunalwahlen im Mai 2006 entfielen auf BÄZ-DÖLLE 18 % der Stimmen, als er sich um das Amt des Bürgermeisters in Lauscha bewarb. Der Landesverband der NPD wertete dieses Ergebnis als „Achtungserfolg“. BÄZ-DÖLLE verfügt aufgrund seines kommunalpolitischen Engagements in der Lauschaer Region über eine gewisse Akzeptanz in der Bevölkerung. Daher werden die DVU bzw. die NPD vermutlich auch in Zukunft versuchen, dessen Popularität für ihre Ziele auszunutzen.



5.3 „Deutsche Partei“ (DP)
bitte über Link anschauen

5.3.1 Der Bundesverband der DP



Die DP wurde am 9. Mai 1993 (wieder) gegründet. Als ihr Bundesvorsitzender amtierte von 2001 bis Anfang 2005 der frühere hessische FDP-Landtagsabgeordnete und ehemalige Vorsitzende des „Bundes Freier Bürger – Offensive für Deutschland. Die Freiheitlichen“ (BFB – Die Offensive), Dr. Heiner KAPPEL. Ein interner Richtungsstreit zog im Januar 2005 die Abwahl Dr. KAPPELs nach sich. Seitdem führen die ehemalige Vorsitzende der „Freiheitlichen Deutschen Volkspartei“ (FDVP)[46], Claudia WIECHMANN, und Ulrich PÄTZOLD, ein Funktionär der DP aus Bayern, die Partei als Doppelspitze. Die DP, der im Berichtzeitraum bundesweit – wie in den Jahren zuvor – erneut nur etwa 500 Mitglieder angehörten, gliedert sich in mehrere Landesverbände, von denen einzelne jedoch nahezu inaktiv sind oder zumindest über keine festen Strukturen verfügen.



Die DP gibt vor, ihre politische Arbeit an den Leitmotiven „Wahrheit – Freiheit – Recht“ auszurichten. Sie verfolgt nach wie vor das Ziel, als Sammelbewegung aller „freiheitlich, wertkonservativ und patriotisch“ gesinnten Bürger zu fungieren. Die Grundlage ihrer Politik bilden das 12-Punkte-Programm vom 28. April 2002 und das 20-Punkte-Programm vom 4. Oktober 2003.



Bei der DP liegen tatsächliche Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen vor, auch wenn nicht jedes Mitglied verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Ihrer Agitation liegen unterschwellig fremdenfeindliche Denkmuster zugrunde, die sich gegen die Zuwanderung von Ausländern richten. Zudem agitiert das 20-Punkte-Programm gegen die Strukturen des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland und setzt das Grundgesetz herab, das Ausdruck der unverändert andauernden Teil-Souveränität Deutschlands gegenüber den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs sei.



Der DP gelang es auch im Berichtzeitraum nicht, die Bedeutungslosigkeit zu überwinden und den sich abzeichnenden Auflösungserscheinungen entgegenzuwirken. Vielmehr offenbarte die Parteispitze Führungsschwäche und Orientierungslosigkeit, die die Unzufriedenheit unter den Mitgliedern steigerte. Nachdem die DP unter der Führung von Dr. KAPPEL noch 2004 beschlossen hatte, der NPD gegenüber einen strikten Abgrenzungskurs zu verfolgen, haben sich 2005 jene Kräfte in der Partei durchgesetzt, die für eine Zusammenarbeit mit der NPD eintreten. Ungeachtet dieses Richtungswechsels wird es der DP auch bis auf weiteres nicht gelingen, sich zu einer Größe von Gewicht im rechtsextremistischen Parteienspektrum zu entwickeln.


5.3.2 Der Thüringer Landesverband der DP


Der Landesverband wurde 2003 gegründet; als dessen Vorsitzender amtiert seither Kurt HOPPE. Dem Landesverband gelang es ebenso wenig wie in den vergangenen Jahren, unter den rechtsextremistischen Parteien an Bedeutung zu gewinnen. Bis auf HOPPE und Christian BÄRTHEL, die sich auch in anderen rechtsextremistischen Gruppierungen/Personenzusam-menhängen engagieren, sind im Landesvorstand keine Rechtsextremisten vertreten, die in Thüringen durch Aktionen hervortreten. Im Durchschnitt sind die Personen, die den Landesvorstand bilden, ca. 60 Jahre alt.



Obwohl zwei Mitglieder des Landesverbands in den Bundesvorstand gewählt worden sind, ist die Thüringer DP lediglich von geringer bundespolitischer Bedeutung. Auch im Berichtszeitraum vermochte es der Landesverband nicht, eine regelmäßige Parteiarbeit zu betreiben; ebenso wenig trat er mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Erscheinung. Auch in Thüringen steigerten die Schwächen und die Orientierungslosigkeit der Parteispitze die Unzufriedenheit, die im Berichtszeitraum unter den wenigen Mitgliedern um sich griff. Daher sank die ohnehin geringe Mitgliederzahl des Thüringer Landesverbands von ca. 20 im Jahr 2005 auf nur noch etwa 15 ab.



Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen des Landesverbands ergeben sich vor allem aus den langjährigen engen Kontakten, die insbesondere der Landesvorsitzende Kurt HOPPE zur NPD bzw. zum neonazistischen Spektrum unterhält. HOPPE kandidierte als Direktkandidat für die NPD zur Bundestagswahl 2005. Aus Anlass des Volkstrauertages beteiligte er sich am 19. November 2006 als stellvertretender Versammlungsleiter und Redner an einer Gedenkfeier des rechtsextremistischen Spektrums am Soldatengrab auf der Schmücke bei Oberhof. Unter den ca. 40 Teilnehmern befanden sich Mitglieder der DP, Angehörige der „Kameradschaft Zella-Mehlis“ und der DVU. Außerdem beteiligte sich die DP im September gemeinsam mit der NPD und der „Kameradschaft Zella-Mehlis“ an einem Aufruf, der sich gegen ein vermeintlich „linkes/linksextremistisches Netzwerk in Südthüringen“ richtete.



5.4 Exkurs: Rechtsextremisten beteiligen sich an den Kommunalwahlen in Thüringen



Am 7. Mai bewarben sich bei den Kommunalwahlen auch drei Rechtsextremisten um das Amt eines Bürgermeisters. Zur Wahl standen 16 Landräte, 6 Oberbürgermeister in den kreisfreien Städten sowie 102 hauptamtliche und 15 ehrenamtliche Bürgermeister.


NPD



Der Rechtsextremist Jan MORGENROTH trat in der Gemeinde Blankenhain als Kandidat der NPD für das Amt des Bürgermeisters an. Er erhielt 184 von 2.969 gültigen Stimmen (6,2 %). Im Wahlkampf hatte er sozialpolitische Themen, wie z.B. die Jugendarbeit, aufgegriffen.



Der Vorsitzende des Landesverbands Thüringen der NPD, Frank SCHWERDT, wertete dieses Ergebnis als Erfolg für die Partei, auf den für die Zukunft aufgebaut werden könne. Zudem wies er auf das außerordentliche Ergebnis der NPD in der Gemeinde Tromlitz hin, wo auf den Kandidaten der Partei 38% der Stimmen entfallen sind.



Die Nominierung MORGENROTHs werde, hatte die NPD im Februar im Internet mitgeteilt, von den „Jungen Nationaldemokraten“ (JN), der Jugendorganisation der NPD, der Ortsgruppe Blankenhain der NPD sowie „freien Kräften“ der Kameradschaft Blankenhain unterstützt. Wie die Ergebnisse der vorgezogenen Bundestagswahl vom 18. September 2005 zeigten, führe diese Zusammenarbeit nach Ansicht der NPD zum Erfolg; damals waren in Blankenhain 7,6 % der Stimmen auf die NPD entfallen.


DVU



Uwe BÄZ-DÖLLE, der sich als Mitglied der DVU um das Amt des Bürgermeisters in Lauscha bewarb, gewann 342 von 1.898 gültigen Stimmen (18,0 %). Der Landesverband der NPD wertete dieses Ergebnis als „Achtungserfolg“, das „den Erfolg der bisherigen Arbeit des Kommunalpolitikers“ deutlich repräsentiere.



Rechtsextremistischer Einzelbewerber



Der Rechtsextremist Christian BÄRTHEL kandidierte in Ronneburg als Einzelbewerber für das Amt des Bürgermeisters. Er konnte 172 von 2.792 gültigen Stimmen (6,2 %) auf sich vereinen.



BÄRTHEL gehört seit langem der rechtsextremistischen Szene Thüringens an. Wiederholt trat er als Initiator, Redner oder Teilnehmer von Veranstaltungen in Erscheinung, die von der rechtsextremistischen Szene durchgeführt wurden.



Fazit



Obwohl die drei rechtsextremistischen Bewerber in ihren Wahlkreisen mit einigem Erfolg abschnitten, reagierte die Szene verhalten. Lediglich der Landesverband der NPD bedankte sich im Internet bei allen, die zum „Wahlerfolg“ der Partei beigetragen hätten. Das nächste Ziel bildeten nunmehr die Landtagswahlen in Thüringen im Jahr 2009. Künftig werde der Schwerpunkt der politischen Arbeit darauf ausgerichtet, kündigte SCHWERDT an, die Verankerung in den Kommunen auszubauen.



Den rechtsextremistischen Parteien ist es nicht gelungen, landesweit Kandidaten zu nominieren. Wie die Wahlergebnisse zeigen, die die drei rechtsextremistischen Kandidaten erzielt haben, ist es jedoch auf kommunaler Ebene möglich, die 5 %-Hürde zu überwinden. Folgerichtig bemühte sich die NPD seither insbesondere in Hinsicht auf die Landtagswahl 2009, sich in den Kommunen verstärkt zu betätigen, um sich als „volksnahe“ Partei und politische Alternative anzubieten.



6. Sonstige Gruppierungen



In Thüringen traten im Berichtszeitraum wiederholt sonstige überregionale rechtsextremistische Gruppierungen auf. Sie wählten den Freistaat unter anderem deshalb für ihre Veranstaltungen, weil er sich zentral in der Mitte Deutschlands befindet. Die Personen, die an den Veranstaltungen dieser Gruppierungen teilnahmen, stammten überwiegend aus anderen Bundesländern. Inhaltlich reicht das Spektrum der im Folgenden dargestellten Gruppierungen vom germanisch-heidnischen über den neonazistischen bis hin zum „intellektuellen“ Rechtsextremismus.



6.1 Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. (Artgemeinschaft)


Die 1951 gegründete germanisch-heidnische „Artgemeinschaft“ hat ihren Sitz in Berlin, entfaltet ihre Aktivitäten aber von Hamburg aus. Sie versteht sich als Glaubensbund, der „die Kultur der nordeuropäischen Menschenart“ bewahren, erneuern und weiterentwickeln will und verbindet heidnisch – germanische Glaubensansätze mit rassistischen Vorstellungen. Von ihren bundesweit ca. 150 Mitgliedern stammen lediglich etwa 10 aus Thüringen. Die „Artgemeinschaft“ gibt die „Nordische Zeitung“ sowie eine Schriftenreihe heraus und verfügt über eine eigene Website. Ihr Vorsitzender, der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen RIEGER, zählt seit Jahren zu den aktivsten Rechtsextremisten Deutschlands. Im November 2006 wurde er als Beisitzer in den Parteivorstand der NPD gewählt. Wegen seines breit angelegten Engagements, seiner Kontakte und Auftritte als Referent oder als Verteidiger von Rechtsextremisten gilt er als Symbol- und Integrationsfigur im deutschen Rechtsextremismus.[47]



Ihre regelmäßigen überregionalen „Gemeinschaftstagungen“, die um die Tag- und Nachtgleichen, die Sommersonnenwende und Anfang Dezember stattfinden, führte die „Artgemeinschaft“ auch 2006 wieder in Nordthüringen durch. Deren Teilnehmer, unter denen alle Altersgruppen vom Kleinkind bis zum Rentner, ehemalige und aktuelle Aktivisten der rechtsextremistischen Szene vertreten sind, kamen nahezu aus dem gesamten Bundesgebiet. Die geschlossenen Veranstaltungen wirkten zum Teil wie Volksfeste und gesellige Familienveranstaltungen, in denen germanisches Kulturerbe gepflegt wird. Dieser harmlos anmutenden „Lagerfeuerromantik“ stehen allerdings rechtsextremistische Ideologieelemente im Regelwerk der „Artgemeinschaft“ entgegen. So gebietet das „Sittengesetz“ der „Artgemeinschaft“ ihren Mitgliedern u.a., sich für die „Wahrung, Einigung und Mehrung germanischer Art“ einzusetzen, „Gefolgschaft dem besseren Führer“ zu leisten und eine „gleichgeartete Gattenwahl (als) Gewähr für gleichgeartete Kinder“ zu treffen.


6.2 „Intellektueller“ Rechtsextremismus


Seit den achtziger Jahren versucht eine Strömung des rechtsextremistischen Spektrums, die mitunter auch als „Neue Rechte“ bezeichnet wird, völkische und nationalistische Ordnungsvorstellungen intellektuell und wissenschaftlich zu untermauern und das Erscheinungsbild des Rechtsextremismus zu modernisieren. Zu diesem Zweck wurden Gesprächskreise eingerichtet, Tagungen und Kongresse abgehalten sowie programmatische Schriften und Zeitschriften herausgegeben, um den „Kampf um die Köpfe“ zu gewinnen.



Die „Neue Rechte“ blieb jedoch auch im Berichtszeitraum sowohl in der Öffentlichkeit als auch im rechtsextremistischen Lager weitgehend unbeachtet. Es gelang ihr auch 2006 nicht, den angestrebten öffentlichen Diskurs anzustoßen, um eine „kulturelle Hegemonie“ – d.h. die Meinungsführerschaft des Rechtsextremismus in der Gesellschaft – zu erlangen. Ebenso wenig vermochten es jene Gruppierungen, die der „Neuen Rechten“ zuzurechnen sind, ihre Ideen innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums durchzusetzen. Die Zirkel der „Neuen Rechten“ sind immer wieder von Richtungsstreitigkeiten geprägt. Sie lösten sich auf oder stagnierten auf niedrigem Niveau. So wurde im Berichtszeitraum keine Tagung des „Deutschen Kollegs“ mehr in Thüringen bekannt, während es in den Vorjahren den Freistaat mehrmals als Ort seiner Veranstaltungen gewählt hatte. Im Bereich des „Intellektuellen Rechtsextremismus“ wurden auch mehrere Publikationen eingestellt oder nur noch in unregelmäßigen Abständen herausgegeben.



Auch in Thüringen kommt dem Bereich des „intellektuellen“ Rechtsextremismus eine geringe Bedeutung zu. Thüringer Rechtsextremisten führen weder intellektuelle Gesprächszirkel durch noch geben sie Schriften heraus, um die Vorstellungen der „Neuen Rechten“ zu verbreiten. Vereinzelt nehmen Thüringer an Tagungen teil, die einige überregionale rechtsextremistische Zirkel im Freistaat durchführen. Im Berichtszeitraum fanden in Thüringen Tagungen des „Collegium Humanum e.V.“ (CH), der „Deutschen Akademie“ und der „Gesellschaft für Freie Publizistik e.V.“ (GFP) statt.



„Collegium Humanum e.V.“ (CH)



Vom 22. bis 23. April richtete das CH in Mosbach bei Eisenach unter dem Titel „Strategien zur Eroberung der Macht – durch das deutsche Volk für das deutsche Volk“ eine Tagung aus. Eigenen Angaben zufolge decke sich „der Kampf um die Macht“ mit dem „Kampf um die Wiederherstellung des deutschen Staates“. Dieser sei „gleichbedeutend“ mit „dem Kampf gegen die Fremdherrschaft mit dem Ziel der Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches“. Als Referent trat der rechtsextremistische Rechtsanwalt Horst MAHLER auf. Vom 14. bis 15. Oktober fand in Mosbach eine weitere Tagung des CH statt, deren Thema „Das Verhältnis von Religion/Weltanschauung zum Staat“ lautete.



Das CH, dessen Sitz sich in Vlotho (Nordrhein-Westfalen) befindet, dient seit Jahrzehnten als Bildungsstätte, die auch von Rechtsextremisten genutzt wird. Die Vorsitzende des CH, Ursula HAVERBECK-WETZEL, arbeitet eng mit Horst MAHLER zusammen. MAHLER tritt aktiv im revisionistischen „Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Verfolgten“ (VRBHV) und der von ihm initiierten „Reichsbürgerbewegung“ (RBB) auf.



Das Berliner Kammergericht verurteilte MAHLER am 12. Januar 2005 wegen Volksverhetzung zu einer Haftstrafe von neun Monaten ohne Bewährung, nachdem er 2002 in einem Schriftstück Hass auf Juden als „untrügliches Zeichen eines intakten spirituellen Immunsystems“ bezeichnet hatte. MAHLER trat die Haftstrafe am 15. November 2006 an.



„Deutsche Akademie“ (DA)



Vom 7. bis 8. Oktober veranstaltete die DA unter dem Motto „nationalrevolutionär heute“ ebenfalls in Mosbach eine Arbeitstagung, die lediglich von wenigen Personen besucht wurde und ohne Außenwirkung blieb.



Sie war darauf ausgerichtet, Begriffe und Ideen des „Nationalrevolutionären“ zu erörtern und Strategien zu entwickeln, mit denen „nationalrevolutionäre“ Positionen Verbreitung finden könnten. Von den Teilnehmern sollten zentrale Begriffe erarbeitet, vorgestellt und diskutiert werden, die auf die Analyse und Überwindung des Kapitalismus abzielen. Die Veranstaltung schloss an eine erste Arbeitstagung an, die die DA unter demselben Titel vom 8. bis 9. Oktober 2005 ebenfalls in Mosbach organisiert hatte.



Für beide Veranstaltungen zeichnete Jürgen SCHWAB verantwortlich, der zu den Wortführern der „Nationalrevolutionäre“ zählt. Er rechnete früher zu den maßgeblichen Theoretikern der NPD, verließ jedoch die Partei und tritt seit 2004 als deren Kritiker auf. Die „Nationalrevolutionäre“ bilden eine eigenständige, vergleichsweise unbedeutende Strömung innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums. Sie vertreten ideologische Standpunkte, die sich aus nationalistisch-völkischen und sozialistischen Theorieelementen – und somit aus „rechten“ und „linken“ Inhalten – zusammensetzen. Sie treten für einen „sozialrevolutionären Nationalismus“ ein und sehen die DA als ein „organisationsübergreifendes Forum“ an, um „nationalrevolutionäre“ Theoreme zu diskutieren und ihren Ansichten innerhalb des rechtsextremistischen Lagers ein stärkeres Gewicht zu verleihen.



Die DA stellt einen organisationsübergreifenden, rechtsextremistischen Theoriezirkel dar, der Schulungen und Seminare zur „staatstheoretischen“ Bildungsarbeit ausrichtet.



„Gesellschaft für freie Publizistik e.V.“ (GFP)



Am 14. Oktober führte der Arbeitskreis der GFP in Bad Liebenstein unter dem Titel „Leben wir noch in einem Rechtsstaat?“ eine Tagung durch. Mit der Veranstaltung verfolgte die GFP wahrscheinlich das Ziel, der Bundesrepublik Deutschland den Charakter eines pluralistisch ausgerichteten, freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats abzusprechen, obwohl das Grundgesetz auch politischen Extremisten Freiheitsrechte – wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung – einräumt.



Die GFP, die 1960 von ehemaligen Offizieren der SS und Funktionären der NSDAP gegründet wurde, stellt die größte rechtsextremistische „Kulturvereinigung“ dar. Sie versteht sich als überparteiliche Sammelorganisation von Rechtsextremisten, die im publizistischen Bereich aktiv sind. Gegenwärtig zählt sie etwa 480 Mitglieder. Die GFP verbreitet ausländerfeindliche und nationalistische Ansichten. Sie will vor allem „Aufklärungsarbeit“ leisten, um die angeblich verzerrte Darstellung der Zeitgeschichte zu korrigieren. Sie organisiert Vortragsveranstaltungen und einen Jahreskongress, auf dem bekannte Wortführer des rechtsextremistischen Spektrums als Referenten auftreten, und gibt die Schrift „Das Freie Forum“ heraus.


