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RE: Bürgergeld - Hartz IV ist ohne Zukunft |
Beitrag Kennung: 30612
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Ein Artikel in Ossietzky zerrt dem Althaus Modell die Maske herunter.
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Bürgergeld vom Weihnachtsmann?
Otto Meyer
Eine frohe Botschaft geht durchs Land. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) macht den Armen endlich wieder Hoffnung. Landauf, landab läßt er verkündigen, daß es künftig statt Hartz IV und all dem anderen Sozialklimbim ein »Bedingungsloses Grundeinkommen« (BGE) von 800 Euro monatlich für alle Erwachsenen und Jugendlichen geben soll und 500 Euro für Kinder. Althaus nennt dieses Programm, für das er schon seit einiger Zeit wirbt, auch »Solidarisches Bürgergeld«. Im konservativen und liberalen Lager kann er auf wichtige Sympathisanten zählen, angefangen beim Bundespräsidenten Horst Köhler über einflußreiche Wirtschaftswissenschaftler wie Thomas Straubhaar und Hans Werner Sinn (Ifo-Institut) bis hin zu Professor Roland Berger mit seiner Beraterfirma für neoliberalen Systemumbau. Auch aus der CDU-Grundwertekommission kam Zustimmung, CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla will nur noch klären lassen, ob sich denn das Bürgergeld nicht doch negativ auf die »Leistungsbereitschaft der Bürger« auswirke.
Althaus findet Anklang bis weit in die Reihen von Linkspartei/PDS, WASG, Attac und Arbeitslosengruppen, wo sich viele von einem solchen Modell ein einigermaßen auskömmlich alimentiertes Leben weit über den Sätzen von Hartz IV oder Bafög erhoffen – ohne Arbeitszwang. Das Geld für ein BGE, so heißt es in begeisterten Kommentaren, sei längst vorhanden, es müsse nur vom verkehrt organisierten Sozialstaat weggenommen und einfacher und gleichmäßiger verteilt werden – ohne Bürokratie und lästige Nachweise. Als jüngst die taz triumphierend berichtete, die Konrad-Adenauer-Stiftung habe das Konzept durchgerechnet und festgestellt, es sei nicht teurer als das bisherige soziale Unterstützungssystem, war der Jubel auch unter linken Verfechtern eines BGE groß. Im Internet wurde angefragt, ob es so etwas in Thüringen schon gebe und ob auch Zuzügler aus anderen Bundesländern in den Genuß kommen könnten …
Leider erweist sich bei genauerer Überprüfung der Herr Althaus mit seinem BGE-Modell keineswegs als der Weihnachtsmann aus dem Thüringer Wald. So sind zum Beispiel die zunächst lukrativ erscheinenden Einkommenssätze nichts als ein übler Trick: Die verheißenen 800 Euro monatlich beziehungsweise 500 Euro für Kinder bis zum 14. Lebensjahr machen sich zwar beim ersten Hinsehen wesentlich besser als Hartz IV, doch im nächsten Satz wird mitgeteilt, daß vor der Auszahlung je 200 Euro monatlich als gesetzlich vorgeschriebener Krankenkassenbeitrag abgezogen werden. Ausgezahlt werden also nur 600 beziehungsweise 300 Euro. Und damit soll dann alles abgegolten sein, auch Wohn- und Heizkostenzuschüsse, die heute noch den Empfängern von Arbeitslosengeld II gewährt werden. So erhält bisher zum Beispiel in Berlin eine Alleinstehende zusätzlich zur sozialen Grundversorgung von 345 Euro durchschnittlich 360 Euro für Miete und Heizung, macht zusammen 705 Euro. Althaus will aber nur 600 Euro auszahlen, also 105 Euro weniger. Bei einer Alleinerziehenden mit zwei Kindern würde das Minus 335 Euro ausmachen. Da sich Miete, Nebenkosten und Heizung nicht reduzieren lassen, müßte der Minusbetrag an den Ausgaben für den Lebensunterhalt eingespart werden, so daß für Essen, Kleidung und so weiter ein Drittel weniger bleibt als beim jetzigen Sozialgeld, das eh schon weit unter der EU-Armutsgrenze liegt.
Diese bisherige Überprüfung zeigt aber erst einen kleinen Teil der vom BGE drohenden sozialen Verelendung. Althaus will alle jetzigen Sozialleistungen, also auch das für ein Jahr gewährte Arbeitslosengeld I, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Unfall- oder Pflegegelder und auch die Altersrenten (außer Betriebsrenten) mit seinem BGE ablösen und zur Gegenfinanzierung nutzen, wozu aber all diese Gelder noch längst nicht ausreichen. Nach den Berechnungen der Konrad-Adenauer-Stiftung wäre das gesamte »Sozialbudget« der BRD von gegenwärtig 735 Milliarden Euro zur Gegenfinanzierung erforderlich. Das würde bedeuten, daß neben dem Wegfall aller bisherigen geldlichen Unterstützungen auch alle »Sozialen Sachtransfers des Staates« (im Jahre 2003 waren das 242 Milliarden Euro) für das BGE aufgegeben werden müßten. Zu den »Sozialen Sachtransfers« zählen das öffentliche Bildungswesen, Zuschüsse für öffentliche Verkehrsmittel, Straßen, Krankenhausbau, Alten- und Pflegeheime, Kindertagesstätten, Jugendzentren, Theater und vieles mehr.
