.:. Vielen Dank an KiWi, Susi37, Nic67, Liesa44,
Jumpa, HeMu, welche uns kürzlich finanziell unterstützt haben. .:.
|
+ Portal-Navigation + |
|
|
|
|
|
Adeodatus Benutzerkonto wurde gelöscht
15.02.2012 ~ 08:38 Uhr ~ Adeodatus schreibt:
|
|
|
|
|
|
|
„Armut dient als Drohkulisse“ |
Beitrag Kennung: 542858
|
|
|
|
ich möchte hier einmal ein Interview das der "Kölner Stadtanzeiger" mit dem Wissenschaftler Christoph Butterwegge geführt hat zur Diskussion stellen. Herr Butterwegge zeigt ein weiteres Mal auf worin die Gefahren unserer Gesellschaft bestehen. Die von Herrn Butterwegge getroffenen Analysen sind mehr als zutreffend, er hatte schon in der Vergangenheit nicht nur vor einem weiteren Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich, und vor einem Verlust des Mittelstandes gewarnt, sondern auch Ansätze zur Verhinderung veröffentlicht.
Zitat: |
„Armut dient als Drohkulisse“
Erstellt 09.02.12, 17:10h, aktualisiert 09.02.12, 17:25h
Der Wissenschaftler Christoph Butterwegge forscht seit Jahren am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften der Kölner Universität zum Thema Armut. Er sieht klare Tendenzen zur Verbreiterung der sozialen Kluft in der Bevölkerung.
Herr Prof. Butterwegge, Sie leben und arbeiten in Köln. Ist Köln eine reiche oder eine arme Stadt?
CHRISTOPH BUTTERWEGGE: Köln ist eine reiche Stadt, in der es vermehrt Armut gibt. Wie sich die Großstädte in der Bundesrepublik überhaupt zunehmend spalten. In den Vierteln, die als „soziale Brennpunkte“ bezeichnet oder beschönigend „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf“ genannt werden, wohnen überwiegend finanziell schlechter gestellte Menschen. Ghettos wie in US-amerikanischen Städten gibt es zwar noch nicht. Aber auch bei uns existieren Luxusquartiere, wo sich die Reichen in Villen hinter hohen Mauern verschanzen.
Weshalb wächst denn die Armut, und wieso prognostizieren Sie eine Ghettoisierung der davon Betroffenen?
BUTTERWEGGE: Die soziale Lage von Millionen Menschen verschlechtert sich, weil der Sozialstaat seit Jahrzehnten um- und abgebaut wird. Durch einige Reformen droht sich die Armut sozialräumlich zu konzentrieren. Ich denke da besonders an einen kaum beachteten Punkt der Hartz-IV-Neuregelung im vergangenen Jahr. Wenn die Bundesländer zustimmen, können Kommunen die Wohnkosten der Bezieher von Arbeitslosengeld II künftig pauschalieren. Das CDU/FDP-regierte Hessen hat dafür bereits die gesetzliche Grundlage geschaffen. Wenn die Kommunen in ihrer Finanznot von dieser Regelung Gebrauch machen, gibt es für alle Hartz-IV-Empfänger eine gleich hohe Mietpauschale für die Wohnung – überwiegend wahrscheinlich weniger als bisher. Dadurch würden die Betroffenen gezwungen, sich das fehlende Geld für ihre Miete im wahrsten Sinne des Wortes vom Munde abzusparen oder in eine billige Hochhaussiedlung am Stadtrand zu ziehen. Setzt sich dieser Trend durch, bekommen wir längerfristig Ghettos wie in London und Paris. Und womöglich jugendliche Wutausbrüche und Gewaltexzesse wie dort.
Dagegen spricht, dass sich der Kölner Arbeitsmarkt zu erholen scheint. Ende des Jahres waren 44 000 Menschen ohne Job – zehn Prozent weniger als Ende 2010.
BUTTERWEGGE: Quantitativ entspannt sich der Arbeitsmarkt, qualitativ verschlechtert er sich. Die angebotenen Jobs sind häufiger prekäre Beschäftigungsverhältnisse: Mini-Jobs, Midi-Jobs, Leiharbeit sowie zunehmend Werk- und Honorarverträge. Immer mehr Menschen fehlt jene soziale Sicherheit, die man braucht, um sein Leben zu planen. Das kann man selbst an den Hochschulen beobachten, wo mittlerweile 84 Prozent aller Stellen befristet sind.
ksta.tv
Sie sehen besonders den Niedriglohnbereich mit Sorge.
BUTTERWEGGE: Das Vordringen des Niedriglohnbereichs in die gesellschaftliche Mitte halte ich für den schlimmsten Armutstrend. 6,5 Millionen Menschen – 22 Prozent der Beschäftigten – arbeiten dort für weniger als zwei Drittel des Durchschnittsverdienstes. Das führt nicht immer zu großer Armut, aber bei den geringsten Schicksalsschlägen – Krankheit, Unfall, größeren Ausgaben – drohen existenzielle Probleme.
Reden wir über Reichtum. Wann ist man reich?
BUTTERWEGGE: Im Armuts- und Reichtumsbericht spricht die Bundesregierung von Reichtum, wenn jemand über das Doppelte des Durchschnittseinkommens verfügt. Gegenwärtig sind das etwa 3500 Euro Nettomonatseinkommen. Eigentlich handelt es sich dabei aber nicht um Reichtum, sondern nur um materiellen Wohlstand. Reichtum heißt für mich, dass sich jemand finanziell keine Sorgen mehr machen muss – und Vermögen hat. Reichtum bedeutet auch: auf Dauer erheblich besser gestellt zu sein und größeren gesellschaftlichen Einfluss zu haben als die meisten anderen Gesellschaftsmitglieder. Manche Reiche konnten ja sogar den Bundespräsidenten in ihre Villa einladen.