6.3 „Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V. (DDF) – Der Bismarck Deutsche“


Die DDF stellt eine neonazistische Organisation dar, die nationalistisches, rassistisches und antisemitisches Gedankengut verbreitet. Die Aktivitäten der Organisation beschränken sich nahezu ausschließlich darauf, die Zweimonatsschrift „Recht und Wahrheit“, die Artikel von rechtsextremistischen Autoren und Verlegern publiziert, herauszugeben und zweimal jährlich „Recht und Wahrheit-Lesertreffen“ unter dem Namen „Tage Deutscher Gemeinschaft“, deren Teilnehmer dem gesamten rechtsextremistischen Spektrum angehören, zu veranstalten. Für die Lesertreffen trägt der ehemalige Vorsitzende der NPD, Günter DECKERT, die Verantwortung.



Die DDF führt seit 1997 in Nordthüringen ihre jährlichen „Recht und Wahrheit-Lesertreffen“ durch. In diesem Jahr fand die Frühjahrstagung vom 5. bis 7. Mai und die Herbsttagung vom 20. bis 22. Oktober statt. An ihnen beteiligten sich jeweils bis zu 80 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet, unter denen sich nur wenige Personen aus Thüringen befanden. Die „Recht und Wahrheit-Lesertreffen“ haben für die rechtsextremistische Szene Thüringens nur eine geringe Bedeutung. Dies hat seine Ursache in dem von den Initiatoren geübten Verzicht auf größere Außenwirkung, in der Auswahl sowie der intellektualisierenden Betrachtungs- und Behandlungsweise der jeweils angeschnittenen Themen.



6.4 „Exilregierung Deutsches Reich“



Seit Anfang 2000 gehen von einer so genannten Kommissarischen Reichsregierung des Deutschen Reiches (KRR)[48] bundesweit Aktivitäten aus. Sie will suggerieren, dass das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 fortbesteht. Als Beleg führt sie u.a. mehrere völkerrechtliche Verträge und entsprechende Gerichtsurteile an, die diese Rechtsauffassung angeblich stützten. Aufgrund interner Unstimmigkeiten innerhalb der KRR spalteten sich mehrere kleine Personengruppen ab, die unter anderen Bezeichnungen die Ansichten der KRR weiter vertreten.



Bei der „Exilregierung Deutsches Reich“ handelt es sich um einen im Jahr 2004 gegründeten Ableger der KRR. Die „Exilregierung“ entfaltet Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und wird daher beobachtet. In den Verlautbarungen der „Exilregierung“ finden sich zahlreiche Belege für die Nichtanerkennung der völkerrechtlich akzeptierten territorialen Grenzen Deutschlands. Sie verfolgt somit Ziele, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind. Über die Kritik an Vertretern von Politik und Behörden hinaus lehnt die „Exilregierung“ das Gesamtsystem der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausdrücklich ab.



Anhänger der „Exilregierung“ wandten sich auch im Berichtszeitraum mit der Begründung gegen Entscheidungen bzw. Maßnahmen von Behörden und Gerichte, dass diese Stellen – ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland – „nicht existent“ seien.



Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der „Exilregierung“ wurden bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht festgestellt. Die „Exilregierung“ führte im Berichtszeitraum lediglich interne Treffen durch, darunter auch so genannte Kabinettsitzungen mit Bürgerinformation in der Nähe von Eisenach. Innerhalb der rechtsextremistischen Szene Thüringens spielt die „Exilregierung“ keine Rolle.



7. Politisch motivierte Kriminalität – Rechts – im Überblick



Die Entwicklung der im Bereich der politisch motivierten Kriminalität – Rechts – in den letzten Jahren in Thüringen begangenen Straftaten stellt sich wie folgt dar.
(Link)
Im Bereich der politisch motivierten Kriminalität – Rechts – ist die Anzahl der Straftaten im Vergleich mit dem Jahr 2005 leicht zurückgegangen; es wurden neun Delikte weniger festgestellt. Wie 2005 machten auch im Berichtszeitraum die Propagandadelikte mehr als die Hälfte der Straftaten aus. Die Anzahl der Straftaten, die der Gewaltkriminalität zuzurechnen sind, ist gegenüber dem Jahr 2005 fast gleich geblieben. Die fremdenfeindlichen und antisemitischen Straftaten, die sich auf unterschiedliche Delikte verteilen, haben hingegen im Vergleich mit dem Vorjahr von 105 auf 150 zugenommen. Somit setzte sich der Rückgang dieser Straftaten aus dem Vorjahr nicht fort.



Die meisten Delikte waren wie im Jahr zuvor in den Schutzbereichen der Polizeidirektionen Jena (122), Gera (110) und Gotha (9cool zu verzeichnen. Zu diesen Polizeidirektionen gehören die Städte Weimar, Altenburg und Eisenach, die auch 2006 Aktionsschwerpunkte der neonazistischen Szene bildeten.

http://www.verfassungsschutz.thueringen....006/vsb2006.htm



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10.10.2007 ~ 09:47 Uhr ~ ClaudiaPoser schreibt:
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RE: Verfassungsschutzbericht 2006 Thüringen Beitrag Kennung: 71642
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III. Linksextremismus
1. Überblick

Bundesweit umfasst das Potenzial der revolutionären Marxisten etwa 25.000 Personen. Hinzu kommen ca. 6.000 Personen, die die Verfassungsschutzbehörden der gewaltbereiten linksex-tremistischen Szene zurechnen. Zu ihnen gehören auch etwa 5.500 Autonome. Diese Zahlen entsprechen im Wesentlichen den Werten des Vorjahres. Die verschiedenen Auszweigungen der Szene stagnieren somit weiterhin auf dem bereits 2002 erreichten Niveau.

Die Lage im Freistaat stellte sich 2006 in Bezug auf das linksextremistische Spektrum wie folgt dar:

In Thüringen wird das Potenzial der gewaltbereiten autonomen Szene auf etwa 150 Personen beziffert. Deren Anzahl ist somit seit 2002 in Thüringen gleich geblieben, während sie in der Bundesrepublik insgesamt angestiegen ist. Der autonomen Szene gelang es 2006 jedoch nicht, für ihre Aktionen ebenso viele Personen zu mobilisieren wie in den Jahren zuvor. In der Vergangenheit nahmen teilweise deutlich mehr als 200 Personen an Aktionen teil, für die die autonome Szene geworben hatte. Derartige Teilnehmerzahlen wurden 2006 nicht erreicht.

Statistiken bitte Link: http://www.verfassungsschutz.thueringen....006/vsb2006.htm

Das die Szene in den Vorjahren prägende Netzwerk „Autonome Thüringer Antifa-Gruppen“ (ATAG) trat im Berichtszeitraum nicht mehr in Erscheinung. Lediglich dessen Homepage bestand weiter;[51] sie wurde genutzt, um für Aktivitäten der Szene zu mobilisieren. An die Stelle von ATAG trat ab März 2006 die „Autonome Antifa Koordination Thüringen“ [a²kt], die sich als „eine Vernetzung antifaschistischer Gruppen in Thüringen“ bezeichnet. Wie in ATAG dürften auch in dem neuen Netzwerk die maßgebenden Gruppen und Zusammenhänge des autonomen Spektrums in Thüringen vertreten sein.

Die Zahl, die Art und die Intensität der Aktivitäten, die auf die Autonomen zurückgingen, die der Szene immanente Neigung zu Straf- und Gewalttaten, die von ihr eingesetzten Kommunikationsmittel und die von ihr bevorzugten thematischen Schwerpunkte änderten sich im Wesentlichen nicht. Akzentverschiebungen hinsichtlich der jeweils gewählten, letztlich jedoch traditionellen Themenfelder ergaben sich aus der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung. Der „Antifaschismus“ blieb auch 2006 für die autonome Szene in Thüringen das wichtigste Aktionsfeld. Deren Aktionen richteten sich überwiegend gegen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene und deren Strukturen. Sie zielten aber auch oft auf die Zivilgesellschaft ab, da diese nach Ansicht der Szene von einem „rechten“ Konsens gekennzeichnet sei und daher ebenso bekämpft werden müsse wie der Rechtsextremismus. Zugleich war die autonome Szene bestrebt, sich von der Zivilgesellschaft abzugrenzen und zu distanzieren.

Die in Thüringen agierenden marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen haben es 2006 wiederum nicht vermocht, die Zahl ihrer Mitglieder bzw. Anhänger zu steigern. Ebenso wenig veränderten sich deren Aktivitäten. Ihre Aktionen wurden, sofern sie in der Öffentlichkeit überhaupt in Erscheinung traten, kaum wahrgenommen. Angehörige des autonomen Spektrums und die linksextremistischen Parteien unterhielten auch im Berichtszeitraum Kontakte, die über Thüringen hinausreichten.

2. Ideologischer Hintergrund

Das in sich breit gefächerte linksextremistische Spektrum vertritt im Einzelnen ideologisch voneinander abweichende Positionen. Es schließt Anhänger der „wissenschaftlichen Sozialismus- und Kommunismustheorien“ ebenso ein wie Sozialrevolutionäre, Anarchisten und Autonome. Die Werke von MARX, ENGELS, LENIN, von STALIN, TROTZKI und MAO TSE-TUNG stellen die Grundlage der unterschiedlichen Anschauungen und theoretischen Gebilde dar. Gemeinsam ist den Linksextremisten das Ziel, die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung zu beseitigen. Ihre – wie unterschiedlich auch immer gearteten – Bestrebungen richten sich letzten Endes gegen grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Linksextremisten wollen entweder ein marxistisch-leninistisches Staatsgebilde oder eine „herrschaftsfreie Gesellschaft“ errichten. Sie verbindet das Bekenntnis zur revolutionären Gewalt, zum Klassenkampf und zur Klassenherrschaft. Ihr Grundsatz, dass sich die von ihnen angestrebten gesellschaftlichen Veränderungen nur durch den Einsatz revolutionärer Gewalt vollziehen lassen, wird aus taktischen Gründen oft verschwiegen. Bei tagespolitischen Auseinandersetzungen greifen sie häufig zu legalen, gewaltfreien Formen des politischen Engagements. Diese Taktik erleichtert es den Linksextremisten, auf bestimmten Politikfeldern auch Bündnispartner zu finden, die extremistischen Methoden im Grunde genommen abgeneigt sind. Die eigene extremistische Ausrichtung wird bewusst verschleiert.

3. Marxistisch-leninistische Parteien und Organisationen
3.1 „Kommunistische Plattform“ (KPF) der „Linkspartei.PDS“

Gründungsjahr: 1989
Sitz: Berlin
Mitglieder: ca. 1.000 (Bund)
ca. 50 (Thüringen)
Publikationen: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Linkspartei.PDS“ (monatlich)

Das Statut der Linkspartei.PDS sieht vor, im Rahmen der Partei Plattformen, Arbeits- und Interessengemeinschaften zu bilden. Sie sind integraler Bestandteil der Linkspartei.PDS, die sich als linke „Strömungspartei“ versteht. Sie bieten ihr Ansatzpunkte für eine breite Bündnis- und Integrationspolitik. Eine Vereinigung dieser Art stellt die am 30. Dezember 1989 in der damaligen SED-PDS gegründete KPF dar. In ihrer Satzung definiert sie sich als „ein offen tätiger Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten in der PDS“. Als marxistisch-leninistische, sich zum Kommunismus bekennende Organisation arbeitet sie eng mit der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP) und weiteren Personenzusammenschlüssen zusammen. Sie ist „offen für alle, unabhängig von parteilicher und sonstiger politischer Bindung“, sofern „Mehrheitsbeschlüsse der KPF“ und das Statut der Partei akzeptiert werden. Im Rahmen des von ihr angestrebten „breiten linken Bündnisses“ arbeitet sie insbesondere darauf hin, „die Zusammenarbeit mit allen ..., die mit dem Ziel einer sozialistischen Alternative zum bestehenden kapitalistischen System aktiv in politischen, sozialen und anderen Auseinandersetzungen der Gegenwart stehen“, herzustellen.

Auf Bundesebene wird die KPF von einem Bundeskoordinierungsrat (BKR) geleitet und durch den Bundessprecherrat vertreten; auf Landesebene sind adäquate Organe tätig. Das höchste Gremium bildet die Bundeskonferenz, die laut Satzung mindestens einmal jährlich einzuberufen ist. Sie beschließt nicht nur die politischen Leitlinien der KPF, sondern wählt auch den Bundeskoordinierungs- und Bundessprecherrat. In Thüringen konstituierte sich die KPF im März 1993.

Auch wenn die KPF in den Turbulenzen des Fusionsprozesses von Linkspartei.PDS und WASG 2006 weitgehend aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden war, verfolgte sie weiterhin das Ziel, in der Linkspartei.PDS marxistische Politik fortzusetzen. Im Hinblick auf die geplante Parteineugründung[52] will die KPF auch weiterhin für eine „neue linke Partei mit sozialistischem Ziel und antikapitalistischem Profil“ kämpfen, „die unter den gegebenen Verhältnissen vor allem für Widerstand gegen Sozialabbau, Krieg und Rechtsentwicklung steht“. Als Belege für diese Politik führte Ellen BROMBACHER, Mitglied des Bundessprecherrats, in ihrem Referat auf der 1. Tagung der 13. KPF-Bundeskonferenz am 1. Oktober u.a. eine Kuba-Solidaritätsaktion[53], das „Wirken zur Abwehr pogromartiger Stimmungen gegen ehemalige MfS-Angehörige“, die diversen Tätigkeiten Sahra WAGENKNECHTs[54] sowie die „seit 15 Jahren monatlich erscheinenden Mitteilungen der Kommunistischen Plattform“ an. BROMBACHER verwies zugleich erneut darauf, dass die KPF, obwohl sie in der Partei alles andere als isoliert sei, „das Kräfteverhältnis in der PDS zu keinem Zeitpunkt prinzipiell beeinflusst“ habe. Dieses hätte sich zunehmend zugunsten derer verändert, die sich – nicht ohne Erfolg – darum bemühten und bemühen, „Kommunisten und Marxisten das Leben in der PDS unerträglich zu machen“. In Vorbereitung der 2. Tagung des 10. Parteitags der Linkspartei.PDS, der im März 2007 stattfand, hält es die KPF für ihre wichtigste Aufgabe, bei der geplanten Vereinigung von Linkspartei und WASG „beispielhafte demokratische Rechte des geltenden Statuts zu bewahren: Im Zentrum unserer Arbeit steht alles, was sich um das Statut der neuen Partei rankt“. Als weitere wesentliche Aufgaben der Plattform wurden im Beschluss der Konferenz u.a. die Mitwirkung in der Diskussion um das neue Parteiprogramm und – wie bisher – die Intensivierung der „Zusammenarbeit mit dem Marxistischen Forum, dem Geraer Dialog und anderen marxistisch orientierten Kräften innerhalb und außerhalb von Linkspartei.PDS und WASG, insbesondere mit der DKP und dem Rotfuchsverein“ festgehalten. Gleichermaßen strebt die KPF an, die „aktive Arbeit“ in sozialen und antifaschistischen Bündnissen sowie die Unterstützung der Friedensbewegung und des „Solidaritätskomitees für die Opfer der politischen Verfolgung in Deutschland“ fortzusetzen.

Auf der 1. Tagung der 13. Bundeskonferenz wurden außerdem die obersten Gremien der KPF neu gewählt. Im 22-köpfigen Bundeskoordinierungsrat (BKR) sind nunmehr zwei Personen aus Thüringen vertreten. Sahra WAGENKNECHT, die dem BKR weiterhin angehört, wurde auf der 1. Tagung des 10. Parteitages der Linkspartei.PDS am 29. und 30. April in Halle von 60,9 % der Delegierten abermals in den Bundesvorstand gewählt.

Von der KPF Thüringen wurden im Berichtszeitraum, von einer im September veröffentlichten, offenen Stellungnahme zum „Parteibildungsprozess“ abgesehen, keine Aktivitäten wahrgenommen.

3.2 „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP)
Gründungsjahr: 1968
Sitz: Essen
Vorsitzender: Heinz STEHR
Mitglieder: 4.200 (Bund)
ca. 50 (Thüringen)
Publikationen: „Unsere Zeit“ („UZ“, wöchentlich)

Die 1968 in Frankfurt/Main gegründete DKP sieht sich als Nachfolgerin der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen „Kommunistischen Partei Deutschlands“ (KPD) an. In ihrem neuen, am 8. April 2006 beschlossenen Parteiprogramm charakterisiert sie sich als antifaschistische, revolutionäre Partei der Arbeiterklasse, als Partei des proletarischen Internationalismus und als Partei des Widerstandes gegen die sozialreaktionäre, antidemokratische und friedensgefährdende Politik der Herrschenden, die sich von den Zukunfts- und Gesamtinteressen der Arbeiter und Angestellten als Klasse leiten lässt. Weltanschauung, Politik und Organisationsverständnis der DKP gründen dem Programm zufolge auf den wissenschaftlichen Sozialismus, auf der Theorie von MARX, ENGELS und LENIN. Die Partei will die Lehren des Marxismus auf die derzeitigen Bedingungen des Klassenkampfes anwenden und gleichzeitig zu ihrer Weiterentwicklung beitragen. Ihr Ziel sieht sie im Sozialismus/Kommunismus, wofür es die Arbeiterklasse und die Mehrheit der anderen Werktätigen zu gewinnen gelte. Nur der revolutionäre Bruch mit den kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen beseitige letztendlich die Ursachen von Ausbeutung und Entfremdung, Krieg, Verelendung und Zerstörung der natürlichen Umwelt.

Die im Januar 1996 gegründete DKP Thüringen umfasst nach eigenen Angaben vier Regionalgruppen. Der Koordinierungsrat, dessen Mitglieder von der Landesmitglieder-versammlung gewählt werden, bildet das Führungsgremium der Partei.

2. Tagung des 17. Parteitags beschließt am 8. April ein neues Grundsatzprogramm

Berichten in den Medien nach führte die DKP am 8. April die 2. Tagung ihres 17. Parteitags als „Arbeitsparteitag“ in Duisburg-Rheinhausen durch. Den einzigen Tagesordnungspunkt bildete – nach rund sechsjähriger, „zeitweise sehr zugespitzter und sehr unterschiedliche Positionen reflektierender Diskussion“ – die abschließende Beratung und Verabschiedung eines neuen Parteiprogramms. Das Programm wurde mit einer deutlichen Mehrheit angenommen. Von den Delegierten stimmen 115 dafür und 34 dagegen; 10 enthielten sich der Stimme. Das Dokument ersetzt das noch aus dem Jahr 1978 stammende „Mannheimer Programm“. Dem Parteitag sollen 345 Änderungsanträge von 46 Parteigliederungen vorgelegen haben. In seinem Schlusswort soll der Vorsitzende der DKP, STEHR, die Beratung als „Lehrstunden für Theorie, Politik und Praxis“ in der DKP gewürdigt haben, die gute Argumente und Kraft für ein stärkeres Eingreifen in die politischen Auseinandersetzungen gegeben hätte. Problemfelder wie die Einschätzung aktueller „Entwicklungen im Monopolkapitalismus“, die Rolle der Partei im Klassenkampf, Ursachen und Schlussfolgerungen aus der „Niederlage von 1989/1990“[55], der Charakter des gegenwärtigen Imperialismus oder diverse Sozialismusvorstellungen sind in der Partei nach wie vor umstritten.

