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Es war kurz nach Mitternacht, als Spitzenpolitiker von CDU und SPD vor die Fernsehkameras traten. Für die wartenden Berichterstatter war dies zunächst ein ungewöhnlicher Zeitpunkt, aber noch nicht ungewöhnlich genug, um die alten Hasen unter ihnen wirklich noch überraschen zu können. Ungewöhnlich war lediglich, dass Guido Westerwelle als Parteivorsitzender der FDP ebenfalls anwesend war.
Aber was ihnen dann im Laufe der nächsten zwanzig Minuten vorgetragen wurde, dürfte gelinde gesagt als die größte Revolution in die deutschen Politik- und Steuergeschichtsbücher eingehen. Zunächst ergriff –wenig verwunderlich- Bundeskanzlerin Angela Merkel das Wort. Man habe –so sagte sie- in den letzten Monaten unter größtmöglicher Geheimhaltung zusammen mit dem Koalitionspartner SPD und der FDP in einer kleinen Arbeitsgruppe an einer grundlegenden und bisher noch nicht da gewesenen Reform des deutschen Steuerrechtes gearbeitet. Teilnehmer seien die Parteivorsitzenden Angela Merkel, Kurt Beck und Guido Westerwelle, der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, die finanz- und steuerpolitischen Sprecher der drei Parteien, hochrangige Experten aus dem Bundesfinanzministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium und einige Hochschulprofessoren für Steuerrecht gewesen.
Merkel fuhr fort, dass das Land seit Jahren in einer wirtschaftlichen Agonie liege, und man verstärkt durch die weltweite Immobilien- und Finanzkrise, die auch jetzt noch lange nicht ausgestanden sei, eine lange wirtschaftliche Talfahrt Deutschlands befürchten musste. Da alle drei Parteivorsitzenden diese Einschätzung schon vor einigen Monaten einhellig geteilt hätten, war es leicht, so Merkel, zu völlig neuen Ufern aufzubrechen.
So habe man sich darauf geeinigt, dass es ab dem 1.7.2008 zukünftig nur noch zwei Steuerarten in Deutschland gibt, nämlich eine erheblich vereinfachte und um sämtliche Ausnahmen bereinigte Einkommensteuer, die nur auf aktive Erwerbseinkommen und Renteneinkünfte anfällt, und eine ebenfalls vereinfachte und bereinigte Mehrwertsteuer, bei der die Grundbedürfnisse wie z.B. Lebensmittel und Energie völlig von der Steuer befreit sind. Die Steuersätze beliefen sich jeweils auf 25%. Damit werde Deutschland die „Flattax“ nach dem Vorbild einiger osteuropäischer Staaten einführen. "Die Vorschläge lagen schon lange auf dem Tisch, nur niemand hatte den politischen Mut, diese auch aufzugreifen und umzusetzen", so Merkel. Alle anderen Steuerarten und sämtliche Subventionen für die Wirtschaft fallen ab dem 1.7.2008 ersatzlos weg. Die Expertenkommission habe errechnet, dass das daraus resultierende Steueraufkommen die Staatausgaben nicht nur decke, sondern auch die enorme Staatsverschuldung abgebaut werden könne. Das Gesetzgebungsverfahren habe jetzt absolute Priorität, damit die Regelungen am 1.7.2008 in Kraft treten können; für die Einkommensteuer würde eine Rückwirkung zum 1.1.2008 erwogen. Weiterhin sei man sich einig, dass ebenfalls sämtliche Regelungen im Wirtschaftsrecht vorrangig auf ihre Wirtschaftsverträglichkeit untersucht und nötigenfalls ersatzlos gestrichen würden.
Merkel verwies zu den Einzelheiten auf die nachfolgende Pressekonferenz mit der Expertenrunde. Man sei sich bewusst gewesen –so Merkel-, dass es bereits eine Minute vor zwölf gewesen sei. Jetzt könne endlich der Ruck durch Deutschland gehen, wie ihn der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog beschworen hatte. Kurt Beck und Guido Westerwelle wiederholten in ihren Stellungnahmen die Aussagen Merkels im Wesentlichen.
Keiner der Anwesenden und nunmehr fassungslosen Journalisten hatte mit einer solchen politischen Bombe gerechnet und so war es nicht verwunderlich, dass nur zögerlich Fragen gestellt wurden. Man musste das Gehörte erst einmal verarbeiten, um sich die Zukunft Deutschlands mit weniger Wirtschaftsdirigismus und nur zwei Steuerarten überhaupt vorstellen zu können.
