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RE: Gedanken zur Zeit |
Beitrag Kennung: 93056
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Gestern Abend tauchte der irre Pit mal wieder bei uns in der Kneipe auf. Eigentlich heißt er ja nicht Pit, aber da er seit Jahrzehnten als einzige Droge, auf jene prickelnden Brausebonbons steht, die mal als Prickel-Pit bekannt waren, ist der Name Pit an ihm haften geblieben. Mir fällt sein richtiger Name zwar noch ein, aber der tut nichts zur Sache.
Pit ist Saisongast. Er taucht nur zu den Feiertagen wie Weihnachten, Ostern und nur natürlich Pfingsten auf, dazu meist noch ein paar mal im Sommer in der Ferienzeit. Er ist Insasse einer psychatrischen Klinik, die früher mal Nervenheilanstalt, Klapse oder Irrenhaus hieß. Scheinbar werfen die da in den Ferien und zu den Feiertagen alles raus, was nicht an der nächsten Straßenecke ein Messer zückt und Passanten zerlegt. Pit würde nie Passanten zerlegen. Pit ist und war immer schon anders. Er ist tödlich, aber eher nervtötend.
Diesmal trat er in einem hellen Kamelhaarmantel auf, der Schnallen mit dunkelbraunen Lederknöpfen auf den Schultern und sonst auch ziemlich knopfbesetzt war. Auf den Schulterklappen waren jeweils zwei USB-Videocameras befestigt von denen eine nach vorne und einenach hinten sah. Die Drähte aus den Kameras liefen auf dem Rücken in einem alten C-Netz Funktelefon der Firma Siemens zusammen, das in einer Ledertasche steckte, die mit dem Mantelrücken vernäht war.
Die Anschlüsse sahen professionell aus, wenn auch die Anzeige des Funktelefons verriet, das es schon lange keinen Strom mehr hatte. Aber es gab ja auch schon lange kein C-Netz mehr. Während der Mantel in die 60er Jahre gehörte, passte das Handy ans Ende der 80er Jahre.
Wir brauchten Pit nicht zu befragen, was das ganze sollte. Das war ja schließlich sein Auftritt. Er erklärte uns, das er jetzt für das Innenministerium arbeite und gerade die aktuelle Version der neuen Bürgertotalüberwachung teste. Das sei viel besser als all die Abhörmaßnahmen, die ja doch nicht funktionierten. So könne Wolfgang Schäuble oder seine Beauftragten direkt mit dabei sein. Die Kameras hätten ja alle neben dem Objektiv auch ein Mikrophon.
Pit erwartet schon lange keine Kommentare mehr zu seinen Auftritten. Eigentlich erwartet er gar nichts mehr. Er will kein Geld, keinen Alkohol. keine Drogen. Gerade weil er nichts mehr will, macht er doppelt betroffen. Aber Pit wäre nicht Pit, wenn er uns nicht auch noch einen Ausblick auf die Zukunft schenken würde.
Vor Ostern soll er ein neues Modell der Bürgertotalüberwachung bekommen. Viel leistungsfähiger. Die Kameras sollen dann in einer Brille integriert sein und an den äußeren Ecken positioniert, quasi wie Froschaugen einen seitlichen, sowie einen nach vorne gerichteten und sogar einen rückwärtigen Blick erlauben, wobei nur noch an der Scharfeinstellung in den Grenzbereichen gearbeitet würde.
Der wirkliche Clou aber sei, das auf die Innenseite der Brille Nachrichten und Filme dargestellt würden, um dem Bürger die notwendigen Anweisungen und Anregungen zum Denken zu geben und ihn in Notfällen ganz vom Blick auf seine reale Umwelt zu trennen. Unnötig zu sagen, das dies von Musikeinspielungen in Hörgeräte unterstützt würde. Damit sei dann endlich nicht nur die Rundumüberwachung, sondern auch der Rundumschutz des Bürgers vor schlechten Wahrheiten gewährleistet.
Ich glaube ich sagte schon das Pit nervtötend ist. Verrückte und kleine Kinder können Dinge aussprechen, die man selber kaum zu denken wagt. Früher konnten wir uns ja immer fragen, welche Droge er gerade genommen hat, aber heute wissen alle, das bei Pit keine Drogen mehr wirken. Daran verzweifeln ja auch seine Irrenärzte. Sie können in ihn reinpumpen was auch immer sie wollen, er reagiert nicht und wenn dann nur mit einem übergangslosen Totalzusammenbruch.