In dem nun beschlossenen Parteiprogramm versucht die DKP, die „Gründe der Niederlage“ und die neue „Epochensituation“ zu analysieren und ihre Sozialismusvorstellungen und Kampfformen zu aktualisieren. Die Partei will „Erfahrungen aus dem Aufbau des Sozialismus in der DDR“ ... „in die Spezifik des Klassenkampfes unter bundesdeutschen Bedingungen“ einbringen und „Anschluss an die verschiedenen spontanen linken Protest- und Oppositionsbewegungen“ finden. Die DKP bekennt sich weiterhin zu den „Lehren von Marx, Engels, Lenin und ihren Nachfolgern“, zum „revolutionären Bruch mit den kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnissen“ und zur „Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft mit dem Sozialismus als deren erster Phase“. Das Mitglied der Programmkommission, Prof. Dr. Hans Heinz HOLZ, vermisste jedoch, wie er in der Tageszeitung „junge Welt“ kritisierte, den „Fanfarenton des Aufbruchs“. Das Dokument sei zu wenig kämpferisch im Ton und die „Darstellung des Weges zum Sozialismus“ bliebe blass.

Kampagne zur Aufhebung des Verbots der „Kommunistischen Partei Deutschlands“ (KPD)
Anlässlich des 50. Jahrestags des Verbots der KPD durch das Bundesverfassungsgericht am 17. August 1956 leitete die DKP eine Kampagne ein, die auf die Aufhebung dieses Urteils abzielte. Gleichzeitig forderte die Partei, die vermeintlichen Opfer „einer politisch motivierten Justiz und staatlichen Repression aus der Zeit des Kalten Krieges“ zu rehabilitieren und das ihnen „erlittene Unrecht“ wiedergutzumachen. Die Kampagne begann am 10. März mit einem Aufruf unter dem Titel „Antikommunismus ist mehr als eine Torheit!“[56], der sich an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ebenso richtete wie an die Abgeordneten der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament und mit einer Unterschriftenaktion verbunden war. In dem Aufruf appellierte die DKP an die Abgeordneten, „dieses Verbot als historisch überlebtes Relikt des Kalten Krieges endlich aufzuheben“. Es sei ein zeitbedingtes politisches Urteil, eine fragwürdige juristische Konstruktion und „in juristische Formeln gekleideter Antikommunismus“, das gebraucht wurde, um die Westintegration der BRD und die damit verbundene Wiederaufrüstung zu erleichtern, die dagegen gerichteten außerparlamentarischen Bewegungen zu bekämpfen sowie kapitalismuskritische Bestrebungen im Dienst der Restauration der alten Besitz- und Machtverhältnisse generell zu kriminalisieren. Bis heute diene es als „politisches Disziplinierungsmittel“ und als „Repressionsinstrument im Wartestand“. Es schränke die Freiheit der politischen Meinungsäußerung ein und sei ein „Mittel der politisch-juristischen Ausgrenzung der Kommunisten und anderer kapitalismuskritischer Bestrebungen“.

Den Höhepunkt der Kampagne bildete eine von einem Kulturprogramm begleitete Vortrags- und Diskussionsveranstaltung, die am 19. August unter der Losung „Kommunistenverfolgung beenden! KPD-Verbot aufheben!“ in Berlin stattfand. Presseberichten zufolge sollen an der Veranstaltung 500 bis 600 Personen teilgenommen haben. Im Verlauf einer Podiumsdis- kussion wurde das Verbot der KPD verurteilt, dessen Aufhebung allein von einer breiten außerparlamentarischen Bewegung erreicht werden könne.

Die Kampagne wurde auch in Thüringen aufgegriffen, wo die DKP u.a. zusammen mit der Landesorganisation Thüringen der „Kommunistischen Partei Deutschlands“ (KPD), der KPF Thüringen und dem RotFuchs-Förderverein eine analoge Vortrags- und Diskussions-veranstaltung organisierte. Sie fand, wie aus Presseberichten und dem Internet hervorging, unter dem Motto „Antikommunismus ist mehr als eine Torheit – Weg mit dem KPD-Verbot!“ am 18. August in Weimar statt und zog etwa 100 Teilnehmer an. Die Vorsitzenden der KPD/Ost und der DKP Thüringen nahmen ebenfalls an der Veranstaltung teil. Das Verbot der KPD wurde als „längst hinfälliges unrechtmäßiges Urteil“ kritisiert, das sich „auch heute noch gegen alle aufrechten Demokraten und Antifaschisten“ richte und endlich aufgehoben werden müsse. Vertreter aller anwesenden Organisationen sollen „unter dem Eindruck aktueller antikommunistischer Tendenzen“ ihre Entschlossenheit bekräftigt haben, auch in Thüringen noch enger und produktiver zusammenzuarbeiten.

Erneut Spenden- und Unterstützungskampagne für die Wochenzeitung „Unsere Zeit“ („UZ“) gestartet

Am 1. Juli 2006 beging die DKP den „10. Wieder-Geburtstag“ ihres Zentralorgans „UZ“ als Wochenzeitung.[57] Wie der Geschäftsführer des Verlages in einem der „UZ“ aus diesem Anlass gegebenen Interview äußerte, fehle zum Feiern jedoch die Geburtstagslaune. Außerdem erfordere die Lage Taten. Die Situation sei durch „permanente Mangelwirtschaft“ geprägt; die Redaktion der „UZ“ bestehe lediglich noch aus zwei Vollzeit-Redakteuren, einem Layouter und dem Geschäftsführer. Man müsse sich stärker darauf konzentrieren, neue „AbonnentInnen“ zu werben. Die Zeitung dümple aber, was die Gewinnung neuer Leser anbelangt, schon seit Jahren bei monatlich 30 Abonnements vor sich hin. Mindestens die doppelte Anzahl sei jedoch notwendig, um den jährlichen Rückgang aufzufangen. Es stelle eine der bedeutendsten Leistungen der DKP nach 1989 und eine wichtige Investition in die Zukunft dar, dass die „UZ“ wiedererscheinen und als Wochenzeitung erhalten werden konnte. Die Finanzkommission des Parteivorstandes habe daher beschlossen, mit einem Spendenaufruf mindestens 30.000 Euro für die Zeitung aufzubringen.

Den im Interview angekündigten Aufruf veröffentlichte die DKP unter dem Motto „Taten statt Geburtstagsreden!“ in der gleichen Ausgabe der „UZ“: Solange die Wende in der Entwicklung der Abonnements nicht geschafft worden sei, hänge das Erscheinen der „UZ“ von regelmäßigen Spenden ab. Alle „LeserInnen“, denen der Erhalt der „UZ“ als Wochenzeitung am Herzen liege, werden daher gebeten, 10 Euro (oder mehr) zu spenden und/oder in ihrem persönlichen und politischen Umfeld möglichst viele Spenden zu sammeln. Ergänzend dazu appellierte die Zeitung außerdem an die „tatkräftige Unterstützung unserer LeserInnen und aller DKP-Mitglieder“, „damit wir die nächsten Jahre nicht nur irgendwie überleben, sondern stärker werden“.

Wie ein im Oktober in der „UZ“ publizierter Artikel verdeutlichte, blieb die Aktion bisher relativ erfolglos. Es stünden 43.600 Euro von 428 „AbonnentInnen“ aus, und die Redaktion der „UZ“ wisse derzeit nicht, wie sie die Gehälter, Honorare usw. im November und Dezember bezahlen solle. Der Beitrag endete mit Bitten an die säumigen AbonnentInnen, ihre Schulden zu begleichen, an wohlhabende Gliederungen der DKP, mit kurzfristigen Darlehen bis Mitte Januar 2007 auszuhelfen sowie an „besserverdienende UZ-LeserInnen“, auf ein Förder-Abonnement umzusteigen oder für die Zeitung zu spenden.

Bereits 2002 und 2004 hatte sich die „UZ“ in einer akuten finanziellen Notlage befunden. Auch in jenen Jahren führte die Partei mit großem propagandistischen Aufwand Spenden- und Werbekampagnen durch, die jedoch nicht die erhoffte langfristige Wirkung zeigten. In der Tendenz ist die Entwicklung der Abonnements rückläufig geblieben. Eine Lösung des Problems ist nicht in Sicht.

Die DKP in Thüringen

Die DKP trat auch 2006 in Thüringen nur selten in Erscheinung. Die personellen und finanziellen Probleme des Landesverbands dauern weiterhin an. Allerdings gelang es ihm, seit Anfang des Jahres die regionale Kleinzeitung „Thüringenreport“ wieder regelmäßig alle zwei Monate herauszugeben. Einem in der „UZ“ veröffentlichten Artikel zufolge will die DKP im „Thüringenreport“ „über das aktuelle politische Geschehen in Thüringen, über Maßnahmen des Sozialabbaus und die weitere Verschärfung der sozialen Lage des Großteils der Menschen, die hier leben“ berichten. Zugleich bemühe sie sich darum, „Alternativen aufzuzeigen zur antisozialen Politik der CDU-geführten Landesregierung unter Ministerpräsident Dieter Althaus, zum weiteren Ausverkauf öffentlichen Eigentums und zur Volksverarmung“. Im Januar veranstaltete die Thüringer DKP in Gera zudem ein „Philosophieseminar“, dessen Thema „Materialistische Dialektik – Dialektischer Materialismus“ lautete.

3.2.1 „Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ)

Die formal selbstständige, jedoch mit der DKP eng verbundene Jugendorganisation zählt bundesweit etwa 300 Mitglieder. In Thüringen, wo sie seit 1996 existiert, ist sie nur mit wenigen Mitgliedern vertreten.

Nachdem auf dem 17. Bundeskongress der SDAJ im Oktober 2004 die Leitung der Organisation einer kollektiven Bundesgeschäftsführung übertragen worden war, fungiert seit Anfang des Jahres 2006 Michael GRÜß als neuer Bundesvorsitzender der Jugend-organisation.

Vom 2. bis 5. Juni fand in Warburg-Bonenburg/Nordrhein-Westfalen unter dem Motto „Party for your right to fight!“ das „legendäre Pfingstcamp“ – wie es die Organisation bezeichnete – wieder als Zentralveranstaltung statt. Wie die „UZ“ meldete, sollen an dem Camp etwa 350 Jugendliche teilgenommen haben. Im Jahr 2005 hatte die SDAJ vier regionale Pfingstcamps organisiert.

Neben Diskussions- und Informationsveranstaltungen zu Themen wie „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln bleibt unsere Losung!“, „Antikommunismus – ein Gespenst geht um in Europa“, „Rote Karte für die WM 2006“, „Wie den Bildungsabbau stoppen?“ und „Lateinamerika: Startschuss für eine neue Offensive gegen den Imperialismus?“ umfasste das Programm auch Lesungen, Filmvorführungen, Sportwettkämpfe, „Cubanische Nächte“ sowie einen HipHop-Workshop. Als „Partyknaller schlechthin“ wurde ein „Revolutions-Karaoke“ angekündigt, „damit jeder den Soundtrack zum Klassenkampf dann auch zu Hause singen kann“.

3.3 „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD)

Gründungsjahr: 1982
Sitz: Gelsenkirchen
Vorsitzender Stefan ENGEL
Mitglieder: 2.300 (Bund)
ca. 50 (Thüringen)
Publikationen: „Rote Fahne“ (wöchentlich)

Die MLPD wurde 1982 in Bochum gegründet. Sie „wendet den Marxismus-Leninismus und die Maotsetungideen schöpferisch auf die heutige Situation an“. In der Präambel ihrer „Organisationspolitischen Grundsätze“ bezeichnet sie sich „als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland“. Als ihr „grundlegendes Ziel“ sieht die MLPD den „revolutionären Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft“ an. In ihrem 1999 auf dem „Gelsenkirchener Parteitag“ beschlossenen Parteiprogramm führt sie ergänzend aus: „Die Eroberung der politischen Macht ist das strategische Ziel des Klassenkampfes der Arbeiterklasse. Die MLPD hat die Aufgabe, die entscheidende Mehrheit der Arbeiterklasse für den Sozialismus zu gewinnen und ihre Kämpfe in einem umfassenden, gegen das Monopolkapital und seinen Staat als politisches Herrschaftsinstrument gerichteten Kampf höherzuentwickeln. ... Der Kern der revolutionären Taktik der MLPD besteht darin, den wirtschaftlichen mit dem politischen Kampf zu verbinden bzw. den wirtschaftlichen in den politischen Kampf umzuwandeln und den Klassenkampf auf das sozialistische Ziel hin auszurichten.“ Im linksextremistischen Lager ist die MLPD aufgrund ihres sektiererischen Auftretens isoliert.

Eisenach und Sonneberg bilden im Freistaat die organisatorischen Schwerpunkte der Partei. Hier sind auch der Jugendverband „REBELL“ und die Kinderorganisation „Rotfüchse“, die Nebenorganisationen der Partei bilden, vertreten.

Die MLPD erhält Millionen-Spende

Im Berichtszeitraum gelang es der MLPD, die sich als „Zukunftspartei“ und „sozialistische Alternative“ ansieht, zweimal, die von ihr oft beklagte „Totschweigepraxis der Massenmedien“ erfolgreich zu durchbrechen.

In der Zeit von September 2005 bis Juni 2006 erhielt die MLPD von ihrem Mitglied Michael MAY mehrere Großspenden in Höhe von insgesamt 2,5 Millionen Euro. Damit hatte die MLPD in diesem Zeitraum mehr Zuwendungen von einem einzelnen Spender erhalten als jede der „großen“ Parteien. Sowohl die außerordentliche Höhe der Spenden als auch die Tatsache, dass sie von einer Privatperson stammen, rief Ende Juli/Anfang August in den Medien ein großes Echo hervor. MAY nahm am 30. Juli als Studiogast an der ARD-Talkshow „Sabine Christiansen“ teil, in der er für gesellschaftliche Veränderungen und seine Partei warb. Auf die Frage, was mit dem Geld geschehen werde, erklärte der Vorsitzende der Partei, Stefan ENGEL, im August auf einer Veranstaltung: „Wir gehen davon aus, dass kaum noch eine Bundesregierung in Zukunft ihre volle Amtszeit überleben wird und die politischen Krisen immer häufiger und tiefer auftreten werden. Darauf muss die MLPD vorbereitet sein und von einem Tag auf den anderen Kampagnen entwickeln können, um die Massen für den Kampf gegen die volksfeindliche Politik zu gewinnen. Dazu gehört auch, das nötige Geld zu haben. Außerdem wollen immer mehr Menschen bei uns aktiv werden und brauchen dafür eine entsprechende Ausbildung und Schulung. Auch das kostet Geld“. Anderen Berichten zufolge sollen die Spenden vor allem für die parteiinterne Bildungsarbeit, den Auf- und Ausbau von Strukturen der MLPD in Ostdeutschland sowie für die finanzielle Unterstützung der Montagsdemonstrationsbewegung verwendet werden.

Ein Echo in den Medien löste auch die Nachricht aus, dass der Vermögensverwaltungsverein der MLPD zum 1. Oktober zwei Nachbargebäude der Parteizentrale „Horster Mitte“ im Gelsenkirchener Stadtteil Horst erworben habe. Dort sollen u.a. das Willi-Dickhut-Museum, eine öffentliche Leihbibliothek und gastronomische Einrichtungen untergebracht werden.

Im Juni meldete die Partei auch die „bisher erfolgreichste Spendensammlung der MLPD“, die zur Finanzierung ihrer „Offensive für den echten Sozialismus“[58] von Juni 2005 bis März 2006 durchgeführt wurde und angeblich – ohne Großspenden – 561.632,51 Euro eingebracht habe. Aus Thüringen sollen die Untergliederungen in Eisenach und Sonneberg 3.212,08 bzw. 1.059,33 Euro beigetragen haben. Die MLPD habe, verkündete ENGEL im Juni in den Medien der Partei, finanzpolitisch hervorragende Ergebnisse erzielt. Insgesamt seien seit Beginn des Jahres 2005 über drei Millionen Euro für die MLPD gespendet worden, was es seit der Gründung der MLPD noch nie gegeben habe. Die Summe bilde „neben der Bestreitung unserer Kosten zusätzlich eine hervorragende Reserve für die zukünftigen Aktivitäten der Partei“.

Im Jahr 2006 wandte sich die MLPD verstärkt dem Thema Umweltschutz zu. Schon seit längerem engagiert sie sich insbesondere für „Kryo-Recycling“[59] und eine Kreislauf-wirtschaft. Ab April veröffentlichte sie in ihrem Zentralorgan unter der Überschrift „Beschleunigter Umschlag in eine globale Umweltkatastrophe – Herausforderung für die Menschheit“ eine 28-teilige Artikelserie mit dem Ziel, die „kämpferische Umweltbewegung“ zu stärken. Der „Kampf zur Rettung der Umwelt vor der Profitgier“ habe „strategische Bedeutung für das Überleben der Menschheit und den Aufbau des Sozialismus“. Wichtig sei es, den „Umweltkampf mit sozialen, antiimperialistischen Kämpfen, Arbeiterkämpfen, dem Kampf zur Befreiung der Frau und den Kämpfen von Zwischenschichten“ zu verbinden.

Sommercamp der MLPD-Jugendorganisation „REBELL“
Das traditionelle Sommercamp des MLPD-Jugendverbands „REBELL“ und seiner Kinderorganisation „Rotfüchse“ fand in der Zeit vom 22. Juli bis 12. August zum vierten Mal in der „Ferien- und Freizeitanlage Truckenthal“ im Thüringer Wald statt. Erstmals war die Dauer des Camps von sechs auf drei Wochen verkürzt worden, um Angaben der Partei zufolge die Kapazitäten der Anlage voll ausnutzen und den Einsatz der Kräfte effektiv organisieren zu können. Der wahre Grund hierfür dürfte jedoch eher in der kontinuierlich rückläufigen Teilnehmerzahl der Sommercamps liegen, die trotz intensiver Werbung von über 600 Personen im Jahr 2003 auf etwa 400 in 2005[60] abgesunken war. Im Jahr 2006 sollen an dem Sommercamp, wie die Partei mitteilte, 380 Personen teilgenommen haben.

Die Teilnehmer des Lagers hatten u.a. einen Tag pro Woche „unter fachmännischer Anleitung“ und den Bedingungen eines „sozialistischen Wettbewerbs“ am weiteren Ausbau der Ferienanlage mitzuarbeiten. Für einen weiteren Tag war die Beteiligung an „Gemeinschaftsdiensten“ obligatorisch. Außerdem mussten sie einen „Einsatz zur Unterstützung des Aufbaus von REBELL und MLPD in einer Nachbarstadt“ absolvieren. So führten ca. 80 Kinder und Jugendliche des Sommercamps am 2. August in Sonneberg eine „Demo gegen Israels Krieg im Libanon“ durch. Eine Delegation des REBELL soll sich ebenfalls in Sonneberg an einer „Montagsdemonstration“ gegen die Sozialreformen der Bundesregierung beteiligt haben.

Ein „begeisternder“ Höhepunkt des Sommercamps bildete nach Angaben der Partei das am 5. August von angeblich rund 1.250 Gästen besuchte „4. Große Waldfest“. Zum Programm gehörten u.a. ein Kinderfest, Sportwettkämpfe, Kreativ- und Informationsstände (darunter auch von der MLPD) sowie ein Kulturprogramm. Der Vorsitzende der Partei, ENGEL, sprach wie in den letzten Jahren ein Grußwort.

Die „Rote Fahne“ stellte mit Genugtuung fest, dass sich die Ferienanlage Truckenthal immer mehr zu einem Anziehungspunkt im Tourismusangebot der Region entwickle. Skandalös sei jedoch, dass die Landesregierung Thüringen bisher Fördergelder zum beschleunigten Ausbau dieses „sinnvollen Projektes“ verweigere.