Die erste Frage der Journalisten behandelte selbstverständlich die Aufkommensneutralität dieser Reform. Hierzu antwortete Kurt Beck knapp, dass das Steueraufkommen natürlich sinken werde, andererseits aber auch die Staatsausgaben, da z.B. Subventionen und andere staatliche Hilfen ganz wegfielen, die Beiträge zur EU-Bürokratie auf das Nötigste begrenzt werden und nicht zuletzt, um nur ein Beispiel zu nennen, die Kosten für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan durch den sofortigen Abzug der Truppen wegfallen werden. Auf die folgende Frage, ob dies alles mit der EU abgestimmt sei, antwortete Merkel ebenso knapp, dass Deutschland nicht mit der EU verheiratet und notfalls wirtschaftlich noch stark genug sei, um eigene Wege nach dem Vorbild Norwegens oder der Schweiz zu gehen. Manchen der Anwesenden wurde jetzt erst richtig bewusst, welche radikalen Veränderungen beschlossen worden sind.
Die zweite noch zugelassene Frage betraf die Arbeitsplätze. Guido Westerwelle antwortete hierauf, dass selbstverständlich entsprechende Arbeitsplätze in der Verwaltung und in den Unternehmen wegfallen werden. Man stehe dem jedoch gelassen gegenüber, da durch die Steuerreform als auch durch den Rückzug des Staates im allgemeinen soviel Kräfte und Energie frei werden, so dass man in Deutschland innerhalb einer Jahresfrist wieder mit Vollbeschäftigung rechnen könne. Demnach fände ein Strukturwandel statt, der insgesamt die Beschäftigung in Deutschland erhöhe. Auch aus diesem Grunde erwarte man sich aus diesen beiden Steuerarten ein Mehraufkommen. Außerdem werde man den Fokus von unwichtigen Themen wie den Klimawandel auf wichtigere Themen, z.B. die Ordnungspolitik, lenken. Westerwelle wörtlich: “Der Klimaquatsch hat nun ein Ende!“ Merkel und Beck nickten hierzu einhellig. Die drei Politiker verwiesen die Journalisten nun für weitere Fragen auf die folgende Pressekonferenz.
Im Laufe des bisherigen Vormittages überschlugen sich nun die Ereignisse. Zum einen traten Bundesverteidigungsminister Josef Jung (CDU) und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) mit sofortiger Wirkung von ihren Ämtern zurück. Merkel hierzu: „Reisende soll man nicht aufhalten.“ Weiterhin haben u. A. José Manuel Barroso, Präsident der europäischen Kommission, der französische Staatpräsident Nicolas Sarkozy und der amerikanische Präsident George W. Bush ihre sofortigen Besuche angekündigt. Letzterer muss angesichts der Tageszeit auf dem Schlaf geholt worden sein. Vizekanzler und Außenminister Steinmeier hierzu: „Es gibt jetzt wichtigere Dinge in Deutschland, als medienwirksam Staatsgäste zu empfangen.“ Außerdem sei der Terminplan so eng, dass frühestens im Sommer an solche Gespräche zu denken sei. Claudia Roth und Reinhard Bütikofer von Bündnis90/Die Grünen kündigten in ersten Stellungnahmen härtesten Widerstand gegen die Pläne an. Insbesondere müsse an den vereinbarten Klimaschutzmaßnahmen festgehalten werden. Reaktionen auf diese Äußerungen liegen bisher nicht vor. Oskar Lafontaine von der SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ verurteilte das Vorgehen Merkels scharf und kündigte ebenfalls Widerstand an. Lafontaine wörtlich: „Es kann nicht sein, dass Reformen zugunsten von Besserverdienenden zu Lasten der Einkommensschwachen und der Arbeitslosengeldempfänger durchgezogen werden.“ In einer Stellungnahme ging Guido Westerwelle auf diese Äußerung ein und bemerkte, dass Oskar Lafontaine offensichtlich der wirtschaftliche Sachverstand fehle, was dieser ja schon öfters eindrucksvoll bewiesen hätte. Westerwelle weiter: “Womöglich kommt das Land zukünftig auch ohne Lafontaine und „Die Linke“ aus, wenn im Zuge der Reformen gut bezahlte Arbeitsplätze für alle diejenigen entstehen, die arbeiten können und dies auch wollen.“ Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Berufsverbände hielten sich in ersten Stellungnahmen zurück, lobten aber den Mut der Verantwortlichen und sehen insgesamt sehr viel mehr positive als negative Aspekte.
So können wir alle heute frohen Mutes in die Zukunft blicken, wenn da nur das Datum nicht wäre …
Dieser Beitrag wurde 1 mal bearbeitet, zum letzten Mal von gastli: 01.04.2008 15:06.
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