Genauso beim Alkohol. Er kann trinken, bis die die Leber versagt. Ihm sind auch zwei Flaschen Wodka nicht anzumerken, bis er zusammen bricht. Er schiebt das auf seine erste Runde in der Klapse. Das war damals, als die alle ruhig stellten, bis sie die Patienten auf die Leine hängen konnten. Damals müssen sie seiner Meinung nach, seine Rezeptoren für Drogen durchgebrannt haben.
Ich kenne ihn schon ewig. Er hat damals an der TU Maschinenbau studiert. Da er körperlich groß ist, interessierte er sich für Mikromaschinen. Logisch. An den Großmaschinen waren die ganz kleinen Ingenieure. Er war damals noch ziemlich normal. Nur das er ab und an auf die Aussichtsplattformen an der Berliner Mauer ging, seinen Schwanz rausholte und onanierte bis er abspritzte und dabei rief, das er den deutschen Osten befruchten wolle, verwirrte andere ein wenig.
Aber in jener irren Zeit, in der unser Zeitungszar gegem jeden und vor allem die Mauer und die Menschen im Osten hetzte, war dieses Verhalten nicht absonderlich genug, um wirklich Aufmerksamkeit zu erregen. Da gab es viel verrücktere Vorschläge. Außerdem war, wenn auch nicht die Befruchtung des Osten, so doch ein regelmäßiger Verkehr, durchaus das, was viele wollten.
Selbst hässliche Männer mit überzähligen Jeans und wenigen Westmark fanden im Osten schöne, kluge und vor allem sexuell freie Frauen, die den Jungs aus der Hose und zur Befreiung verhalfen. Die mangelnde Moral des real existierenden Sozialismus wirkte sich positiv auf das Selbstwertgefühl der Westberliner Männer aus.
Vor allem aber diente die Mauer als sichere Grenze. Dabei wäre die bei den Ostfrauen, die ja viel selbstständiger und freier als die im Westen waren, gar nicht nötig gewesen. Die wollten häufig ja gar keinen festen Kerl, sondern befanden sich ständig in den Wechseljahren. Nur wechselten sie die Kerle. Aber ich schweife in fröhlichen Erinnerungen ab.
Nachdem Pit mit seiner Mauerwichserei nicht so richtig Erfolg gehabt hatte und ihm für sein Studium entweder das Geld oder die Lust fehlte, ergriff er einen der beiden wichtigsten Berufe für Hochschulabgänger in Berlin und wurde Taxifahrer. Das war schwierig, da man dort Kenntnisse der Berliner Straßen nachweisen musste. Deshalb wurde die Mehrzahl ja auch Kellner. Aber Pit fuhr Taxi. Meist in der Nähe der Uni.
Ich weiß nicht ob er irgendwie noch weiter studierte, oder nur die Nähe von Bekannten suchte. Irgendwann war er jedoch verschwunden. Das war damals nicht weiter wild. Die Leute kamen und gingen. Ein paar gingen sogar wieder nach Hause um sich ihren Eltern und deren Vorstellungen von einem wirklichen Leben zu unterwerfen. Solange kein unbezahlter, trauender Vermieter zurückblieb, interessierte das niemanden.
Irgendwann hörte ich das Pit in eine Kirche eingetreten sei. Zu der Zeit hatte ich eine Kneipe, in der ich allabendlich dafür sorgen musste, das nicht nur Bier, Schnaps und Essen in ausreichender Menge und angemessener Qualität vorhanden waren, sondern auch noch für die Unterhaltung meiner Gäste verantwortlich. Die Ansprüche waren damals sehr hoch.
Deshalb war jeder Wirt bemüht, sich einen endlosen Strom von Miniauftritten zu sichern. Das war aber nicht weiter schwierig weil viele Leute nur davon lebten, solche Auftritte zu gestalten. Egal ob die Laugenbrezelverkäufer, die Händler von Raubdrucken, Wanderbands, das alternde Blumenmädchen, das mit Ende vierzig nicht nur Blumensträußchen im Biedermeierstil vertickerte, sondern auch oft genug einen jungen willigen Hahn auf der Toilette vernaschte.