3.4 „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD/Ost)
Gründungsjahr: 1990
Sitz: Berlin
Vorsitzender: Werner SCHLEESE bis April, seitdem (amtierend)
Mitglieder: Wolfgang FITTINGER
ca. 200 (Bund)
wenige Mitglieder (Thüringen)
Publikationen: „Die Rote Fahne“ (monatlich)

Die am 31. Januar 1990 im damaligen Ost-Berlin von ehemaligen Mitgliedern der SED „wiedergegründete“ KPD bekennt sich zu den Lehren von MARX, ENGELS, LENIN und STALIN. In ihrem auf dem 23. Parteitag 2003 neu gefassten Statut definiert sie sich als „marxistisch-leninistische Partei nach dem Vorbild der Leninschen Bolschewiki“, die „fest in der Tradition des Bundes der Kommunisten, des Spartakusbundes, der KPD und SED sowie ihrer hervorragenden Persönlichkeiten“ steht, zu denen sie u.a. Karl LIEBKNECHT, Rosa LUXEMBURG, Wilhelm PIECK, Ernst THÄLMANN, Walter ULBRICHT und Erich HONECKER rechnet. Sie sieht sich als „Erbe und Bewahrer der Erfahrungen und Erkenntnisse des Klassenkampfes der revolutionären Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten in Deutschland“ sowie „des Besten, was die deutsche Arbeiterklasse bisher erkämpfte, der sozialistischen Erfahrungen und Errungenschaften der DDR“ an. In ihrem auf dem 20. Parteitag 1999 beschlossenen Programm führt die Partei zu ihrer „Mission“ ergänzend aus: „Die Kommunistische Partei Deutschlands sieht als ihre Hauptaufgaben: die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten, die Errichtung der Diktatur des Proletariats, die Aufhebung des kapitalistischen Eigentums an Produktionsmitteln und seine Überführung in Volkes Hand, die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft in Deutschland und die Schaffung eines Arbeiter- und Bauernstaates.“

Der organisatorische Schwerpunkt der Partei befindet sich in den neuen Bundesländern. Die Landesorganisation Thüringen besteht seit April 1993. Der im April 2002 „wiedergegründete“ Kommunistische Jugendverband Deutschlands (KJVD), der auch in Thüringen organisatorisch vertreten ist, stellt die Jugendorganisation der Partei dar.

Die KPD wurde infolge von innerparteilichen Machtkämpfen, die in der Abspaltung der KPD/Bolschewiki (KPD/B) 2005 ihren Höhepunkt erreichten, personell, strukturell und organisatorisch deutlich geschwächt. Im Frühjahr 2006 erlitt sie einen weiteren Rückschlag, als der langjährige Parteivorsitzende Werner SCHLEESE im April überraschend von seinem Amt zurücktrat. Bis zum 25. Parteitag, der für 2007 vorgesehen ist, wird die KPD kommissarisch von Wolfgang FITTINGER geführt.

Die Partei hielt auch 2006 daran fest, eine „Aktionseinheit der Arbeiterklasse“ und ein „antiimperialistisches Volksbündnis“ zu formen. In einem im April im Zentralorgan „Die Rote Fahne“ veröffentlichten „Aktionsprogramm für den Kampf um dauerhaften Frieden, demokratische Rechte und soziale Sicherheit des Volkes“ erklärte die KPD, sich „angesichts der realen gegenwärtigen Zustände im Lande“ auf den Kampf um die Realisierung einiger der wesentlichsten gesellschaftspolitischen Gegenwartsforderungen zu konzentrieren. Sie schlug vor, „die in diesem Dokument zusammengefassten dringlichsten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Forderungen als eine gemeinsame Plattform für die weitere Entwicklung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse und einer umfassenden antiimperialistischen Volks-bewegung in der BRD zu nutzen“. Dies sei „ein wesentlicher Beitrag zur Abkehr und Abwehr der volksfeindlichen, antidemokratischen und sozialreaktionären Politik der gegenwärtigen BRD-Regierungskoalition“, die eine zunehmend aggressive Außenpolitik betreibe. Im linksextremistischen Spektrum fand das Aktionsprogramm jedoch keine Resonanz.

Die politisch-ideologische Ausrichtung der Partei hat sich nicht verändert. Nach wie vor wirken der Stalinismus sowie eine verherrlichende Sicht auf die DDR und die „Koreanische Demokratische Volksrepublik“ (KDVR) prägend auf sie ein. Sie würdigte in ihrem Zentralorgan „Die Rote Fahne“ ausgiebig den 50. Jahrestag der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR sowie den 56. Jahrestag der Bildung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und reagierte auf die international kritisierten Raketen- und Atomtests der KDVR mit Grußbotschaften an den „hochverehrten Genossen Kim Jong Il“.

In Thüringen entfaltete die Landesorganisation der KPD nur wenige erkennbare Aktivitäten. Wie in den Medien der Partei berichtet wurde, fand am 3. Juni unter der Losung „Unsere Zeitung als kollektiver Organisator, Agitator und Propagandist“ in Jena die traditionelle Leserkonferenz des Zentralorgans „Die Rote Fahne“ statt, an der sich – wie immer – die Redaktion und die Funktionäre des Zentralkomitees beteiligten. Im Mittelpunkt der Veranstaltung, an der auch Interessenten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin teilgenommen haben sollen, stand ein Meinungsaustausch, der sich auf die Entwicklung der Zeitung und deren weitere Verbreitung bezog. Am 29. Juli soll die KPD zusammen mit „Kommunisten und Sympathisanten“, u.a. von DKP und KPF, in Leinefelde ein Forum veranstaltet haben, in dessen Verlauf der Vorsitzende der Landesorganisation unter dem Motto „Klassenbrüder – schlagt ein in unsere Hand!“ u.a. für die „Herstellung der Aktionseinheit“ sowie die „Schaffung einer handlungsfähigen außerparlamentarischen Opposition“ und eines „umfassenden partei- und organisationsübergreifenden Aktionsbündnisses antiimperialistischen Charakters“ geworben habe. Weitere „Bürgerforen zu aktuellen politischen Themen“ sind geplant, um die „politische Massenarbeit“ zu aktivieren.

„Kommunistischer Jugendverband Deutschlands“ (KJVD)

Von der Jugendorganisation der KPD, dem KJVD, gingen 2006 ebenfalls kaum Impulse und Aktivitäten aus. Die Probleme des Verbands, die bereits 2005 aufgetreten sind, dauerten auch im Berichtszeitraum fort. Die anhaltende Krise des Verbands kommt u.a. darin zum Ausdruck, dass das jährlich von ihm organisierte „Treffen der Jugend“ letztmalig im September 2004 stattfand. Das Zentralkomitee will sich nun „entschiedener in Anleitung und Kontrolle der Probleme der Jugendarbeit annehmen“.

3.5 „Rote Hilfe e.V.“ (RH)
Gründungsjahr: 1975
Sitz: Göttingen
Mitglieder: ca. 4.300 (Bund)
Publikation: „Die Rote Hilfe“ (vierteljährlich)
Die RH versteht sich als „parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutz- und Solidaritätsorganisation“, die vermeintlich politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum politisch und materiell unterstützt. Sie organisiere „die Solidarität für alle, unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Weltanschauung, die in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden“. Darüber hinaus gelte die Solidarität „den von der Reaktion politisch Verfolgten in allen Ländern der Erde“.

Die Organisation gliedert sich bundesweit in knapp 40 Orts- bzw. Regionalgruppen. In Thüringen existieren Ortsgruppen in Erfurt und Jena; letztere ist mit einer Homepage im Internet vertreten. Die Regionalgruppe Südthüringen, die lange bestand und ihren Sitz in Zella-Mehlis hatte, wurde vermutlich zu Anfang des Jahres aufgelöst. Schon in den Vorjahren war sie öffentlich nicht mehr in Erscheinung getreten.

4. Autonome
4.1 Allgemeines

Autonome sind in der Bundesrepublik seit Ende der siebziger Jahre aktiv. Heute agieren sie in fast allen größeren Städten. Am stärksten treten sie in Ballungsräumen wie Berlin oder dem Rhein-Main-Gebiet hervor. Im Berichtszeitraum waren der Szene bundesweit etwa 5.500 gewaltbereite Autonome zuzurechnen.

Autonome erheben den Anspruch, nach eigenen Gesetzen leben zu wollen. Fremde Vorgaben, staatliche und gesellschaftliche Zwänge lehnen sie ab, da sie sich von ihnen eingeengt fühlen. „Keine Macht für niemand!“ lautet ihre paradoxe Devise. Kennzeichnend für Autonome ist eine generelle Anti-Haltung. Ihre ideologischen Vorstellungen sind oft diffus; anarchistische Elemente sind in sie ebenso eingegangen wie nihilistische, sozialrevolutionäre oder auch marxistische Versatzstücke. Die Autonomen sind entschlossen, die staatlichen Strukturen der Bundesrepublik zu zerschlagen, da sie den Lebensformen, die sie erstreben, entgegengerichtet sind. Ihr Individualismus ist mit in sich geschlossenen ideologischen Konzeptionen, die auf ein andersartiges Gesellschaftsmodell ausgerichtet sind, unvereinbar.

Verschiedene Schwerpunktthemen bilden die Grundlagen für die Diskussionen und Aktionen der autonomen Szene:

· Antifaschismus,

· Kampf gegen angenommene „Großmachtrollen“ der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union,

· Kampf gegen angenommenen „Geschichtsrevisionismus“ und „Opfermythen“ im Zusammenhang mit der öffentlichen Wahrnehmung der Zeit des Nationalsozialismus,

· „Häuserkampf“/Kampf gegen Umstrukturierung,

· Repression und innere Sicherheit,

· Antirassismus,

· Anti-Atomkraft-Bewegung, insbesondere Castor-Transporte,

· Internationalismus,

· Neoliberalismus und Globalisierung.

Die Intensität und die Bedeutung der genannten Themen schwanken. Im Berichtszeitraum blieb – wie in den Jahren zuvor – das Themengebiet „Antifaschismus“ Aktionsschwerpunkt der autonomen Szene.

Die Autonomen setzen sich auf vielfältige Art und Weise mit ihren Themen auseinander. Ihre Aktionen schließen Demonstrationen, Diskussionen und Vortragsveranstaltungen genauso ein wie Brand- und Sprengstoffanschläge. Oft münden ihre Demonstrationen in Straßenkrawalle ein oder ziehen Sachbeschädigungen nach sich, die zum Teil ein erhebliches Ausmaß erreichen. Gewalt stellt für die Autonomen ein selbstverständliches Aktionsmittel dar. Sie setzen sie auch gegen Personen ein, insbesondere im Rahmen von Protestaktionen, die sich gegen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene richten. Hier suchen Autonome die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner bzw. mit den Einsatzkräften der Polizei. Die Folge sind Sachbeschädigungen und Körperverletzungen, von denen oft auch Polizeibeamte betroffen sind.



Fest strukturierte, auf Dauer angelegte und übergreifende Organisationsformen widersprechen dem Grundverständnis der Autonomen. Nach wie vor ist die Szene heterogen zusammengesetzt; sie kennt weder Hierarchien noch Führungsstrukturen. Autonome agieren meist in kleinen, unverbindlichen, lokal begrenzten, dezentralen Personenzusammen-schlüssen.



Da die Wirkungsmöglichkeiten derartiger Gruppen allein wegen ihres niedrigen Organisationsniveaus begrenzt sind, wurden Versuche unternommen, übergreifende Organisationsformen zu finden. Vor allem das Aktionsthema „Antifaschismus“ bietet hier integrative Möglichkeiten. Das Verständnis, das Linksextremisten mit dem Antifaschismus verbinden, reduziert sich nicht auf die heute aktuellen Traditionslinien von Nationalsozialismus und Faschismus. Es schließt auch die Auseinandersetzung mit dem angeblich in der Bundesrepublik herrschenden „imperialistischen System“ ein, das die Autonomen als modifizierte Form des Dritten Reiches und dessen Fortsetzung deuten.



Als die seit 1992 bestehende „Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation“ (AA/BO) 2001 aufgelöst wurde, war der bisher bedeutendste Versuch fehlgeschlagen, autonome Strukturen bundesweit zu organisieren. Seither ist es der Szene nicht gelungen, Isolierung, regionale Begrenztheit des Aktionsradius und zahlenmäßige Schwäche zu überwinden.



Absprachen zwischen autonomen Gruppen sind in der Regel informeller Natur. Sie verständigen sich vor allem über das Internet, E-Mail-Anschlüsse und Infotelefone. Diese Medien ermöglichen es, sich überregional zu vernetzen, politische Ansichten zu verbreiten und für Veranstaltungen zu mobilisieren. Herkömmliche Formen der Kommunikation werden jedoch nach wie vor genutzt. So wird weiterhin bundesweit eine Reihe von Szeneblättern veröffentlicht, die zum Teil konspirativ verbreitet werden. Die Zeitschrift „INTERIM“, die vierzehntägig in Berlin erscheint, hat infolge ihrer überregionalen Ausstrahlung die größte Bedeutung erlangt.



Als Anlaufpunkte für die gesamte Szene und deren Sympathisanten sind so genannte Infoläden von besonderer Bedeutung. Sie bieten Kontaktmöglichkeiten und dienen als Treffpunkt, vertreiben aber auch linksextremistische Schriften und Flugblätter. Mit Plakaten und Aushängen informieren sie über aktuelle Aktivitäten und geplante Aktionen. Die in den Infoläden ausgelegte Literatur kann von jedermann verwendet werden. Interessierte finden dort Schriften, die sich mit szenetypischen Themen auseinandersetzen. Die Infoläden verfügen über Räumlichkeiten, um Veranstaltungen vorzubereiten und sich mit Angehörigen der Szene auszutauschen, sowie über Faxgeräte, Computer und Kopierer.



Ideologische Gegensätze zwischen „antideutschen“ und „antiimperialistischen“ Gruppen dauern fort



Auch die gravierenden ideologischen Gegensätze zwischen „antideutsch“ und „antiimperialistisch“ eingestellten autonomen Gruppierungen, die auf die Bewertung des Nahostkonflikts zurückgehen, erschweren es, das autonome Spektrum übergreifend zu vernetzen. Die Haltung zu Israel und den USA markiert die Trennlinie zwischen diesen beiden Richtungen. Den Kernpunkt „antideutscher“ Anschauungen bildet der Massenmord an den Juden während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Daraus resultiert sowohl die Ablehnung des deutschen Nationalstaats, den es aufzulösen gelte, weil die Diktatur der Nationalsozialisten und die Bundesrepublik angeblich eine Traditionslinie verbinde und der „deutsche Kapitalismus“ immer danach streben werde, die Juden zu vernichten, als auch die bedingungslose Solidarität mit dem Staat Israel. Die „antideutschen“ Gruppierungen unterstellen dem deutschen Staat eine Wesensart, die auf die Vernichtung anderer Ethnien – insbesondere des jüdischen Volkes – ausgerichtet ist. Diese Haltung wird von diesen Gruppierungen auch auf die Europäische Union (EU) übertragen. Der europäische Einigungsprozess wird als deutsches Projekt angesehen, um – diesmal auf friedlichem Weg – Großmachtstatus zu erlangen.



Der Staat Israel wird von diesen Gruppen als Zufluchtsort des jüdischen Volkes, als Schutzraum für Juden vor antisemitischer Verfolgung verstanden, der deshalb gegen alle Angriffe verteidigt werden müsse. Jedwede Kritik an Israel setzen „Antideutsche“ mit Antisemitismus gleich. Ähnlich werten sie die Kritik an den USA, da diese als Schutzmacht Israels angesehen werden. Im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts stellen sich „Antideutsche“ folgerichtig klar auf die Seite Israels.



„Antideutsche“ Positionen spielten innerhalb des linksextremistischen Spektrums lange lediglich eine untergeordnete Rolle, bis sie seit der Jahrtausendwende zunehmend von autonomen Gruppierungen aufgegriffen wurden. Seither haben diese Ansichten in der Szene zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die bedingungslose Solidarität mit Israel steht in direktem Gegensatz zu traditionellen „antiimperialistischen“ Ansichten autonomer Gruppierungen, denen zufolge Israel als „imperialistischer Brückenkopf“ der USA im arabischen Raum gilt. Die Gegensätze zwischen „antideutschen“ und „antiimperialistischen“ Positionen gewannen im Verlauf des Irakkrieges an Schärfe, als „antideutsche“ Gruppierungen die USA und ihre Verbündeten unterstützten.



Diese Gegensätze kommen bei Veranstaltungen in Symbolen zum Ausdruck, die in der Vergangenheit hier und da zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen „antideutschen“ und „antiimperialistischen“ Autonomen aufreizten: Während „antideutsche“ Gruppen Nationalflaggen Israels und der USA mit sich führen, tragen Anhänger „antiimperialistischer“ Gruppierungen so genannte Palästinensertücher. Veranstalter von breiter angelegten Aktionen, beispielsweise von Demonstrationen gegen das rechtsextremistische Spektrum, wirken auf die Teilnehmer ein, Nationalfahnen Israels und anderer Staaten nicht mitzuführen. Darin sehen sie ein Mittel, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den ideologisch unterschiedlich eingestellten Gruppen zuvorzukommen.



4.2 Bundesweite Aktionen



Linksextremistische Aktionen im Zusammenhang mit dem 61. Jahrestag der Bombardierung Dresdens am 11. und 13. Februar 2006 in Dresden



Gegen einen Aufmarsch der Rechtsextremisten protestierten am 11. Februar in Dresden zahlreiche Personen. Gegendemonstranten blockierten die Augustusbrücke, womit sie den Marsch der Rechtsextremisten durch die Innenstadt von Dresden verhinderten. Etwa 500 Autonome aus Sachsen und anderen Bundesländern demonstrierten unter dem Motto „Gegen jeden Geschichtsrevisionismus“ sowohl gegen den Trauermarsch des rechtsextremistischen Lagers als auch gegen die offiziellen Gedenkfeiern. Sie führten Fahnen Israels, Großbritanniens und der USA sowie Transparente mit sich, die mit den Aufschriften „Destroy the spirit of Dresden“ und „Deutsche TäterInnen sind keine Opfer“ versehen waren.



Am 13. Februar demonstrierten Angehörige der autonomen Szene erneut unter dem Motto „Gegen jeden Geschichtsrevisionismus“ in Dresden. Etwa 100 Personen zogen zum Heidefriedhof, um dort eine Kundgebung zu veranstalten. Einem Beitrag zufolge, der über das linke Internetportal „indymedia“ veröffentlicht wurde, sollen Trauergäste mit Sprüchen wie „Stalingrad war wunderbar – Naziopa blieb gleich da“, „Deutsche Täter sind keine Opfer“ und „Bomber Harris – Do it again“[61] empfangen worden sein.



Für die Demonstrationen am 11. und 13. Februar war intensiv mobilisiert worden. Ein „13. Februar Bündnis 2006“ hatte unter dem Motto „Destroy the spirit of Dresden“ zur Teilnahme an beiden Veranstaltungen aufgerufen. Auch in Thüringen wurden Informations-veranstaltungen in Erfurt, Jena und Gera angekündigt, die sich auf die beiden Aktionen bezogen. Die „Antifaschistische Aktion Gera“ (AAG), die „Antifaschistische Gruppe Südthüringen“ (AGST) sowie die Gruppe „Left Resistance Arnstadt“ (LRA) wiesen auf ihren Homepages auf beide Demonstrationen hin. Die Erfurter „Antifa-Gruppe 17“ (AG 17) veröffentlichte auf ihrer Homepage einen Aufruf, in dem sie zur Teilnahme an der Demonstration am 11. Februar aufforderte. Darin deutet die Gruppe eine Ansicht an, die sich von der anderer Gruppen des autonomen Spektrums im Zusammenhang mit der Mobilisierung anlässlich des Jahrestags der Bombardierung Dresdens unterscheidet. Antifaschistische Mobilisierung solle sich zwar, meinte die „AG 17“ von „jeglichem Betroffenheitsgehabe“ abgrenzen, nicht jedoch positiv auf Sir Arthur HARRIS Bezug nehmen.



