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RE: Fragen Sie Frau Eva |
Beitrag Kennung: 1050493
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Drei Liter
(K)Eine Weihnachtsgeschichte, und eine wahre Begebenheit über Freundschaft und Mut, die mir Linda Knappe erzählte.
Die Geschichte spielt in einer kleinen schwäbischen Stadt, irgendwo im Schwarzwald. Wir schreiben das Kriegsjahr 1944 und Anna, eine zierliche, aber energische junge Frau, arbeitet in einer Samenhandlung.
Der kleine Betrieb wurde schon lange zur „Kriegswichtigen Produktionsstätte“ erklärt, und so wurden keine Blumensamen oder Zwiebeln für Veilchen, Tulpen oder Astern mehr
vertrieben, sondern jetzt kultivierte man dort Saatgut für die Landwirtschaft.
Auf Anordnung des NSDAP Gauleiters wurden auch französische Kriegsgefangenen, als Zwangsarbeiter eingesetzt.
Einer von Ihnen war François, ein weiterer Held, unserer Geschichte.
François entsprach exakt dem Klischee eines charmanten französischen Frauenhelds, einem Schwerenöter, der selbst in schlechten Zeiten, nicht aufgibt.
Das war wohl auch ein Grund, warum er von Anna und ihren beiden Freundinnen, Klara und Karin angehimmelt wurde.
Da sie alle ein wenig Schwierigkeiten hatten seinen Namen richtig auszusprechen, nannten die jungen Frauen ihn der Einfachheit halber, einfach Franz.
Fairerweise muss erwähnt werden, dass die Zwangsarbeiter in dem kleinen Betrieb, besser und menschlicher behandelt wurden, als dies üblicherweise in anderen Betrieben geschah.
Es gab ausreichend genießbares Essen, die Arbeit war nicht zu anstrengend, es gab weder Strafen noch Misshandlungen.
Selbstverständlich träumte auch François bzw. Franz und seine Leidensgenossen von einem Leben in Freiheit und ohne Zwang.
Einmal im Monat besuchte der zuständige Gauleiter den kleinen Betrieb. Stets wurden alle Mitarbeiter, auch die Kriegsgefangenen dazu aufgefordert, sich auf dem Betriebsgelände zu versammeln. Es gab dann stets eine schwülstige Ansprache, durchsetzt mit Durchhalteparolen, denn längst hatte die Invasion begonnen und die deutschen Truppen wurden zurückgedrängt.
Nach dem Ende der Rede brüllten alle im Chor ihr „Heil Hitler“. Mit Ausnahme von Anna und ihren Freunden. Anna hatte etwas von ihrem Vater, der ebenfalls kein Freund der Nazis war, aufgeschnappt.
„Weißt du Anna, ich hab nie Lust da mitzuschreien, ich brülle immer ganz laut drei Liter, in dem Geblöke, bekommt das eh keiner mit“, erzählte er ihr.
Und so hob unsere Clique widerspenstig den rechten Arm und sie brüllten aus voller Kehle, „Drei Liter“!
Eines Tages wurde Anna, nach getaner Arbeit von Direktor Häberli ihrem Chef aufgefordert in sein Büro zu kommen. Ängstlich betrat sie den kleinen unaufgeräumten Raum.
Ob er das wohl mit dem „Drei Liter“ mitbekommen hatte?
Er forderte sie auf, die Türe zu schließen und dann bot er ihr einen Stuhl an.
„Fräulein Anna“, sprach er, „ich habe lediglich eine Bitte, es gibt keinen Grund beunruhigt zu sein, aber ich rechne mit ihrer Verschwiegenheit“.
In diesem Moment schossen Anna zig Gedanken durch den Kopf. Wollte ihr Chef sie erpressen? Was plante er? Eigentlich hatte sie ihn immer den korrekten Vorgesetzten gesehen.
Dann begann er zu sprechen. „Fräulein Anna, ich kenne ihren Vater sehr gut. Ein anständiger Mann, auch in diesen Zeiten.
Ich habe ein Problem. Ich unterstützte eine Familie, die hilfsbedürftig ist, mit Lebensmitteln. Es sind Freunde von mir, Juden. Sie leben versteckt bei einer hilfsbereiten Familie.
Die Lebensmittelkarten reichen aber nicht mehr aus, um alle satt zu machen.
Ich weiß, dass sie unter den französischen Zwangsarbeitern Freunde haben. Da ist ja dieser gutaussehende junge Mann, dieser François, kann man ihm vertrauen?
Ich habe die Erlaubnis des Gauleiters infrage kommende Zwangsarbeiter mit einem von mir ausgestellten Passierschein, auch außerhalb des Firmengeländes für Aufträge einzusetzen.
Sie müssen nur von einer Vertrauensperson begleitet werden.