Natürlich auch "Wollen Rose kaufen", die Heilsarmee, den Einzelsänger oder Gedichtevortragskünstler und jene Afrikaner, die echtes Elfenbein aus Rinderknochen und ganze Elefantenherden aus Holz anboten, aber auch Tiermasken und Schilde. Hauptsache es passierte was.
Der Wirt hatte nur dafür zu sorgen, das diese Gauklertruppen sich nicht gegenseitig ins Gehege und in die Haare gerieten. Es war eine schöne Zeit. Auch Pit tauchte da immer wieder als Verkünder seinen charismatischen, pfingstlerischen Glaubens auf. Seine Kirche glaubte, das Gott sie so lieb habe, das er an ihnen das Pfingstwunder ständig wiederholte. Sie glaubten das sie in fremden Sprachen reden könnten, wenn sie im religiösen Überschwang vor sich hin brabbelten. Aber die Show war gut. Zumal er auch Prophezeiungen bot und in seiner Kirche sogar Heilungen versprach.
Damals freute sich Pit noch über ein Essen. Trank den Schnaps aber nur heimlich hinter der Tür mit dem Schild "Privat". Der Weg vom Frommen zum Pharisäer ist eben kurz. Ich gebe allerdings zu, das ich meinen Spaß daran hatte und ihm eher einen mehr gab. Bei Gras hatte er übrigens weniger Probleme, weil das den Geist angeblich erweiterte. Da hatte er ja auch nicht ganz unrecht. Auf Gras spinnt sich viel leichter als auf Wodka.
Plötzlich veränderte sich Pits Aussehen. Vom ewigen Studenten zum Mann im Anzug. Zwar hatte er immer noch kein Geld, aber nun wollte er Mitglied bei den Geschäftsleuten des vollen Glaubens werden. Wenn ich ihn richtig verstand, waren das welche, die viel spendeten und deshalb einen besseren oder schnelleren Platz im Himmel bekommen würden. Ich sah sie eher, als diejenigen, die jene Gutgläubigen abzockten. Aber damals war mir das egal.
Mit seinem Taxifahreinkommen und den paar Spenden die er auf den Kneipentouren einsammelte, konnte er aber kaum mit diesen Geschäftsleuten mithalten. Das sah auch Pit ein und kam auf eine verblüffend einfache Lösung. Er raubte eine Bank aus. Auf den veröffentlichten Fahndungsfotos, war er in voller Größe und ohne jede Tarnung zu erkennen. Trotzdem dauerte es Wochen oder gar Monate bis ihn jemand verpfiff.
Als Pit dann erklärte das Gott ihm befohlen habe, die Bank zu überfallen und das Geld zu spenden, trennten sich seine Kirche und die gläubigen Geschäftsleute von ihm und der Richter steckte ihn nicht in den Knast, sondern in eine damals berüchtigte Klapse, wo sie ihn in einem rosaroten Nebel der Glückseeligkeit versenkten.
Obwohl sie die Dosis immer weiter erhöhten, bekamen sie ihn nicht ruhig. Freunde spielten mir später mal die Dosierungen zu. Damit hätte man sämtliche Insassen längerer afrikanischer Flüsse auf einen Dauertrip schicken können. Moral ist eben wenn man trotzdem lacht und verordnet. Aber bei Zwangseinweisungen war man damals auf der sicheren Seite. Nur selten kümmerten sich Bürger um das, was diese Art von Ärzten trieb.
Auf jeden Fall wurde Pit wohl immer klarer und anstatt den Rasen mit der Nagelschere zu mähen, verabschiedete er sich aus der Klapse und tauchte nach einigem hin und her Nachts bei uns in der WG auf. Als ich mitten in der Nacht nach Hause kam, saß Pit in unserem Wohnzimmer und anstatt mit der mitgebrachten Frau für die Nacht meinen Spaß zu haben, durfte ich Pits Horrorgeschichten aus der Irrenanstalt über mich ergehen lassen.
Weil ich ja schon damals zu jedem Scheiß meinen Senf dazugeben musste, hatte ich das Ding natürlich an der Backe. Man breitete den Fall vor mir aus und erwartete einen detaillierten Plan, was zu tun sei. Natürlich war in dieser Nacht nichts mehr mit vögeln und die Frau von damals bewundert mich nach eigenem Bekunden zwar heute noch, aber wir haben nie miteinander geschlafen, weil sie am nächsten Mittag abreiste und wir nur noch telefonischen und brieflichen Kontakt hatten.