Den Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 nehmen Teile des linksextremistischen Spektrums seit Jahren zum Anlass, um Aktionen durchzuführen, die sich sowohl gegen die offiziellen Gedenkfeiern als auch gegen rechtsextremistische Veranstaltungen richten. Teile des linksextremistischen Spektrums diffamieren die Gedenkfeiern als Versuch, einen „deutschen Opfermythos“ zu konstruieren. Auf diese Weise würden „die zu Opfern umgedeuteten TäterInnen ins Zentrum des Interesses“ gerückt, „die wirklichen NS-Opfer“ jedoch „nahezu vollständig verdrängt“. Im Aufruf des „13. Februar Bündnis 2006“ heißt es abschließend: „Unsere Kritik gilt jeglichem Gedenken im Zusammenhang mit dem 13. Februar. Ob dies nun in Form von bürgerlichen Trauerveranstaltungen geschieht oder als Naziaufmarsch mit mehreren tausend TeilnehmerInnen ist uns herzlich egal. Wir wollen beides abschaffen.“



„Revolutionärer 1. Mai“ in Berlin



Linksextremisten unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung nahmen den 1. Mai in Berlin traditionell zum Anlass, um für ihre Ideen, Forderungen und Ziele auf die Straße zu gehen. Schon am Vorabend demonstrierten Polizeiangaben zufolge etwa 1.000 Personen am Boxhagener Platz. Im Anschluss an die Veranstaltung versuchten ca. 300 Personen, Unruhe zu stiften, indem sie Steine und Flaschen warfen.



Am 1. Mai sollen sich etwa 1.200 Personen der von dogmatischen Linksextremisten, insbesondere maoistischer Prägung, dominierten „Revolutionären 1. Mai – Demonstration“ angeschlossen haben. An einer „Mayday-Demonstration“ gegen die „Prekarisierung der Arbeitswelt“ nahmen nach unterschiedlichen Angaben zwischen 2.500 und 4.000 Personen teil. Im Bereich des von ca. 11.000 Personen besuchten „Myfestes“ in Berlin-Kreuzberg kam es im Verlauf des Abends zu drei „spontanen“ Aufzügen. Während der Aufzüge wurden Steine und Flaschen auf Polizisten geworfen sowie Müllcontainer in Brand gesetzt; außerdem kam es zu Sachbeschädigungen.



Aktionen gegen rechtsextremistische Aufmärsche am 1. Mai



Autonome schlossen sich am 1. Mai einer Reihe von Aktionen an, die sich gegen rechtsextremistische Veranstaltungen richteten.



In Rostock protestierten etwa 4.500 Personen, unter denen sich auch gewaltbereite Linksextremisten befanden, gegen eine Demonstration der NPD. Gewalttätige Übergriffe konnten durch die Polizei auf ein Minimum reduziert werden. In der Innenstadt wurden jedoch mehrere Müllcontainer in Brand gesetzt.



In Leipzig nahmen an Protestaktionen, die sich gegen zwei Aufmärsche der Neonazis richteten, bis zu 5.000 Personen teil. Unter ihnen befanden sich nach Angaben der Polizei etwa 1.500 gewaltbereite Personen, darunter auch zahlreiche Angehörige der autonomen Szene. Wie in den Jahren zuvor kam es auch 2006 in Leipzig zu teilweise schweren Ausschreitungen, die von der gewaltbereiten linksextremistischen Szene ausgingen. Es wurden u.a. Barrikaden errichtet und angezündet sowie Polizisten mit Steinen und Flaschen beworfen.



Das Interesse des Thüringer autonomen Spektrums richtete sich insbesondere auf die Protestaktionen, die auf die rechtsextremistischen Aufmärsche in Leipzig abzielten. Auf diese Aktionen hatten u.a. die Erfurter „Antifa-Gruppe 17“ (AG 17), die Gruppe „Left Resistance Arnstadt“ (LRA), die „Antifaschistische Aktion Gera“ (AAG) sowie die „Autonomen AntifaschistInnen Weimar“ (AAW) hingewiesen. Letztere Gruppe machte darüber hinaus auf die Gegenaktionen in Rostock aufmerksam. Die AAG bezeichnete auf ihrer Homepage die gewalttätigen Aktionen in Leipzig als „vollen Erfolg“ linksradikaler antifaschistischer Gruppen, „welcher durch vielfältigen und massiven Widerstand erreicht“ worden sei.



Demonstration am 27. Mai in Wernigerode



Am 27. Mai fand in Wernigerode eine Demonstration eines überregionalen Bündnisses antifaschistischer Gruppen statt, deren Motto „Den Nazis auf die Pelle rücken“ lautete. An der Veranstaltung sollen sich Presseangaben zufolge etwa 750 Personen beteiligt haben. Innerhalb des Demonstrationszuges sei es zu Rangeleien gekommen, was in Ergänzungen zu einem Beitrag der „Jugendantifa Harz“ (JAH) im linken Internetnetportal „indymedia“ bestätigt wurde.



Für die Demonstration war bundesweit mobilisiert worden. Im Internet wurde auf einer Sonderseite über die Veranstaltung informiert. Dort war auch eine Unterstützerliste veröffentlicht, in der mit der „Antifa Nordhausen“, der „AG 17“ aus Erfurt, der „Antifaschistischen Gruppe Südthüringen“ (AGST) und der „Autonomen AntifaschistInnen Weimar“ (AAW) auch autonome Gruppierungen aus Thüringen eingetragen waren. Auf die Demonstration war von Seiten der autonomen Szene Thüringens im Internet verwiesen worden.



Mit Israel solidarische Gruppierungen fordern Mindeststandards gegen linken Antizionismus



Ausgangspunkt der Rangeleien während der Demonstration am 27. Mai in Wernigerode sollen Konflikte zwischen Demonstrationsteilnehmern gewesen sein, die sich an der Haltung gegenüber Israel entzündet hatten. Teilnehmer der Veranstaltung seien tätlich angegriffen worden, nachdem sie sich mit Parolen Israel gegenüber solidarisch erklärt hatten.



Die Vorfälle riefen unter dem Titel „Politische Mindeststandards gegen linken Antizionismus“ eine Initiative der „Leipziger Antifa (LeA) and friends“ hervor. Da solche Übergriffe nicht die ersten dieser Art waren und nicht die letzten sein werden, so die Verfasser der auch als „Roadmap“ bezeichneten Initiative, sei es „angebracht, aus den Vorfällen ... Konsequenzen zu ziehen“. Sie fassen ihre Argumente in drei Punkten zusammen, die sie „als einige Mindeststandards emanzipatorischer antifaschistischer Arbeit“ und als „ein Rahmen für Zusammenarbeit“ ansehen: Sie wollen weder ein Verbot akzeptieren, bei Demonstrationen Fahnen des Staates Israel mitzuführen, noch Angriffe auf „Antifas“ hinnehmen, die mit Fahnen Israels ihre Solidarität mit diesem Staat zum Ausdruck bringen, noch eine anti-emanzipatorische Politik tolerieren, die sich gegen Israel richtet. In ihren Strukturen und bei ihren Aktionen, betont die „Leipziger Antifa (LeA) and friends“ in der „Roadmap“, hätten Parolen wie „Intifada bis zum Sieg“ sowie die verbale Unterstützung so genannter Volksbefreiungsbewegungen – vor allem des „judenfeindlichen Terrors durch die palästinensische Intifada“ – keinen Platz. Die Verfasser machen deutlich, künftig allein mit Zusammenhängen zu kooperieren und sich nur solchen Bündnissen oder Demonstrationen anzuschließen, die Israel gegenüber positiv eingestellt sind: „Wer durch antizionistische oder antisemitische Positionen hervortritt, sei es verbal oder tätlich, ist von Aktionen mit antifaschistischem Anspruch auszuschließen.“ Ließe sich dieses Ziel nicht durchsetzen, wirkten die „Leipziger Antifa (LeA) and friends“ und die Gruppen, die ihre Ansichten unterstützten, in linken Strukturen, Bündnissen und an „antifaschistischen“ Demonstrationen nicht mehr mit. Zu den Unterstützern der „Roadmap“ gehören auch die AAG und die Erfurter Gruppe „Mila 26“[62].





4.3 Die autonome Szene in Thüringen



Das Potenzial der gewaltbereiten autonomen Szene Thüringen belief sich 2006 auf etwa 150 Personen; somit stagnierte es weiterhin auf dem Stand des Jahres 2002.



Die Zahl, die Art und die Intensität der Aktivitäten, die im Freistaat auf die Autonomen zurückgingen, änderten sich im Wesentlichen nicht. Auch im Berichtszeitraum blieben „traditionelle“ Aktionen und Aktivitäten, die über mehrere Jahre stattgefunden hatten, aus. So organisierte die autonome Szene auch 2006 keine „Revolutionäre Mai-Demonstration“, die von 2001 bis 2004 jährlich organisiert worden war.



Diese Entwicklung ist vor allem darauf zurückzuführen sein, dass sich die Aktivitäten der Szene auch 2006 nahezu ausschließlich auf das Aktionsfeld „Antifaschismus“ konzentrierten. Dabei kam es sowohl zu thematischen Verschiebungen innerhalb des Aktionsfeldes als auch zu einer Konzentration auf regionale Schwerpunkte der Szene. Ebenso haben die bundesweit kontrovers geführten Diskussionen um den Nahost-Konflikt auch auf die Szene in Thüringen eingewirkt; „antideutsche“ Positionen sind auch unter den Autonomen in Thüringen verbreitet.



Zu den regionalen Schwerpunkten der Thüringer Szene rechneten im Berichtszeitraum nicht nur Erfurt, Gera und Jena wie im Jahr zuvor, sondern auch die Region Suhl/Zella-Mehlis. Autonome sind außerdem in den Regionen Meiningen, Nordhausen und Weimar aktiv. Hingegen verlor Arnstadt als ein Schwerpunkt, der sich 2005 herausgebildet hatte, im Verlauf des Berichtszeitraums an Bedeutung.



Neues Netzwerk des autonomen Spektrums



Antifaschistische Gruppen haben sich in Thüringen unter dem Namen „Autonome Antifa Koordination Thüringen“ [a²kt] neu vernetzt, nachdem das Netzwerk „Autonome Thüringer Antifa-Gruppen“ (ATAG) weitestgehend zerfallen war. Dessen Ziel bestand darin, durch „einen gemeinsamen organisatorischen Rahmen“ autonome Antifa- Strukturen zu stärken und „alltäglich Widerstand gegen das kapitalistische System zu praktizieren“. Wie zuvor in ATAG sind auch in der a²kt die maßgeblichen Gruppen und Zusammenhänge der autonomen Szene in Thüringen vertreten; ihr gehören Gruppen aus fast allen regionalen Schwerpunkten der Szene in Thüringen an. Die Gruppe „Left Resistance Arnstadt“ (LRA), die der a²kt zuzurechnen war, hat sich zwar im November aufgelöst, in der Region jedoch weiterhin „antifaschistische Aktivitäten“ angekündigt.



Überwiegend nutzt auch die Szene in Thüringen das Internet und E-Mail-Anschlüsse, um untereinander Kontakt zu halten, Propaganda zu treiben und für Veranstaltungen zu mobilisieren. Die zumindest bis Ende April 2005 von der Erfurter Szene betriebene Radiosendung „LeftBeat“, die „News und Infos rund um Antifa und linke Politik“ ausstrahlte, wurde hingegen ebenso eingestellt wie die Arnstädter Szeneschrift „VAKUUM – Arnstädter Infoblatt für Antifaschismus und Gegenkultur“, deren einzige Ausgabe im Juni 2005 veröffentlicht worden war.



Wie autonome Gruppen in anderen Bundesländern verfügt auch die Szene in Thüringen über „Infoläden“. Sie spielten für die autonome Szene in Thüringen jedoch im Jahr 2006 eine eher untergeordnete Rolle; zum Teil haben sie sich aufgelöst. In Erfurt dient der Szene ein seit April 2001 auf dem Betriebsgelände der ehemaligen Firma „Topf & Söhne“ in Erfurt „besetztes“ Gebäude als Kontakt- und Treffpunkt, das von der „Antifa-Gruppe 17“ (AG 17) als Kontaktadresse angegeben wird. Die AG 17 trat 2006 als einzige Gruppe der Erfurter autonomen Szene 2006 nach außen hervor. Die Erfurter Gruppen „Mila 26“ und „Antifascist Youth Erfurt“ (aye) hingegen sind im Berichtszeitraum nicht mehr in Erscheinung getreten.



Der „Antifaschismus“ stellte auch 2006 für die Autonomen in Thüringen das wichtigste Aktionsfeld dar. Das autonome Spektrum organisierte im Berichtszeitraum wie im Jahr zuvor zahlreiche demonstrative Aktionen, die gegen die rechtsextremistische Szene gerichtet waren. Oft riefen Autonome zu Gegenaktionen auf, wenn Parteien oder andere Organisationen des rechtsextremistischen Spektrums öffentliche Veranstaltungen angekündigt hatten. Mit ihren Aktivitäten verfolgten sie das Ziel, den „Naziaufmarsch“ zu vereiteln oder wenigstens zu behindern.



Ebenso strebten Autonome an, ihren Protest gegen die Politik der Bundesregierung und vermeintliche gesellschaftliche Missstände zum Ausdruck zu bringen. Ihrer Meinung nach förderten „staatlicher Rassismus“ und „Kriminalisierung des antifaschistischen Kampfes“ auch in der Bevölkerung die Entwicklung rechtsextremistischer Tendenzen. Die Kritik und die Aktionen des autonomen Spektrums zielten daher auch auf die Zivilgesellschaft ab, da diese von einem „rechten“ Konsens gekennzeichnet sei. Zugleich distanzierten sich die Autonomen von Aktivitäten demokratischer Bündnisse, die sie als wirkungslose Mittel im Kampf gegen den Rechtsextremismus ansehen und in der Vergangenheit beispielweise als „Bier trinken und Bratwurst essen gegen Rechts“ diskreditiert hatten.



Im Verlauf von Demonstrationen konnten Ausschreitungen zwischen Links- und Rechtsextremisten wie in den Jahren zuvor in der Regel nur von Einsatzkräften der Polizei verhindert werden. Oft versuchten Autonome den politischen Gegner direkt anzugreifen oder deren Aufmarschstrecke zu blockieren, um den „Naziaufmarsch“ mit allen Mitteln zu verhindern. Mitunter missachteten sie dabei bewusst Vorgaben und Auflagen der Behörden. Im Rahmen ihrer Aktionen kam es auch 2006 zu Straftaten, unter denen Körperverletzungen und Sachbeschädigungen herausragten. Das autonome Spektrum wertete seine Gegenaktionen als positiv, wenn es ihm gelungen war, die Umleitung eines Aufzuges oder die vorzeitige Beendigung einer Veranstaltung zu erreichen. Eine geringe Resonanz und mangelnde Beteiligung von Angehörigen der Szene wurden hingegen kritisch angemerkt.



4.4 Aktionen und Aktivitäten von Autonomen in Thüringen



Autonome Szene organisiert Aktionen gegen „antikapitalistische Kaffeefahrt“ am 4. März



Die „antikapitalistische Kaffeefahrt“ der rechtsextremistischen Szene am 4. März rief sowohl den Protest demokratischer Parteien, Vereine und Initiativen als auch Gegenaktionen des autonomen Spektrums hervor. Während der Kundgebungen, die die rechtsextremistische Szene im Rahmen der „Kaffeefahrt“ in Bad Salzungen, Ilmenau und Arnstadt veranstaltete, versuchten Angehörige der autonomen Szene wiederholt, zum Ort der rechtsextremistischen Veranstaltungen vorzudringen.



In Ilmenau warfen Gegendemonstranten Schneebälle und Flaschen gegen die abfahrenden Busse, in denen sich die Teilnehmer der „Kaffeefahrt“ befanden. Die Einsatzkräfte der Polizei konnten die beiden Lager voneinander trennen und Ausschreitungen verhindern. Es wurden mehrere Platzverweise ausgesprochen. In Arnstadt fand eine „antifaschistische Kundgebung“ statt, zu der u. a. die linksextremistische Gruppe „Left Resistance Arnstadt“ (LRA) unter dem Motto „Kein Bus breit den Faschisten“ aufgerufen hatte. Einem Bericht auf der Website der LRA zufolge sollen etwa 40 Personen an diesem „Warm-Up mit Musik, warmen Tee, Kuchen, Infostand und Transparenten“ teilgenommen haben. Nachdem die bevorstehende Ankunft der „Neonazis“ bekannt geworden war, sei die Kundgebung spontan aufgelöst worden. Sodann hätten sich deren Teilnehmer zum Veranstaltungsort der „Neonazis“ begeben. Dem Bericht war u.a. ein Lichtbild beigefügt, auf dem zwei Busse abgebildet waren, die mit einem Katapult beschossen werden.



Im Vorfeld der „antikapitalistischen Kaffeefahrt“ hatten die LRA und die „Antifaschistische Gruppe Südthüringen“ (AGST), die ebenso wie die LRA zum autonomen Spektrum zählt, zu Gegenaktionen aufgerufen. Auf der Website der AGST hieß es u.a.: „Am 4. März findet in Südthüringen eine sogenannte antikapitalistische Kaffeefahrt der Neonazis statt. Im Rahmen dieser Kaffeefahrt wird es 3 Kundgebungen in südthüringischen Städten geben. Das kann für AntifaschistInnen nur bedeuten: Naziaufmärsche stören, sabotieren, blockieren!“ Die LRA appellierte auf ihrer Website an ihre Anhänger: „Nazis aus der Deckung holen, outen und bekämpfen.“



Autonome berichten über Aktionen gegen rechtsextremistische Veranstaltungen am 18. März in Thüringen und ein angebliches „Leck in der Nazi-Kommunikation“



Thüringer Autonome berichteten über das linke Internetportal „indymedia“ von Aktionen, die gegen rechtsextremistische Veranstaltungen am 18. März in Thüringen gerichtet waren. So sollen etwa 20 „Antifas“ vor dem Gebäude in Rudolstadt, in dem sich die „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) versammelt hatten, Flugblätter mit Informationen über die Jugendorganisation der NPD verteilt haben. Nachdem Teilnehmer der Veranstaltung der JN in Ammelstädt aufgetaucht waren, sollen sich auch dort „AntifaschistInnen“ eingefunden haben und von Personen, die sich an der Veranstaltung der JN beteiligt hatten, angegriffen und vertrieben worden sein. Kurz darauf hätten Polizeibeamte den „AntifaschistInnen“ Platzverweise erteilt.



Zu einer Kundgebung der JN in Apolda am 18. März heißt es in dem Beitrag: „Als die 10 bis 15 Jungnazis in der Frühe wie gewohnt ihren Lauti-PKW herankarrten und Holzkreuze und Flugblätter entluden, gesellten sich ca. 25 AntifaschistInnen zu ihnen“. Als die Polizei den „Antifas“ mit Räumung und Platzverweisen gedroht habe, sei in der Nähe der Veranstaltung der JN eine spontane Gegenkundgebung durchgeführt worden. Deren Teilnehmer hätten Flugblätter verteilt, in denen die Bürger von Apolda über die JN und über die „Neonazi-Aktionen gegen Kinderschänder“ informiert worden seien. Die Flugblätter wurden dem Bericht angehängt und führten als Unterzeichner bzw. Unterstützer auf: „Antifa Gruppe Apolda“ (AGAP), „Autonome Antifaschisten Weimar“ (AAW), „Antifaschistischer Schutzwall Jena“ (ASJ), „Antifaschistische Gruppe Südthüringen“ (AGST), „Left Resistance Arnstadt“ (LRA), „Antifa-Gruppe 17“ (AG 17) aus Erfurt und „Antifaschistische Aktion Gera“ (AAG).



Außerdem berichteten die Autonomen über eine Veranstaltung der „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“ (HNG) in Dillstädt und über eine Saalveranstaltung der Rechtsextremisten in Lichtenhain. Aktionen, die gegen diese Veranstaltungen gerichtet waren, wurden nicht erwähnt.