Jeder möge sich ausrechnen, was der Besuch einer privaten Kindertagesstätte, einer privaten Schule oder Universität, eines privaten Theaters oder Schwimmbades, die Benutzung von Bussen oder Bahnen oder die Straßenmaut kosten werden, sobald die bisher noch öffentliche Infrastruktur dem privaten Kapital übereignet ist und alles nach Marktpreisen bezahlt werden muß. Wer in dieser Althaus-Welt allein vom BGE lebt, wird sozial, kulturell oder verkehrstechnisch abgehängt. Sein Kind könnte keinen Kindergarten besuchen – zu teuer. Unerreichbar wäre ein Studium, das dann wohl wie in England oder den USA mehr als 10.000 Euro im Jahr kosten müßte und nur denen offenstünde, die von großen Firmen Stipendien erhalten.
Wer diese Konsequenzen mit bedenkt, kann auch das Wort »Bedingungslos« nur als faulen Werbetrick verstehen. Da bleibt nichts mehr ohne Bedingungen. Selbst der auch von vielen Linken erhoffte »Bürokratieabbau« – eine Art Türöffner-Parole für Zustimmung aus völlig disparaten Lagern – wird sich in Grenzen halten. Jeder ist nämlich verpflichtet, Auskunft darüber zu geben, was und wieviel er oder sie hinzuverdient, und das wird überprüft werden. Das Finanzamt zieht nämlich erst einmal 50 Prozent des Zuverdienstes ab, bevor es das BGE überweist. Das wirkt sich wie eine umgekehrte Steuerprogression zu Lasten der Niedriglohnarbeiter aus, denn ab einem Einkommen von 1600 Euro bleibt es bei 400 Euro Abzug. Hinzu kommt ebenfalls ab 1600 Euro ein Steuerabzug von 25 Prozent; dieser Steuersatz bleibt bis zu den höchsten Einkommen gleich.
»Aber«, sagen BGE-Enthusiasten, »es gibt doch zumindest keinen Arbeitszwang mehr.« Schön wär's vielleicht, aber man darf nicht vergessen, was schon beschrieben wurde: Wenn künftig um ein Drittel weniger Geld für die Lebensführung zur Verfügung steht, die sich aber nach dem Wegfall staatlicher Zuschüsse für Kindertagesstätten, Schulen, Busse wesentlich verteuert, dann entsteht Arbeitszwang aus nackter Überlebensangst. Da gibt heute das ALG II noch mehr Freiheit, Arbeitsangebote zu umgehen. Die angedrohten Kürzungen lassen vom ALG II zwei Drittel übrig – beim BGE wäre dies das Standardeinkommen.
Das Althaus-Modell kennt jedoch nicht nur Verlierer, sonst würden es interessierte Kreise nicht derart loben. Zu den Gewinnern würden all jene zählen, die von der Senkung der Einkommensteuer auf 25 Prozent enorm profitieren könnten. Althaus übernimmt hier Paul Kirchhofs Flat-Tax: Der Millionär und der Milliardär unterliegen dann keiner Steuerprogression mehr. Außerdem bekommt jeder Gutverdienende 400 Euro BGE sowie 800 Euro für eine nicht berufstätige Gattin. Auch Merkels »Kopfpauschale« in der Krankenversicherung wäre endlich Realität; sie besagt ja, daß jede Putzfrau und jeder Direktor verpflichtet werden, 200 Euro in eine auch privat zu wählende Krankenversicherung für eine Basis-Krankenversorgung einzuzahlen.
Gewinnen würden auch die privaten Unternehmen. Sie sollen von Sozialabgaben entlastet werden und brauchen keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall mehr zu zahlen, ebenfalls keine Unfallversicherung mehr. Außerdem würden sie sicher schnell auch die Netto-Arbeitsentgelte senken, besonders im unteren Lohnbereich. Das BGE wirkt hier wie bei einem Kombilohn als Zuschuß für die Arbeitgeber. Althaus selber preist sein Modell als einen »Anreiz«, auch »gering entlohnte Beschäftigung« anzunehmen, vor allem im »Bereich der Kranken- und Altenpflege«. Auch »Handwerksbetriebe« sowie »allgemein der Mittelstand«, wirbt er, hätten doch großen Bedarf an Arbeitern mit niedrigen Löhnen.
Die Endform des Althaus-Modells läßt sich nicht so schnell realisieren. Das sagt er selber, und das wissen auch seine Förderer. Aber die Richtung gefällt ihnen: Privatisierung möglichst aller sozialen Staatstätigkeiten, weitere Zerschlagung des Sozialstaates, Hartz IV für alle Unterschichtler, aber auf viel niedrigerem Niveau als heute. Einige mögen sich fragen, warum es überhaupt noch Unterstützungszahlungen für die Armen geben muß. Warum sollten sie nicht einfach dem Hunger, dem Überlebenskampf ausgesetzt werden wie in der sogenannten Dritten Welt? Vielleicht hilft zum Verständnis ein Ratschlag vom Kirchenvater aller neoliberalen Marktgläubigen, Friedrich August von Hayek: »Zweifellos kann jedem einzelnen ein gewisses Maß an Nahrung, Obdach und Kleidung garantiert werden, das für die Erhaltung der Gesundheit und der Arbeitsfähigkeit ausreicht.« Denn ohne arbeitsfähige Menschen, deren Arbeitskraft mehr Werte schafft, als sie selber an Kosten verursacht, müßte die ganze schöne »freie Marktwirtschaft« zusammenbrechen.
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