Er könnte mit dem Firmen LKW, Lebensmittel, die ich organisiere, ausliefern. Das einzige, was sie tun müssen, ist ihn zu begleiten.
Aber das ist ihre Entscheidung. Wie gesagt, es ist eine Bitte und ich hoffe auf ihre Verschwiegenheit.“
Anna war erleichtert, aber sie war dennoch so verwirrt, dass sie in diesem Moment, keinen klaren Gedanken fassen konnte.
Wie ihn Trance, hörte sie sich sagen, „ Ja das werde ich machen, ich rede mit François.“
Herr Häberli war erleichtert, noch einmal musste sie ihm versprechen, nicht darüber zu reden. Anna versprach ihm, morgen mit Franz zu sprechen, und ihn dann zu informieren.
Nun, Franz stimmte zu und der Direktor war erleichtert. Schon am nächsten Tag, sollte Anna, mit ihm, die erste Tour fahren.
Abends nach Schichtende fuhren sie los. Beide waren nervös und auch bei späteren Fahrten, sollte dies nicht aufhören.
Anna sah hinter jeden Unbekannten einen Spitzel oder Blockwart, aber das sei jetzt schon einmal verraten, es passierte nie etwas.
Der Transport der Lebensmittel erfolgte stets regelmäßig und ohne Zwischenfälle.
Dann war der Krieg zu Ende und in der kleinen Stadt zogen die Amerikaner ein und errichteten eine Standort Kommandantur.
Für die Kriegsgefangenen war es ein Tag der Freude, denn endlich konnten sie wieder nach Hause.
Auch Anna, ihre Freunde und die meisten Einwohner der kleinen Stadt waren erleichtert, auch wenn sie wussten, dass jetzt eine harte Zeit kommen würde. Aber endlich war Frieden und die Nazis waren besiegt.
Die Nazispitzel, Parteimitglieder, Blockwarte und wer sonst noch Verbindungen zur NSDAP hatte, wurde erst einmal von den Amerikanern verhaftet.
Auch Herr Häberli wanderte ins Gefängnis.
Ein paar Tage später, sahen Anna, Klara und Karin zu, wie weitere amerikanische Truppenteile in die Stadt einzogen.
Plötzlich hörten sie ein lautes „He Anna, drei Liter!“
Verwirrt suchten sie nach dem Rufer und dann sahen sie ihn. Franz, in der Uniform eines amerikanischen Offiziers.
Mit offenen Mündern starrten sie „ihren Franz“ an. Anna, war die erste die Worte fand. Franz, was machst du hier, du bist doch Franzose, der Krieg ist doch vorbei für dich.
Aber François alias Franz grinste nur und erklärte, was es mit der amerikanischen Uniform auf sich hatte.
„Ach ihr Lieben, der Krieg in Europa ist vorbei, aber meine Dienstzeit als Offizier der amerikanischen Streitkräfte noch nicht.
Meine Stabsstelle befindet sich momentan im Rathaus. Sorry, aber ich war als Agent des OSS ( US-Militärgeheimdienst) tätig. Mein Auftrag war, als französischer Gefreiter, nach Kollaborateuren in den neu gegründeten französischen Einheiten zu suchen.
Dummerweise wurde ich von einem deutschen Trupp bei einem Einsatz gefangen genommen. Ich musste weiter „François“ bleiben, denn als US-Spion hätten die Deutschen mich sofort hingerichtet.
Aber jetzt muss ich weiter, was haltet ihr von einem Treffen, heute Nachmittag so gegen 17 Uhr, im Park an der Sonnenuhr?
Da unserer Freundinnen Zeit im Überfluss hatten und auch neugierig waren, sagten sie der Verabredung zu.
Sie hatten sich viel zu erzählen und die Zeit verrann im Nu. Anna erzählte Frank (so sein richtiger Name) auch, dass Herr Häberli im Gefängnis saß.
Franz meinte lakonisch, „darum kümmere ich mich.“
Wirklich, am nächsten Tag wurde Herr Häberli aus der Haft entlassen und erhielt einen „Persilschein“, als Zeichen seiner reinen Weste.
Und hier endet unsere Geschichte. Was danach mit Anna, Karin, Klara und Frank alias Franz alias François geschah, ist leider nicht bekannt.
Das Frau Eva Team wünscht allen seinen Freunden und Lesern eine hoffnungsvolle und friedliche Weihnachten, egal ob ihr feiert oder einfach nur die freien Tage genießt.
In Erinnerung an Linda Knappe, Gründerin des „siebten Flugblatts“ die völlig unerwartet nach kurzer Krankheit am 12. Februar 2021 verstarb.
https://www.facebook.com/DasSiebteFlugblatt
Linda wir werden dich nie vergessen.
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