Den Verfassern des Beitrages zufolge soll die Szene bereits im Vorfeld über die besagten Veranstaltungen aus dem rechtsextremistischen Spektrum heraus informiert gewesen sein: „Dank eines Lecks in der Neonazi-Kommunikation erhielten AntifaschistInnen bereits im Vorfeld Kenntnis von diesen Veranstaltungen und konnten bei einigen ihren Protest gegen die zunehmende Neonazi-Präsenz zum Ausdruck bringen.“



Protestaktionen der autonomen Szene gegen rechtsextremistische Veranstaltungen am 25. März in Breitungen und Weimar



Pressemitteilungen zufolge demonstrierten am 25. März in Breitungen mehrere hundert Personen gegen einen Aufmarsch der rechtsextremistischen Szene. Unter den Gegendemonstranten sollen sich auch Angehörige des autonomen Spektrums befunden haben. Einem im Internet veröffentlichten Bericht der AGST zufolge sollen „einige Eier und weitere Wurfgeschosse in Richtung der rechtsextremen Kundgebung“ geworfen worden sein. Der Bericht schließt mit der Parole: „Es gibt kein ruhiges Hinterland! Bis in die hinterste Provinz – Naziaufmärsche stören, blockieren, sabotieren!“



Mit einem gemeinsamen, über „indymedia“ veröffentlichten Beitrag berichteten mehrere Antifa-Gruppen in Thüringen, darunter die Gruppen LRA und AAW, über die rechtsextremistische Kundgebung am 25. März in Weimar. Gleichzeitig kritisierten die Verfasser die Protestaktionen vor Ort, zu denen ein „Bündnis der Bürgerinnen und Bürger gegen Rechtsextremismus“ aufgerufen hatte: „Der zivilgesellschaftliche Protest war eher verhalten und flaute mit fortschreitender Zeit auch immer mehr ab. In einer Stadt mit 64.000 EinwohnerInnen, die ihre Vergangenheit als braune Vorzeigestadt in der Nähe des KZs Buchenwald so gerne ungeschehen machen würde und viel lieber mit ihrem neuen ‚Reichseinkaufszentrum‘, einem riesigen Konsum-Tempel auf dem Gelände des ehemaligen Gauforums, glänzt, hätte mensch sich allerdings mehr als die üblichen Verdächtigen aus lokalen Polit- und Kulturszene gewünscht. Lediglich die Zahl der jungen Antifas, die sich auf der Treppe der Hauptpost eingefunden und von hier einen guten Überblick und Spruchhoheit hatten, stieg immer weiter an.“



Autonomes Spektrum organisiert Aktionen gegen rechtsextremistische Demonstration am 1. April in Arnstadt



Die Demonstration des rechtsextremistischen Spektrums am 1. April in Arnstadt zog friedliche Protestaktionen mehrerer Hundert Bürger nach sich, zu denen demokratische Organisationen, Parteien und Kirchen aufgerufen hatten. Gewaltbereite Gegendemonstranten des autonomen Spektrums suchten hingegen die direkte Konfrontation mit den Rechtsextremisten. Die Polizei, die die beiden Lager voneinander trennen konnte, sprach 116 Platzverweise aus, die überwiegend Angehörige des autonomen Spektrums betrafen. Außerdem nahm sie mehrere Störer in Gewahrsam.



Die autonome Szene in Thüringen hatte insbesondere im Internet sowie auf „Informationsveranstaltungen“ in Arnstadt, Gera, Meiningen, Saalfeld und Weimar zu Aktionen aufgerufen, die sich gegen die rechtsextremistische Demonstration richteten.



Außerdem hatte die Szene zur Teilnahme an einer so genannten Antifa-Demonstration am 1. April in Arnstadt aufgerufen, der sich ca. 150 Personen anschlossen. Nach der Demonstration versuchte das Gros der Teilnehmer vergeblich, zum Veranstaltungsraum der rechtsextremistischen Kundgebung vorzudringen. Der Aufzug verlief hingegen weitgehend störungsfrei.



Dass die „Antifa-Demonstration“ ein Ausgangspunkt für geplante Störaktionen der autonomen Szene sein könnte, deutete sich in Aufrufen der autonomen Szene an. So wurde sowohl auf der Website der linksextremistischen Gruppe LRA als auch auf einer im Internet eingerichteten Sonderseite der Szene aufgerufen, an der „Antifa-Demonstration“ in Arnstadt teilzunehmen sowie den „Naziaufmarsch“ zu stören, zu blockieren und zu verhindern.



Die autonome Szene berichtete von 300 Teilnehmern an der „Antifa-Demonstration“, zu der die „neue Autonome Antifakoordination Thüringen“, kurz a²kt, unter dem Motto „Nazis den sozialen Schafspelz ausziehen. Nationales Konstrukt und Kapitalismus angreifen!?“ eingeladen hätte. Zu den Vorfällen hieß es auf der Website der LRA: „Am Samstag war mal wieder Ausnahmezustand in Arnstadt angesagt. Nach dem es am Vormittag eine kraftvolle Antifa-Demonstration mit 300 Leuten und wenig später auch zivilgesellschaftliche Kundgebungen mit bis zu 300 TeilnemerInnen gab, marschierten 400 Neonazis durch die Stadt, während die Schlägertrupps in grün Ihnen den Weg freiprügelten und verletzten am laufenden Band produzierte.“ Die Verfasser berichteten nicht nur von „permanenten Kesseln, Platzverweisen und Angriffen auf GegendemonstrantInnen“ durch die Polizei, sondern auch von brennenden Müllcontainern abseits des Geschehens: „Als Jene Nazis im Rahmen des bundesweiten Marsches dann schließlich durch das Westviertel zogen und die Polizei mit Großaufgebot alle GegendemonstrantInnen weiträumig aus der Region zurückhielt, stiegen in zwei anderen Stadtgebieten bereits Rauchschwaden auf. Unbekannte hatten Müllcontainer in Brand gesteckt und mehrere Polizeikräfte inklusive dem Hubschrauber dort eine halbe Stunde auf Trapp gehalten.“



Beteiligung von Autonomen an Demonstration gegen „Rock für Deutschland“ Veranstaltung der NPD am 15. Juli in Gera



Gegen die Veranstaltung der NPD richtete sich eine Demonstration, an der sich ca. 100 Personen beteiligten; unter ihnen befanden sich auch zahlreiche Angehörige des autonomen Spektrums. Die Polizei sprach gegen neun Demonstranten Platzverweise aus, als sich diese der rechtsextremistischen Veranstaltung nähern wollten. Einem über „indymedia“ veröffentlichten Kommentar zufolge sollen in der Innenstadt von Gera zeitgleich mit der Veranstaltung „etliche Nazis angegriffen und entkleidet“ worden sein.



Im Vorfeld hatten die AAG und die a²kt unter dem Motto „push down naziscum“ aufgerufen, mit Aktionen gegen die Veranstaltung der NPD vorzugehen. Im Rahmen der Mobilisierung kündigte die AAG auf ihrer Homepage mehrere Infoabende und „Warm up Discos“ in Erfurt, Jena, Göttingen, Dresden, Leipzig und Berlin an. Auf diese Aktionen war auf den einschlägigen Homepages von autonomen Gruppierungen in Thüringen hingewiesen worden.



In Anbetracht der umfangreichen länderübergreifenden Mobilisierung dürfte die geringe Zahl von Teilnehmern für die AAG enttäuschend gewesen sein. Denn im vergangenen Jahr waren etwa 300 Personen, überwiegend Angehörige des autonomen Spektrums, dem Aufruf der AAG gefolgt, die Veranstaltung „Rock für Deutschland“ zu bekämpfen. Möglicherweise deutet die stark gesunkene Anzahl der Autonomen, die sich an der Gegendemonstration beteiligten, auf die schwindende Bedeutung der Geraer linksextremistischen Gruppierung innerhalb der autonomen Szene hin.


Autonome Szene thematisiert „Nazifußballturnier“ in Pennewitz/Ilmkreis



Die autonome Antifa-Szene thematisierte das Fußballturnier, das die rechtsextremistische Szene seit 2002 jedes Jahr in der Gemeinde Pennewitz im Ilmkreis veranstaltet. Im Vorfeld der diesjährigen Veranstaltung am 12. August kam es zu Sachbeschädigungen, als Unbekannte in der Nacht zum 11. August das Vereinshaus mit Farbe beschmierten sowie Fenster, Türen, Schlösser und Steckdosen mit Bauschaum besprühten. Außerdem wurden auf dem Sportplatz Glasscherben verteilt.



In einem Beitrag, der über „indymedia“ am 13. August veröffentlicht wurde, hieß es hierzu: „Wie der Presse zu entnehmen ist, haben Unbekannte das Nazi-Festgelände ‚überfallen‘, das Vereinsgebäude mit schwarzer Farbe beschmiert, Türen, Fenster, Schlösser und Steckdosen mit Bauschaum zugeklebt und außerdem das gesamte Fussballfeld mit Glasscherben/Splittern überzogen. Die Nazis mussten am Vortag noch mit 50 Kameratten anreisen und Nachtschichtschieben, um das Ding wieder einigermaßen herrichten zu können. Mal schauen, was das nächstes Jahr wird und wieviel Kohle die Gemeinde in Zukunft für Reperaturarbeiten ausgeben möchte. Nicht das 2007 mal jemand auf die Idee kommt an dem für jedermann zugänglichen Gastank der Rückwand vom Vereinsgebäude zu zündeln...“



Wenige Tage vor dem Vorfall hatte die Gruppe „Antifaschistische Gruppe Südthüringen“ (AGST) in einer Presserklärung auf das „Nazifußballturnier in Pennewitz“ am 12. August aufmerksam gemacht. Ferner wurde in einem in der Gemeinde Pennewitz verteilten Flugblatt aufgerufen, das „große Nazi-Treffen unter dem Deckmantel eines Fussball-Turniers“ am 12. August zu verhindern. „Wer schweigt, stimmt zu – lasst die Nazis nicht in ruh!“, hieß es in dem mit „Bürgerinitiative Kein Nazi-Treffen in Pennewitz!“ unterzeichneten Pamphlet.



Die autonome Szene wirft den politisch Verantwortlichen der Gemeinde vor, „das neonazistische Turnier“ bislang toleriert zu haben. Mit der jetzt „nicht zuletzt durch antifaschistisches Engagement“ entfachten öffentlichen Debatte hofft die Szene, künftige Veranstaltungen zumindest zu erschweren. So heißt es in einem auf der Website der AGST eingestellten Beitrag „Das letzte Nazifußballturnier in Pennewitz?!“ u.a.: „Die ‚Gemeindeoberen‘ scheinen mit Neonazis kein Problem zu haben, was leider für viele ländliche Regionen in Südthüringen charakteristisch ist. Zwar fällt es den VerantwortungsträgerInnen immer leicht sich von jeglichen Formen des Neonazismus auch öffentlich zu distanzieren, ihre Realpolitik sieht dagegen ganz anders aus. Neonazis und ihr gefährliches Gedankengut werden in Jugendclubs, Feuerwehren and auf Sportplätzen toleriert und gefördert. Jugendarbeit ist für Neonazis hier gar nicht mehr nötig. Nun spielt der Ort Pennewitz eine besonders finstere Rolle. 5 Jahre konnten Neonazis hier nun ungestört agieren. Dem Entfachen einer öffentlichen Debatte, nicht zuletzt durch antifaschistisches Engagement, ist es nun zu verdanken, dass es sich der Bürgermeister ... drei Mal überlegen wird, ob er den Nazis nächstes Jahr wieder das Feld überlässt.“ Der Beitrag endet mit der Ankündigung: „Sollte es nächstes Jahr zum 6. Fußballturnier der Rechtsextremisten kommen, sind wir es, die für massiven Widerstand sorgen werden! Und zwar auf allen Ebenen, mit allen Mitteln!“



Autonome mobilisieren für Aktionen gegen rechtsextremistische Aktivitäten in Weimar



Die örtliche Antifa-Szene rief – offenbar unter der Federführung der Antifa-Gruppe „Autonome AntifaschIstinnen Weimar“ (AAW) – zu Aktionen auf, die sich gegen die für den 12. August in Weimar von der NPD und den „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) geplanten Demonstrationen richten sollten. Die Szene wurde von Gruppen des Netzwerks a²kt sowie von den Organisatoren eines parallel stattfindenden „Antifa-Camps“ unterstützt. Obwohl die Veranstaltungen der NPD und der JN verboten bzw. abgesagt wurden, hielt die Szene an ihrem ursprünglich als „Warm Up Demonstration“ geplanten Aufmarsch am 11. August in Weimar fest. Einem über das linke Internetportal „indymedia“ publizierten Artikel zufolge sollen sich am 11. August „ca 120 Antifaschist_Innen“ in Weimar versammelt haben, um unter dem Motto „Links rockt! Für eine befreite Gesellschaft! No Hide for Narziscum!“ durch die Stadt zu ziehen und „eine Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft an die Öffentlichkeit zu tragen“.



Außerdem wurde in diesem Artikel u.a ein Redebeitrag der Gruppe AAW erwähnt und auszugsweise zitiert. Antifaschismus müsse, hieß es darin, auch eine Kritik des Kapitalismus beinhalten. „Radikal“ forderte die Gruppe AAW zugleich die „Abschaffung des kapitalistischen Systems, der bürgerlichen Gesellschaft und ihren Zwängen“, da sie mit dieser Gesellschaft nicht einverstanden sei. Bereits in dem Aufruf für die Demonstration am 11. August hieß es u.a.: „In klarer Differenz zum Bürgerbündnis wird die Gruppe ‚Autonome Antifaschist_innen Weimar‘ [aaw] am 11. August eine Demonstration unter dem Motto ‚Links Rockt! Für eine Befreite Gesellschaft! No Hide for Naziscum!‘ durchführen, auf der, verbunden mit einer klaren antifaschistischen Positionierung, eine Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft und am Kapitalismus formuliert werden soll.“



Autonome beteiligen sich an Demonstration am 26. August in Zella-Mehlis



Am 26. August fand in Zella-Mehlis unter dem Motto „Willkommen in der NO-GO-AREA ZELLA-MEHLIS BETRETEN AUF EIGENE GEFAHR den rechten alltag bekämpfen GEGEN JEDEN NATIONALISMUS“ eine Demonstration statt, an der sich Presseangaben zufolge etwa 150 Personen beteiligten. Einem über „indymedia“ veröffentlichten Beitrag zufolge habe sich der Demonstrationszug vom Bahnhof Zella-Mehlis zum „örtlichen Sportplatz“ bewegt. Unterwegs sei man u.a. am Wohnhaus von Kurt HOPPE, dem Vorsitzenden des Landesverbands Thüringen der „Deutschen Partei“ (DP) vorbeigekommen. Hier hätten Teilnehmer der Demonstration Parolen wie „Hoppe, Hoppe aus der Traum, auch Du liegst bald im Kofferraum!“ skandiert. Der Abschnitt über HOPPE wurde in dem Beitrag mit dem Slogan „Hoppe zieh den Fallschirm an ... du bist unser Möllemann!“ umrahmt.



Die „Antifaschistische Gruppe Südthüringen“ (AGST) hatte im Internet für die Demonstration in Zella-Mehlis mobilisiert. Ihrer Homepage war hierfür eine Sonderseite vorgeschaltet worden, über die der Aufruf der Gruppe, sich der Demonstration anzuschließen, Mobilisierungsflyer u.a. Informationen abgerufen werden konnten. Auch auf den Homepages anderer autonomer Gruppierungen in Thüringen und der a²kt wurde auf die Veranstaltung verwiesen. Die AGST, die Gewaltverzicht im Kampf gegen Rechtsextremismus als „ahistorisch und politisch unverantwortlich“ bezeichnet, führt als Grund für die Demonstration eine „Überhandnahme von Nazigewalt und rechten Strukturen" in der Stadt an. Zella-Mehlis entwickle sich, schrieb die Gruppe in ihrem Mobilisierungsflyer, „zusehends zu einer No-Go-Area[63] für Menschen, die nicht ins kranke Weltbild der Rechtsextremen passen“. Die AGST zählt zu den in der a²kt vernetzten autonomen Gruppen Thüringens.



Dezentrale Aktionen des autonomen Spektrums gegen rechtsextremistischen Aufmarsch am 7. Oktober in Nordhausen



Etwa 100 Personen waren einem Aufruf des autonomen Spektrums gefolgt, dem „Naziaufmarsch“ am 7. Oktober „antifaschistischen Widerstand“ zu leisten. Sie versuchten meist in Kleingruppen, der Demonstration der NPD nahe zu kommen. Gewaltbereite Gegendemonstranten warfen zudem einen Bauzaun auf die Straße, die für den Aufmarsch der Rechtsextremisten vorgesehen war. Beiträgen zufolge, die über das Internetportal „indymedia“ verbreitet wurden, diente diese Aktion dem Ziel, die Aufmarschstrecke der Rechtsextremisten zu blockieren. Die Polizei konnte verhindern, dass beide Lager aufeinander trafen. Gegen 37 Gegendemonstranten wurden Platzverweise ausgesprochen. Angehörige des autonomen Spektrums beteiligten sich anschließend auch an der friedlichen Demonstration des demokratischen „Bündnisses Nordhausen gegen Rechtsextremismus“.



Auf einer offenbar von der Gruppe „Antifaschistische Aktion Nordhausen“ (AANdH) im Internet eigens für die Mobilisierung gegen den Aufmarsch der NPD eingerichteten Sonderseite war unter dem Titel „Nazistrukturen Aufdecken und Angreifen!“ aufgerufen worden, sich sowohl dezentralen Aktionen als auch einem „Antifablock auf der Bündnisdemo“ anzuschließen. Der Aufruf endete mit der Losung „Nazis angreifen, immer & überall! Antifaschistisch leben, handeln & kämpfen!“. Nach Angaben auf der aktuellen Website der Vernetzung a2kt hat sich die AANdH mittlerweile dem Netzwerk angeschlossen. Entsprechend enthielten auch die Websites weiterer in der a2kt vertretenen Gruppen Hinweise auf die geplanten Gegenaktionen in Nordhausen.


Plakataktion zu Thorsten Heise in Fretterode stößt auf Kritik



In einem über „indymedia“ am 1. November veröffentlichten Beitrag wurde von einer Plakataktion in Fretterode, „dem Heimatdorf von NPD-Funktionär Thorsten Heise“, berichtet. Demnach sollen in dem Ort Plakate mit einem Foto von Thorsten Heise und der Überschrift „Fretterode: schmeißt ihn raus raus – Sonst brennts!“ geklebt worden sein. Auf den Beitrag folgten in „indymedia“ mehrere Ergänzungen, in denen an der Plakataktion Kritik geäußert wurde. So hieß es in einer offenbar von Angehörigen der AG 17 aus Erfurt unter dem Tenor „Dumm“ verfassten Ergänzung: „Plakataktionen sind ja schön und gut aber muß es auf einem dermassen niedrigen Niveau laufen das man schreibt „schmeisst ihn raus sonst brennts“?? Sollte es nun in dem Dorf aus irgendeinem Grund wirklich brennen, wird die Polizei dies Euch in die Schuhe schieben, selbst wenn ihr es nicht wart, ihr habt es angekündigt!!!!“.



5. Terroristische Gruppierungen



Terrorismus ist der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten wie Mord, Totschlag, erpresserischer Menschenraub, Brandstiftung, Sprengstoffanschläge oder durch andere Gewalttaten, die der Vorbereitung solcher Straftaten dienen.



Auch im Jahre 2006 blieben Aktivitäten linksterroristischer Gruppen aus. Die „Rote-Armee-Fraktion“ (RAF) hatte bereits 1998 ihre Auflösung erklärt.

6. Politisch motivierte Kriminalität – Links – im Überblick



Die Entwicklung der im Bereich der politisch motivierten Kriminalität – Links – in den letzten Jahren in Thüringen begangenen Straftaten lässt sich wie folgt darstellen:
bitte über Link anschauen.

Die Anzahl der Straftaten, die im Berichtszeitraum im Bereich der politisch motivierten Kriminalität – Links – begangen wurden, ist gegenüber dem Jahr 2005 von 200 auf 118 um 41,0 % stark zurückgegangen. Proportional zur Entwicklung der Fallzahlen insgesamt nahmen auch die Gewalttaten und die Sachbeschädigungen erheblich ab. Von den 118 Straftaten wurden 49 unmittelbar im Zusammenhang mit Demonstrationen bzw. öffentlichen Veranstaltungen begangen.