Wie legitim ist Reichtum?
BUTTERWEGGE: Meistens wird Reichtum auf Leistung zurückgeführt. Leistung wird im Zeitalter des Neoliberalismus mit ökonomischem Erfolg gleichgesetzt, in Wahrheit aber eher von der Krankenschwester oder dem Altenpfleger erbracht als von einem Börsenspekulanten. Arme fühlen sich von der Gesellschaft auch deshalb ausgegrenzt, weil ihnen die Schuld an der Misere gegeben wird. Sie trifft der Vorwurf, faul in der „Hängematte des Sozialstaates“ zu liegen, sich nicht ernsthaft um Arbeit zu bemühen und leistungsunwillig zu sein. Umgekehrt gelten Reiche als Leistungsträger, die ein Leben im Luxus verdient haben.
Sie sagen, Reichtum und Armut seien zwei Seiten einer Medaille. Wie meinen Sie das?
BUTTERWEGGE: Gehaltskürzungen und Entlassungen bedeuten oft Armut für die Lohnabhängigen, aber Gewinnsteigerungen für die Aktionäre. Von 2000 bis 2010 ist der Reallohn in der Bundesrepublik nicht gestiegen. Bei den Geringverdienern ist er sogar gesunken.
Gleichzeitig nahm der Reichtum zu. Kurz nachdem Hartz IV am 1. Januar 2005 eingeführt wurde, besaßen die Aldi-Brüder Karl und Theo Albrecht 37,5 Milliarden Dollar – etwa 100 Millionen Mal so viel, wie ein Hartz-IV-Empfänger im Monat bekam.
Müsste der Staat eingreifen?
BUTTERWEGGE: Die Armen werden auch deshalb ärmer und zahlreicher, weil die Reichen von steuerlichen Erleichterungen profitieren. Ich vertrete die These, dass Armut gewollt ist, weil sie als Disziplinierungsinstrument und Drohkulisse dient. Armut zeigt denjenigen, die noch nicht arm sind: Wenn du den Verhaltensmaßregeln unserer Hochleistungs- und Konkurrenzgesellschaft zuwiderhandelst, landest du im Extremfall unter den Rheinbrücken.
Wäre Deutschland denn reich genug, um Armut zu verhindern?
BUTTERWEGGE: Selbstverständlich. Würde ihnen nicht der politische Wille dazu fehlen, könnten die etablierten Parteien bestehende Armut verringern und neue Armut verhindern. Sie müssten dazu aber Maßnahmen ergreifen, die den Reichtum antasten. Deswegen sage ich auch: Wer über den Reichtum nicht sprechen will, sollte auch zur Armut schweigen. Nötig ist vor allem eine andere Steuerpolitik. Die seit 1997 auf Eis liegende Vermögenssteuer müsste wieder erhoben und die Einkommensteuer progressiver gestaltet werden. Statt wie heute bei 42 Prozent beziehungsweise für ganz wenige Reiche bei 45 Prozent sollte der Spitzensteuersatz deutlich über 50 Prozent liegen. Muhammed Ali, Cassius Clay, erhielt für seine Boxkämpfe eine Börse in Millionenhöhe. 91 Prozent davon musste er abgeben. So hoch war damals in den USA der Spitzensteuersatz.
Viele Bürger stöhnen unter der Steuerlast.
BUTTERWEGGE: Dazu haben Reiche und Superreiche keinen Grund. In den USA wirbt Warren Buffet sogar dafür, die Steuern für seine Einkommensklasse zu erhöhen, weil er als Multimilliardär einen niedrigeren Steuersatz als seine Sekretärin zahlt. Stärkere Schultern sollten mehr belastet werden, damit das Gemeinwesen wieder solide finanziert werden kann. Die Kassen der Kommunen sind leer. Bibliotheken und Schwimmbäder werden geschlossen. Dadurch verschlechtern sich die Lebensbedingungen der ärmeren Bevölkerung. Denn während sich Reiche einen Pool im eigenen Garten leisten können, brauchen Normalverdiener und Ärmere ein öffentliches Schwimmbad.
Sehen Sie ein Umdenken seit der Finanzkrise?
BUTTERWEGGE: Zweifellos befindet sich der Neoliberalismus in einer Legitimationskrise. Die kritischen Stimmen wurden lauter, aber die öffentliche Meinungsführerschaft hat er bisher nicht verloren. Totgesagte leben bekanntlich länger. Vielen Menschen ist bewusst, dass die soziale Ungleichheit wächst und die Gesellschaft immer ungerechter wird. Daraus kann die Bereitschaft zum Protest erwachsen, denkt man etwa an die Occupy-Bewegung. Armut führt aber nicht zwangsläufig zur Rebellion der Betroffenen. Denn die haben ganz andere Sorgen. Sie müssen sich beispielsweise darum kümmern, am 20. des Monats noch ein warmes Essen auf den Tisch zu bringen. Eher könnte die Mittelschicht erkennen, dass sie zwischen Arm und Reich zerrieben zu werden droht, wenn die Städte auseinanderfallen. Die Angst vor sozialem Abstieg führt oft zur stärkeren Abgrenzung nach unten, etwa gegenüber Zuwanderern. Man denke nur an die Sarrazin-Debatte. Besser würden die Angehörigen der Mittelschicht für eine Umverteilung des Reichtums eintreten. Denn für alle Gesellschaftsmitglieder ist genug da.
Das Gespräch führte
Dirk Riße
Quelle: Kölner Stadtanzeiger
|
|
|
|
|
|
|
|
|
| |
| |
|