Die meisten Straftaten wurden im Schutzbereich der Polizeidirektionen Gotha (61) und Jena (29) verübt. Die Anzahl der Straftaten war in diesen Regionen im Vergleich mit den anderen Polizeidirektionen vor allem deshalb so hoch, weil Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene dort mehr Gegenaktionen des linksextremistischen Spektrums hervorgerufen hatten als in anderen Teilen Thüringens. Die Schutzbereiche der Polizeidirektionen Gotha und Jena bildeten außerdem im Berichtszeitraum neben Gera und der Region Suhl/Zella-Mehlis die regionalen Schwerpunkte der autonomen Szene.

http://www.verfassungsschutz.thueringen....006/vsb2006.htm



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10.10.2007 ~ 09:49 Uhr ~ ClaudiaPoser schreibt:
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RE: Verfassungsschutzbericht 2006 Thüringen Beitrag Kennung: 71643
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IV. Ausländerextremismus



1. Allgemeines



Organisationsformen und Aktivitäten von Ausländern und Islamisten, die in Thüringen leben, werden dem politischen Extremismus zugerechnet, wenn sie sich gegen die konstitutiven Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richten oder von ihnen Bestrebungen ausgehen, die innere Sicherheit sowie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik durch die Anwendung von Gewalt oder auf sie ausgerichtete Vorbereitungshandlungen zu gefährden. Häufig zielen Aktionen, die von extremistisch eingestellten Ausländern in Deutschland durchgeführt werden, darauf ab, Veränderungen der politischen Verhältnisse im jeweiligen Heimatland herbeizuführen oder die Außenpolitik der Bundesregierung zu beeinflussen.



Die Strukturen der Organisationen und Gruppierungen, in deren Rahmen Ausländer extremistische Ziele verfolgen, weichen ebenso erheblich voneinander ab wie die ideologischen Grundlagen, auf die sie sich berufen. Sie sind entweder islamistisch, linksextremistisch oder nationalistisch/separatistisch ausgerichtet. Und sie sind auch unterschiedlicher Auffassung, ob Gewalt als ein legitimes Mittel anzusehen ist, politische Ziele durchzusetzen.



Bundesweit gehören rund 57.400 Ausländer einer extremistischen Vereinigung an. Nach wie vor verfügen die islamistischen Gruppen über das größte Mitglieder- und Anhängerpotenzial. Als Angehörige linksextremistischer Ausländergruppierungen gelten 16.870 Personen, 8.380 Personen werden dem extrem-nationalistischen Spektrum zugeordnet.



Einige Formen des Islam, die von den jeweiligen religiösen Strömungen vertreten werden, sind mit den Menschenrechten demokratisch fundierter Staaten ebenso unvereinbar wie mit dem freiheitlichen demokratischen, pluralistisch ausgerichteten Verfassungssystem der Bundesrepublik. Die ideologischen Ansichten der Islamisten hemmen die Integration von Ausländern und Muslimen in die deutsche Gesellschaft, da sie den Islam mit den Wertvorstellungen der westlichen Demokratien grundsätzlich für unvereinbar halten. Die Anschauungen der Islamisten liefern die ideologische Grundlage dafür, den Jihad – den Krieg gegen die „Ungläubigen“ – zu rechtfertigen. Die Beobachtung islamistisch motivierter Bestrebungen stellt in der Arbeit des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz (TLfV) einen Schwerpunkt dar.



Die meisten ausländerextremistischen Gruppierungen nutzten die Bundesrepublik im Berichtszeitraum wie in den Jahren zuvor als Ruhe- und Rückzugsraum. Sie sehen Deutschland vor allem als ein gut geeignetes Land an, finanzielle Mittel zur Unterstützung des Kampfes in ihren Heimatländern zu beschaffen.



Wie die Anschläge in London, Jordanien und Ägypten im Jahr 2005 vor Augen geführt haben, können sich islamistische Terrorakte überall ereignen. Deutschland bildete im Berichtszeitraum nicht mehr nur einen Rückzugs- und Vorbereitungsraum für solche Aktionen, sondern auch einen konkreten Zielort für Anschlagspläne islamistischer Terroristen. So entgingen in Nordrhein-Westfalen am 31. Juli Reisende von zwei Nahverkehrszüge nur knapp Terroranschlägen, die wahrscheinlich zahlreiche Menschen in den Tod gerissen hätten. Grundsätzlich ist auch Thüringen der Gefahr ausgesetzt, Ziel islamistisch motivierter Anschläge zu werden, wenngleich solche Terroranschläge den Erfahrungen der letzten Jahre nach meist Ballungsräume getroffen haben.



Die Ausrichtung des islamistischen Terrors auf „weiche“, d.h. wenig geschützte Ziele, die eine starke Wirkung auf die Öffentlichkeit versprechen, erschwert es, mögliche Angriffspunkte einzugrenzen. Am 10. August nahm die britische Polizei in London, High Wycombe und Birmingham 24 Verdächtige fest. Sie sollen geplant haben, bis zu zehn Flugzeuge aus Großbritannnien während des Flugs in die USA mit Flüssigsprengstoff im Handgepäck zum Absturz zu bringen. Scotland Yard und Geheimdienst haben mit diesen Festnahmen wohl einen „Massenmord von bislang ungesehenem Ausmaß“ verhindert.



Gemeinsame Terrorabwehr der Sicherheitsbehörden in Berlin



Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war es zwingend geboten, die Sicherheitsbehörden neu auszurichten und die Vorfeldaufklärung auszuweiten, um der grundlegend veränderten Bedrohungslage Rechnung zu tragen. Im Dezember 2004 wurde das „Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum“ (GTAZ) mit dem Ziel gegründet, die Vorbereitung islamistisch-terroristischer Aktivitäten frühzeitig erkennen und konzertiert bekämpfen zu können. In diesem Zentrum sind nicht nur die Nachrichtendienste und die Polizei, sondern auch der Generalbundesanwalt und andere Behörden vertreten. Einerseits optimiert das GTAZ den Austausch von Informationen, andererseits koordiniert es Maßnahmen, um dem islamistischen Terrorismus entgegenzuwirken. Auch das TLfV ist mit einem Verbindungsbeamten in diesem Terrorismusabwehrzentrum vertreten.



Ende 2006 wurde die Errichtung einer Antiterrordatei beschlossen, an der das Bundeskriminalamt, die Bundespolizeidirektionen, die Landeskriminalämter, die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Militärische Abschirmdienst, der Bundesnachrichtendienst und das Zollkriminalamt beteiligt sind. Die Datei dient dem Ziel, Erkenntnisse zum internationalen Terrorismus zwischen den beteiligten Behörden auszutauschen und somit die Zusammenarbeit der Sicherheits- und Polizeibehörden auf diesem Gebiet weiter zu verbessern.



Extremistisch gesinnte Ausländer in Thüringen



Das ausländerextremistische/islamistische Personenpotenzial in Thüringen entsprach im Berichtszeitraum dem Stand des Jahres 2005. Es schloss sowohl 2005 als auch 2006 etwa 100 Personen ein. Folglich zählen lediglich ca. 0,3 % der Ausländer, die in Thüringen leben, zu den Personen, die extremistische Ziele verfolgen. [65]



Wie in den Vorjahren verfügte im Berichtszeitraum allein der KONGRA-GEL (früher PKK, KADEK) über gefestigte Strukturen. Auch werden in einigen muslimischen Kreisen in Thüringen extremistische Positionen bezogen sowie die Ideologien und Werte des „Westens“ als schädlich und feindlich für Muslime dargestellt. Bestrebungen, in Thüringen Anhänger für Bewegungen oder Organisationen zu gewinnen, die islamistische Grundsätze vertreten, werden vom TLfV aufmerksam beobachtet. Bislang können diesem Spektrum in ganz Thüringen etwa 40 Personen zugerechnet werden.



Von ausländerextremistischen/islamistischen Gruppierungen gingen 2006 in Thüringen ebenso wie im Jahr zuvor selten öffentlichkeitswirksame Aktivitäten aus. Meist organisierten sie Demonstrationen und Informationsstände, um auf aktuelle Ereignisse zu reagieren oder auf die Verhältnisse in ihren Heimatländern aufmerksam zu machen. Auch im Berichtszeitraum nahmen Anhänger ausländerextremistischer Gruppierungen, die in Thüringen leben, an überregionalen Veranstaltungen im In- und Ausland teil.


2. Islamismus



Als Islamismus wird eine politisch instrumentalisierte Glaubensform des Islam bezeichnet: Religiös motivierte Extremisten fordern im Namen des Islam eine Gesellschaftsordnung, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entgegengesetzt ist. Sie streben eine weltweite Islamisierung an. Sie berufen sich auf den Koran, der ihrer Ansicht nach uneingeschränkte Gültigkeit besitzt und ihren Forderungen somit einen Absolutheitsanspruch verleiht.



Ein Teil der Islamisten versteht die im Koran enthaltene Aufforderung zum „Jihad“ (wörtlich „innerer Kampf“, „Anstrengung“, kann aber auch den gewaltsamen Einsatz für den Islam, den „Heiliger Krieg“ meinen) als Rechtfertigung und Verpflichtung, ihr politisches Ziel auch mit Gewalt durchzusetzen.



Weltweiter Jihad



Das Ziel der Mujahedin – der Kämpfer im Jihad – besteht darin, Juden und „Kreuzfahrer“ zu bekämpfen. Mit „Kreuzfahrern“ werden in Anspielung auf die Kreuzzüge des Mittelalters vor allem die USA, Australien und jene europäischen Staaten gleichgesetzt, die christlich geprägt sind. Westliche Einflüsse in der „islamischen Welt“ sehen sie als eine feindliche Bedrohung an. Mit dieser Begründung greifen die Mujahedin Ziele in islamischen Länder an, deren Regierungen sie für Vasallen westlicher Mächte halten.



Die jihadistischen Bewegungen grenzen sich immer deutlicher von islamischen und gemäßigteren islamistischen Gruppen ab, die ihre Gewaltbereitschaft nicht teilen. Zugleich betonen führende Mujahedin in öffentlichen Botschaften die ideelle Verbundenheit aller Kämpfer im Jihad. Jihadisten agieren heute in losen Netzwerken – mit dem Ziel, die islamische Welt von der Herrschaft der „Ungläubigen“ zu befreien. Als wichtigste Kampffelder des globalen Jihads benennen sie insbesondere Afghanistan, Tschetschenien, Palästina und den Sudan.



Im Fokus der Propaganda, die im Namen des Jihad betrieben wird, steht weiterhin der Irak. Die Kriegsjahre im Irak haben dazu beigetragen, in der islamischen Welt gegen den Westen gerichtete Affekte zu verbreiten und das terroristische Bedrohungspotenzial zu verstärken. Nachdem der Anführer der AL-QAIDA im Irak, Abu Musab AL-ZARQAWI, im Juni 2006 getötet worden war, nahmen die Angriffe der irakischen Widerstandsbewegung zu. Die zahlreichen Anschläge richten sich vor allem gegen den Aufbau neuer staatlicher Strukturen, insbesondere der Sicherheitskräfte. Iraker, die sich zu Polizisten ausbilden lassen, werden als Kollaborateure des Westens bezeichnet und gezielt ins Visier genommen.



Dass der Kampf der Jihadisten nicht an den Grenzen Europas halt macht, haben spätestens die Anschläge in Madrid und London gezeigt. Überall dort, wo islamistische Propaganda auf Gewaltbereitschaft trifft, können sich Zirkel von Mujahedin herausbilden, die bereit sind, für ihre Überzeugung in den Tod zu gehen. Die Bekämpfung des Terrors bleibt ein Programm mit langen Fristen und fordert auch unseren Rechtsstaat auf das Äußerste heraus.



Das weltweite Terrornetzwerk AL-QAIDA hat sich seit den Anschlägen vom 11. September 2001 gewandelt. Die ursprünglich hierarchisch organisierte Kaderorganisation besteht in dieser Form nicht mehr. Es haben sich terroristische Strukturen herausgebildet, die nicht zentral von ihr gelenkt, sondern von lokalen, eigenständigen Gruppen gebildet werden. Diese neue Tätergeneration handelt als autonome Zellen in kleinen Gruppen. Sie ist in der Vorbereitung und Durchführung ihrer Anschläge selbstständig und unabhängig.



Deutschland – Zielort für Terroranschläge



Wie sehr sich die Bedrohungslage inzwischen auch in Deutschland zugespitzt hat, haben die fehlgeschlagenen Terroranschläge in Deutschland Ende Juli gezeigt, auf die bereits eingegangen worden ist. Deutschland stellt nicht mehr nur einen Vorbereitungsraum, sondern auch einen konkreten Zielort für Anschläge islamistischer Terroristen dar. Die Sprengstoffanschläge der beiden Libanesen auf die zwei Regionalzüge schlugen nur fehl, weil die Sprengsätze fehlerhaft konstruiert worden waren und daher nicht explodierten. Die Attentäter gaben an, ihre Tat aus Protest gegen die Mohammad-Karikaturen – die deutsche Zeitungen im Februar 2006 veröffentlicht hatten – geplant zu haben. Ihr Glaube habe sie verpflichtet, rechtfertigten sie sich, die Verunglimpfung des Propheten Mohammads zu rächen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen die beiden libanesischen Staatsangehörigen, einen syrischen Staatsangehörigen und weitere unbekannte Personen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, des versuchten Mordes in einer Vielzahl von Fällen und des versuchten Herbeiführens von Sprengstoffexplosionen.



Macht der Emotionen



Wie dieses Tatmotiv zeigt, wird die Bedrohung durch islamistische Anschläge durch eine große Emotionalität verstärkt. Die heftigen, teilweise gewalttätigen Reaktionen in der islamischen Welt, die nicht nur durch die Veröffentlichung der Mohammad-Karikaturen, sondern auch durch die Äußerungen des Papstes während einer Vorlesung in der Universität Regensburg im September 2006 ausgelöst wurden, sind nach westlichem Verständnis kaum nachzuvollziehen.



Diese Emotionalität ist dem Religionsverständnis der meisten Muslime geschuldet, spielt doch der Glaube in ihrem Alltag in der Regel eine zentrale und identitätsstiftende Rolle. Kritische Äußerungen, die sich auf ihre Religion beziehen, treffen einen gläubigen Muslim daher mehr als die meisten Menschen westlicher Prägung. Die Medien werden von Islamisten gezielt genutzt, um Emotionen zu schüren und für ihre Zwecke Massen zu mobilisieren.



Jihad im World Wide Web



Dem Internet kommt sowohl in Hinsicht auf islamistische Radikalisierungsprozesse als auch auf den Kampf der Mujahedin eine ständig wachsende Bedeutung zu. Hetzpropaganda, heroisierende Videos, auf denen Attentäter als Märtyrer dargestellt werden, und Anleitungen zum Bau von Bomben werden ständig neu in das Netz eingestellt. Die im Internet betriebene islamistische Propaganda ist zu einer Klammer geworden, die die in der Welt verstreuten Mujahedin zusammenhält.



Im Oktober 2006 wurde in Deutschland ein Iraker verhaftet, der Audio- und Videobotschaften von Usama BIN LADEN, Ayman AL-ZAWAHIRI und Abu Musab AL-ZARQAWI weltweit über das Internet verbreitet hatte. Ihm wird vorgeworfen, auf diese Weise im Sinne des § 129b Strafgesetzbuch (StGB) terroristische Vereinigungen im Ausland unterstützt zu haben. Dem Ausgang des Verfahrens wird eine große Bedeutung für die künftige Bekämpfung des Cyberterrorismus zugemessen.



Die Vorteile des World Wide Webs liegen auf der Hand: An fast jedem Ort der Welt ist es möglich, auf das Internet zuzugreifen. Der Nutzer kann ständig erreicht werden, muss jedoch seine Mobilität nicht einschränken. Die Kommunikation über das Internet begünstigt das Streben nach Anonymität der Nutzer. Das Internet bietet einerseits geschützte Räume, um sich direkt auszutauschen, und eröffnet andererseits die Möglichkeit, Informationen an eine unbegrenzte und undefinierte Anzahl von Personen zu streuen. Die ständig steigende Zahl an Foren und Websites zeigt, dass Islamisten diese Möglichkeit kennen und rege nutzen. Die islamistische Cyberwelt hat sich im letzten Jahrzehnt sehr stark ausgeweitet und ist unübersichtlicher geworden. Die Anzahl islamistischer Internetseiten ist in den letzten 10 Jahren von etwa einem Dutzend auf annähernd 4.500 drastisch angestiegen.



Das Internet bietet nicht nur praktische Vorteile, sondern entspricht auch in gewisser Weise dem Identitätsbewusstsein der Muslime. Sie sehen sich als weltweite Gemeinschaft, als „Ummah“, an, die durch das gemeinsame Glaubensbekenntnis, das tägliche Gebet, das Fasten im Monat Ramadan, die so genannte Almosensteuer (Zakat) und die Pilgerreise nach Mekka miteinander verbunden sind.



Darüber hinaus betonen Islamisten und Jihadisten die Abgrenzung von den „Ungläubigen“ bzw. den Kampf gegen die Feinde des Islam. Das Internet macht diese ideelle Einheit zwischen Gesinnungsgenossen überall auf der Welt greifbarer und damit auch attraktiver. In den unterschiedlichen Foren und Seiten finden sich immer wieder Nutzer, die dieselben Ansichten und Ziele miteinander verbinden. Sie leben daher in der Überzeugung, sich in einer großen Gemeinschaft Gleichgesinnter zu befinden.



Um der Gefahr islamistisch unterlegter Radikalisierung und des Cyberterrorismus noch effektiver begegnen zu können, verstärken die deutschen Sicherheitsbehörden ihre Zusammenarbeit in der Beobachtung des Internets. In Berlin wurde zu Beginn des Jahres 2007 ein „Gemeinsames Internet Zentrum“ (GIZ) eingerichtet, um dieses Ziel effektiv zu verfolgen.


2.1 Islamismus in Thüringen



Die überwiegende Mehrheit der Thüringer Muslime lebt ihren Glauben friedlich und im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ihre politischen Diskussionen spiegeln neben der allgemeinen sozialen Entwicklung die Stimmungslage der muslimischen Bevölkerung in Deutschland wider. Obwohl die Mohammad-Karikaturen und die von Papst BENEDIKT XVI. am 12. September in der Regensburger Universität gehaltene Vorlesung sehr kritisch beurteilt wurden, distanzieren sich die meisten Muslime in Thüringen von den gewalttätigen Demonstrationen in islamischen Ländern.



Nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in Thüringen sind im Berichtszeitraum von Muslimen Initiativen ausgegangen, den im Namen des Islam verbreiteten Terror in der Öffentlichkeit zu verurteilen. Mit Vorträgen und Begegnungsveranstaltungen versuchten beispielsweise Thüringer Moscheevereine, das Bild, das ihre deutschen Mitbürger vom Islam haben, positiv zu prägen.



Einflüsse islamistischer Bewegungen



Islamistisches Gedankengut wird in Thüringen vor allem von Gastpredigern und in Zeitschriften, die ein salafitisches Glaubensverständnis vertreten, verbreitet. Die Salafiya ist als islamische Reformbewegung um 1900 entstanden. Salafiten orientieren sich unmittelbar an den Aussagen und Lebensweisen des Propheten Mohammad und seiner Zeitgenossen. Ihrer Ansicht nach erklärt sich der Islam allein aus dem Koran und der Sunna (gesammelte Berichte über das Leben Mohammads) heraus. Sie suggerieren eine Unvereinbarkeit von islamischen Werten und westlichem Moralverständnis. Solche Aussagen sind beispielsweise in der Zeitschrift „Denk mal islamisch“ enthalten, die vom „Islamischen Informationszentrum Ulm e.V.“ alle zwei Wochen herausgegeben und bundesweit verteilt wird. Exemplare der Zeitschrift liegen auch in Thüringer Moscheen aus.



Tabligh-i Jamaat al-Islami (TJ – Gemeinschaft für Verkündigung und Mission)



Die TJ ist 1926 als islamistische Missionierungsbewegung gegründet worden und heute nahezu weltweit verbreitet. Anhänger der Organisation, unter ihnen auch in Thüringen lebende Personen, treten seit etwa drei Jahren in Thüringen auf, um ihre strenge Auslegung des Islams zu propagieren. Missionierungen schließen Reisen ein, in deren Verlauf Muslime von Anhängern der TJ aufgefordert werden, strikt nach den Vorgaben des Korans und der Sunna zu leben. Im Rahmen der Missionierungen werden vor allem junge Muslime aus sozial benachteiligten Milieus gezielt eingeladen, an den Veranstaltungen der TJ teilzunehmen. Für die Organisation ist es unerheblich, welcher Ethnie ihre Anhänger zugehören. Nicht selten haben islamistische Gewalttäter ihre extremistische Indoktrination als Anhänger der TJ erfahren.



Bundesweit gehören der TJ, die über keine feste Organisationsstruktur verfügt, ca. 600 Personen an. Die Mehrheit der Muslime, die in Thüringen lebt, lehnt die Lehre, die von der TJ vertreten wird, ab. Lediglich einige wenige praktizieren ihren Glauben nach den Vorstellungen der Tabligh-i Jamaat und gehen ihrer „Missionstätigkeit“ nach, indem sie versuchen, Anhänger für ihre islamistische Weltsicht zu gewinnen.


3. „Volkskongress Kurdistans“ (KONGRA-GEL)
Link: http://www.verfassungsschutz.thueringen....006/vsb2006.htm

3.1 Strategiewechsel, Umbenennungen, allgemeine Lage



Die von Abdullah ÖCALAN 1978 in der Türkei gegründete „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) verfolgte das Ziel, einen autonomen Kurdenstaat zu erzwingen. Daher begann sie 1984, einen Guerillakrieg gegen das türkische Militär zu führen. Da von der PKK auch in der Bundesrepublik gewalttätige Aktionen ausgingen, unterliegt sie seit 1993 hierzulande einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot.



Anfang 2000 wurde beschlossen, die Partei grundsätzlich neu auszurichten. Das Ziel, einen autonomen Kurdenstaat zu errichten, wurde aufgegeben. Vielmehr strebte die PKK an, die kulturelle Autonomie der Kurden in einer demokratischen Türkei durchzusetzen. Die von ÖCALAN vorgegebene „Friedensstrategie“ wurde nach der Gründung des „Freiheits- und Demokratiekongresses Kurdistans“ (KADEK) im April 2002 weiter verfolgt. Dennoch behielt sich die Organisation die Rückkehr zum bewaffneten Kampf vor, falls sie von der türkischen Regierung angegriffen oder die kurdische Frage nicht in ihrem Sinne gelöst würde. Auf dem 8. Parteikongress erklärte die PKK im April 2002 ihre „historische Aufgabe“ für erfüllt. Sie entschied, alle Aktivitäten unter dem Namen PKK einzustellen. Zur einzigen legitimen Nachfolgeorganisation wurde der KADEK bestimmt, der jedoch bereits auf seinem 2. außerordentlichen Kongress am 26. Oktober 2003 seine Auflösung beschloss.



Am 15. November 2003 gab der „Volkskongress Kurdistans“ (KONGRA-GEL) auf einer Pressekonferenz seine Gründung bekannt. Zübeyir AYDAR, ehemals Mitglied des Präsidialrats des „Kurdischen Nationalkongresses“ (KNK)[66], wurde zum Vorsitzenden der Organisation gewählt, der seit 1999 in der Türkei inhaftierte Abdullah ÖCALAN vom KONGRA-GEL zur Führungspersönlichkeit des kurdischen Volkes ernannt.



Im April 2005 wurde die Gründung der „neuen PKK“ bekannt gegeben. Die Neugründung wird von ihren Anhängern als zweite offizielle Geburt der Organisation verstanden. Mit dem Wiederaufbau der PKK solle dem kurdischen Volk die Freiheit ein Stück näher gebracht werden. Die PKK sei, betonte der Sprecher des Parteirats, Murat KARAYILAN[67], von Grund auf neu gegründet worden. Sie werde allerdings den KONGRA-GEL nicht ersetzen, sondern sich innerhalb dieser Organisation etablieren. Die neue PKK bekundete, sich für eine demokratische Lösung der Kurdenfrage einzusetzen, betonte aber zugleich, auch weiterhin vom Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch zu machen, sofern es ihr notwendig erscheine. Das wesentliche Ziel der neuen PKK bestehe darin, eine „Föderation des Demokratischen Ostens“ zu erreichen.



In diese Richtung zielt auch die von ÖCALAN entwickelte Idee des „Demokratischen Konföderalismus“, die im Mai 2005 von den Mitgliedern der 3. Generalversammlung des KONGRA-GEL akzeptiert wurde. Sie sieht vor, anstelle des früher angestrebten eigenständigen Kurdenstaates einen konföderalen Verbund zu bilden, der die kurdischen Siedlungsgebiete in der Türkei, Syrien, im Iran und Irak einschließt. Im Zusammenhang mit diesem neuen Konzept verkündete ÖCALAN die Gründung der „Konföderation der kurdischen Gemeinschaften“ (Koma Komalen Kurdistans, KKK) und erklärte sich zu deren Führer. Die neue PKK wurde zur „ideologischen Kraft“ des Projekts erklärt. Der KONGRA-GEL hingegen solle in diesem System den höchsten demokratischen Volkswillen des „demokratischen Konföderalismus“ vertreten und als „Gesetzgebende Versammlung“ fungieren. Mit der KKK wurde ein vermeintlich neues politisches Konzept vorgestellt, dem zufolge der „demokratische Konföderalismus“ Kurdistans kein Staatensystem, sondern das demokratische System des Volkes darstelle. Alle wichtigen Entscheidungskompetenzen sollen beim Volk, bei der „Basis“ liegen. Das ursprünglich von der PKK verfolgte Ziel, einen eigenen Kurdenstaat zu errichten, soll damit endgültig aufgegeben werden. Die KKK propagiert eine gewaltfreie Lösung der „gesellschaftlichen Probleme“, beruft sich jedoch auch auf ein Recht zur Selbstverteidigung.









3.2 Anschlagserie in der Türkei



In der Türkei fanden auch im Berichtszeitraum mehrere Terroranschläge statt, die Tote und Verletzte forderten. Zu diesen Aktionen bekannten sich öffentlich die „Freiheitsfalken Kurdistans“ (TAK)[68]. Bereits im März warnten sie auf ihrer Internetseite vor Übergriffen in der Türkei, die sich insbesondere gegen den Tourismus richten sollten. Die TAK bezeichnen sich als eine kurdisch nationalistische Bewegung, die gegen die „ungerechte Politik“ der türkischen Regierung gegenüber den Kurden kämpft. Eigenen Angaben zufolge sind die TAK aus den „Volksverteidigungskräften“ (HPG) – dem bewaffneten Arm des KONGRA-GEL – hervorgegangen, woraus sich eine gewisse Verbindung zur „Mutterorganisation“ ableiten lässt. Der KONGRA-GEL distanzierte sich öffentlich von den Attentaten der TAK und verurteilte derartige Aktionsformen der kurdischen Bewegung. Während sich die HPG weiterhin darauf beschränkten, das türkische Militär in den „Bergen Kurdistans“ zu bekämpfen, operieren die TAK als Stadtguerilla in den Metropolen der Türkei.



3.3 Organisatorische Situation



Die „Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa“ (CDK), die im Juni 2004 aus der „Kurdischen Demokratischen Volksunion“ (YDK) hervorgegangen ist, plant die Aktivitäten, die der KONGRA-GEL in Europa entfaltet. Als die YDK gegründet wurde, war bereits ein basisdemokratischer Aufbau unter Beteiligung aller Volksschichten über die so genannten Volksräte (Halk Konseyi) als wesentliches Merkmal der damals neuen Europaorganisation vorgesehen worden. Auf diese Weise sollte dem Willen ÖCALANs zum „Ausbau der Volksdemokratie“ entsprochen und die ursprünglich linksextremistisch geprägte Kaderstruktur in eine „Basisbewegung“ umgewandelt werden. Eine konkrete Umsetzung dieses Ziels konnte allerdings bis 2006 nicht festgestellt werden. In Deutschland kam es im Berichtszeitraum, wie die „Yeni Özgür Politika“ mitteilte, vereinzelt, u.a. in Hamburg, Stuttgart, Frankfurt am Main, Düsseldorf und im Saarland, zur Gründung solcher „Volksräte“.



Die organisatorischen Strukturen des KONGRA-GEL sind in Deutschland im Berichtszeitraum im Wesentlichen gleich geblieben. Die Bundesrepublik ist nach wie vor in drei Sektoren (Serits) – Nord, Mitte und Süd – eingeteilt, die sich wiederum in die ihnen nachgeordneten Hierarchieebenen Gebiete (Bölge) und Teilgebiete untergliedern. Vorgaben und Anordnungen der Führungsspitze werden entsprechend der hierarchischen Struktur an die Basis weitergegeben. In der Regel werden sie durch die etablierten örtlichen Vereine, in denen die Anhänger des KONGRA-GEL großenteils organisiert sind, umgesetzt. Diese Vereine sind im Dachverband „Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ (YEK-KOM) zusammengefasst.



Die einzige in Thüringen existente Struktur des KONGRA-GEL stellt das Teilgebiet Erfurt dar, das sowohl den Großraum Erfurt als auch Teile West- und Südwestthüringens einschließt und weiterhin an das Gebiet Kassel angeschlossen ist. Dem Teilgebiet gehörten 2006 ca. 60 Mitglieder/Sympathisanten an. Der „Kurdisch-Deutsche Freundschaftsverein Erfurt e.V.“ beteiligte sich im Berichtszeitraum im Teilgebiet mit öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen an den Aktionen, die von der YEK-KOM bundesweit initiiert worden sind.



3.4 Finanzierung



Die wichtigste Einnahmequelle der Organisation stellt die Spendenkampagne dar, die vom KONGRA-GEL europaweit Jahr für Jahr unter ihren Anhängern durchgeführt wird. Geldmittel gewinnt die Partei zusätzlich aus dem Verkauf ihrer Publikationen, aus den monatlichen Beiträgen ihrer Mitglieder und aus den Gewinnen, die ihre Veranstaltungen abwerfen. Sie werden vor allem dafür verwendet, den Propagandaapparat, die Führungskräfte und die Guerilla-Einheiten in den Kampfgebieten zu unterhalten. Tendenziell sind die Einnahmen der Organisation rückläufig.



3.5 Propagandamittel und Veranstaltungen



Der KONGRA-GEL nutzte auch 2006 das Internet, den Fernsehsender „Roj-TV“, der über Satellit empfangen werden kann, und diverse Publikationen, um politische Erklärungen, Interviews von Führungskräften und Hinweise auf Veranstaltungen der Organisation öffentlichkeitswirksam zu verbreiten.



Im Januar erschien in Deutschland erstmals die teils in türkischer, teils in kurdischer Sprache verfasste Tageszeitung „Yeni Özgür Politika“ („Neue Freie Politik“), deren Herausgabe von „Roj-TV im Vorfeld medienwirksam angekündigt worden war. Sie setzt die „publizistische Linie“ der „Özgür Politika“ fort. Ihre Berichterstattung konzentriert sich auf die Lage der Kurden in der Türkei, die Haftbedingungen Abdullah ÖCALANS und die Aktivitäten der Kurden in Europa. Nach Angaben im Impressum wird die „Yeni Özgür Politika“ ebenso wie die „Özgür Politika“ in Neu-Isenburg/Hessen hergestellt. Als Herausgeberin fungiert die am 7. Oktober 2005 neu gegründete „Medya Presse- und Werbeagentur GmbH“. Laut Impressum soll das Blatt neben der Zentrale in Neu-Isenburg noch über Repräsentanten in neun deutschen Städten sowie vier europäischen Standorten verfügen.



Mit verschiedenen Aktionen und Veranstaltungen in Deutschland und Europa versuchte der KONGRA-GEL auch im Berichtszeitraum, seine Ansichten und Ziele propagandistisch zur Geltung zu bringen. Thematische Schwerpunkte bildeten wiederum die Forderung, die politische und kulturelle Identität der Kurden in der Türkei anzuerkennen, sowie die Haftbedingungen, denen ihr „kurdischer Volksführer“ Abdullah ÖCALAN ausgesetzt ist. Ebenso wie im Jahr zuvor gelang es der Organisation auch im Berichtszeitraum, für ihre traditionellen Großveranstaltungen jeweils viele Tausend Menschen in den westlichen Bundesländern und im europäischen Ausland zu mobilisieren.



An Großkundgebungen, wie beispielsweise der zentralen Newroz-Feier am 18. Mai in Frankfurt am Main oder dem „14. Internationalen Kurdistan-Kulturfestival“ am 2. September in Gelsenkirchen, die etwa 15.000 bzw. 45.000 Sympathisanten anzogen, nahmen auch Anhänger des KONGRA-GEL aus Thüringen teil.



3.6 Der KONGRA-GEL in Thüringen



In Thüringen wurden 2006 nur wenige öffentlichkeitswirksame Aktionen organisiert. Sie gingen auf den „Kurdisch-Deutschen Freundschaftsverein Erfurt e.V.“ zurück, der der YEK-KOM zuzuordnen ist.



Polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit Spendengeldaktivitäten des KONGRA-GEL am 17. Januar und 14. Februar in Erfurt



Am 17. Januar und am 14. Februar wurden ein mutmaßlicher Funktionär des KONGRA-GEL und dessen Begleiter in Erfurt vorläufig festgenommen. In deren Fahrzeug stellte die Polizei umfangreiches Propagandamaterial des KONGRA-GEL bzw. der PKK sicher, das u.a. Publikationen und Tonträger enthielt. Außerdem fand die Polizei Unterlagen über Spendengeldzahlungen an den KONGRA-GEL vor.



Newroz-Fest am 20. März in Erfurt



Am 20. März schlossen sich etwa 60 Kurden aus Anlass des traditionellen kurdischen Festes „Newroz“ einem Fackelmarsch durch die Erfurter Innenstadt an, den der „Kurdisch-Deutsche Freundschaftsverein Erfurt e.V.“ organisiert hatte. Die Teilnehmer trugen Transparente mit sich, die mit den Aufschriften „Newroz heißt Widerstand und Widerstand heißt Freiheit“, „Freiheit für Öcalan“ und „Es lebe die Brüderlichkeit des Volkes“ versehen waren.



Während der Veranstaltung wurden Flugblätter, in denen die Verfasser u.a. die Situation im Mittleren Osten thematisierten, an die Passanten verteilt. Syrien, die Türkei und der Iran hätten, hieß es in dem Flugblatt, ein Bündnis gegen die Kurden und deren politische Führung geschlossen und die Gewalt noch verstärkt. Darüber hinaus warfen die Verfasser der Europäischen Union vor, an der überholten Nahost-Politik festzuhalten, statt daran mitzuwirken, konkrete Lösungswege einzuleiten. Die Verfasser des Flugblatts hoben ÖCALANs Projekt des „Demokratischen Konföderalismus“ hervor, um die Bereitschaft der Kurden zu betonen, eine politische Lösung der kurdischen Frage anzustreben. Das Projekt, das 2005 anlässlich des Newroz-Festes vorgestellt wurde, richte sich gegen Separatismus, Nationalismus und Chauvinismus. Ebenso unterstreiche es den Vielvölkercharakter der Region.



Alljährlich begehen die Kurden in der ganzen Welt traditionell ihr Neujahrsfest „Newroz“, das sie als Symbol für den kurdischen Freiheitskampf verstehen. Die Kurden verbinden das Fest mit der Forderung, die kurdische Frage politisch zu lösen.



„Kurdisch-Deutscher Freundschaftsverein Erfurt e.V.“ veranstaltet Gedenkfeier für die „Mai-Märtyrer“ am 28. Mai in Erfurt



Der „Kurdisch-Deutsche Freundschaftsverein Erfurt e.V.“ meldete für den 28. Mai in Erfurt ein „Kurdisches Mai-Fest“ an, das die „Yeni Özgür Politika“ vom 9. Mai bereits unter dem Motto „Gedenken der Mai-Märtyrer und Begrüßung des Serhildans in Kurdistan“ angekündigt hatte. Als „Mai-Märtyrer“ werden jene Personen bezeichnet, die zu Beginn des bewaffneten Kampfes der PKK auf Seiten der Kurden gefallen sind. „Serhildan“ bedeutet politischer Widerstand.



An der Saalveranstaltung nahmen 250-280 Personen aus Thüringen und Hessen teil. Im Rahmen der Veranstaltung berichtete Mahmut SAKAR, einer der Rechtsanwälte Abdullah ÖCALANs, über dessen Haftbedingungen und die aktuelle Lage in der Türkei. Außerdem gedachten die Teilnehmer der „Märtyrer“, die im kurdischen Freiheitskampf ums Leben gekommen sind. Die Veranstaltung wurde von folkloristischen und musikalischen Darbietungen umrahmt. Die Räumlichkeiten waren mit Bildnissen der „Mai-Märtyrer“ und Abdullah ÖCALANs sowie Fahnen der „Koma Komalen Kurdistan“ (KKK) geschmückt worden.









Anhänger des KONGRA-GEL in Deutschland und in Thüringen reagieren im August und September auf die Festnahme von Funktionären in Deutschland und in den Niederlanden[69]



Am 8. und 9. August nahmen Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) Muzaffer AYATA und Riza ERDOGAN, hochrangige Führungskader des KONGRA-GEL, in Mannheim bzw. Duisburg fest, da gegen sie ein Haftbefehl wegen des Verdachts der Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung vorlag. Auf diese Maßnahmen reagierten Anhänger des KONGRA-GEL mit demonstrativen Aktionen, die sich auf die gesamte Bundesrepublik erstreckten. Die YEK-KOM rief in einer Presseerklärung die ihr zugehörenden Vereine auf, sich u.a. an Hungerstreiks zu beteiligen und die Vereine vorläufig zu schließen.



Der „Kurdisch- Deutsche- Freundschaftsverein Erfurt e.V.“ schloss seine Räumlichkeiten am 22. August und hängte in deren Fenstern Plakate mit den folgenden Aufschriften aus: „AUS PROTEST ANHALTENDE KRIMINALISIRUNGSPRAXIS WENDEN DIE MITGLIEDVEREINE UNSERE FÖDERATION AB DEM 21. AUGUST 2006 SCHLIEßEN“ und „Es besteht kein zweifel mehr dran, dass die Politik der TERRORISIERUNG, PROVOKATION UND ISOLATION DER Kurden das Resultat eines gemeinsamen Kopzeptes der TÜRKEI, USA und der europäischen Ländern ist“ (Fehler im Original).



Am 7. September meldete der Verein unter dem Motto „Freilassung der kurdischen Politiker“ eine Kundgebung vor dem Thüringer Landtag in Erfurt an, an der sich jedoch nicht wie erwartet 50, sondern lediglich 10 Personen beteiligten.

http://www.verfassungsschutz.thueringen....006/vsb2006.htm



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10.10.2007 ~ 09:52 Uhr ~ ClaudiaPoser schreibt:
images/avatars/avatar-515.gif im Forum Thüringen seit: 29.08.2007
3 erhaltene Danksagungen
RE: Verfassungsschutzbericht 2006 Thüringen Beitrag Kennung: 71650
gelesener Beitrag - ID 71650


Da ich es leider schon erlebt habe, das Links nach ca. 1 Jahr verändert waren und nicht mehr das darunter zu finden ist, was man mal gelesen hat, demzufolge habe ich diese 3 Absätze aus dem Verfassungsschutzbericht 2006 Thüringen hier rein gestellt.

Das auch keiner sagt ich wäre einsichtig, habe ich Linke, Rechte sowie Ausländische Statistiken dazu in 3 Beiträgen getrennt eingestellt.

So nun kann jeder für sich vergleiche ziehen.

Soll einfach nur als Info dienen um sachlicher in den anderen Diskussionen diskutieren zu können.

Claudia



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