Die Sache an sich war einfach. Vom geraubten Geld hatte Pit ein Auto der Oberklasse gekauft, das aber noch nicht geliefert war, um mit den Geschäfsleuten auf du und ich oder so ähnlich agieren zu können und den wesentlichen Rest gespendet. Für sich selbst hatte er nur eine Miete bezahlt und einen weiteren Anzug mit Socken gekauft. Die Socken waren ihm damals wichtig.
Die Kirche gab die Spende wieder zurück und das Autohaus mache den Vertrag und die Anzahlung rückgängig. Ein paar Freunde brachten die fehlende Summe auf und ich konnte mit einem Anwalt, sowohl die Bank, als auch die Staatsanwaltschaft davon überzeugen, die Sache etwas herunter zu fahren und dafür zu sorgen das Pit nicht in die Klapse sondern in den Knast kam. Er kriegte sieben Jahre, mit denen er ganz zufrieden war, zumal er schon vor der Zweidrittelstrafe wieder herauskommen sollte.
Dummerweise verlor er im Knast seinen Glauben, nicht weil die JVA-Tegel so gemein zu ihm gewesen wäre, sondern weil sein Pastor beim Fremdficken erwischt wurde und ein paar seiner Geschäftsleutefreunde wohl mit den Händen in der Kasse der Kirche waren, was in diesem Zusammenhang auch hochkam. Ich hatte das ganze nicht wirklich verfolgt, nur der bumsende Paster bestätigte mal wieder meine Vorurteile über die Frommen.
Nun hatte Pit keinen Glauben mehr und entwickelte sich immer extremer. Mal wurde er an der Gedächtniskirche mit jener Frau beim öffentlichen Geschlechtsakt erwischt, die Ficken für den Frieden propagierte, mal hat er öffentlich eine Ziege in einem Park gevögelt, wobei mir immer noch nicht klar ist, wo er mitten in Berlin die Ziege her hatte.
Für Pit begann damit die typische Drehtürkarriere. Rein in die Klapse, Therapieversuch, raus aus der Klapse. Da Medikamente nicht halfen, kam die Gesprächstherapie. Pit wurde zum ausgefuchsten Hasen. Egal womit der Seelenklempner auch kam, Pit erkannte schon an den ersten drei Worten welche Melodie gespielt wurde, und spielte eifrig mit. Irgendwann müssen die Jungs in Weiß aufgegeben haben.
Der Gesellschaft waren Pits Eskapaden auch ziemlich egal. Nur das er in der Psychatrie eine weibliche Patientin und eine Pflegerin wohl ziemlich gleichzeitig geschwängert hat, sorgte noch einmal für Rauschen im Blätterwald. Ich weiß nicht ob sie ihn dann kastriert haben, aber es liefen solche Gerüchte rum. Ihn selbst habe ich nie gefragt.
Allerdings wurden seine Auftritte anders. Das kann aber auch am Alter liegen. Er wurde kritischer. Trat in immer neuen Rollen auf, in denen er die Dinge erschrecken auf den Punkt brachte. Ich erinnere mich noch gut wie er mit einem Gestell und vielen Leinen auftauchte.
Er hatte auch eine Erklärung. Er übe das Führen von Pferden an den Fahrleinen, das Griffeklopfen, da er demnächst Fahrer bei Wolfgang Clement werden solle, der unbedingt mit einem Sechzehnerzug von Arbeitslosen gefahren werden wolle, und da müsse er doch mit Leinen zurechtkommen, damit die Arbeitslosen in den Kurven nicht übereinander fallen.
Genauso war er mal Fallensteller für Angela Merkel. Er sollte die CDU und CSU Obermimen wegfangen die ihr im Weg waren, oder sie doch zumindest zu Fall bringen. Davor lief er mit einem ganz kleinen Hämmerchen durch die Gegend und klopfte alles ab um dann in Blümschen Tonfall zu erklären, das die Rente und der Tisch oder das Haus sicher seien. Da war er vom Rententüv.
Natürlich ist Pit irre. Vollständig irre. Warum zum Teufel erscheint er mir nur ab und so verflucht normal? Ich habe da einen Verdacht. Gerade als er den Tester für Schäubles Bürgerüberwachtung gab. Ist er vielleicht gar nicht verrückt. Sieht er vielleicht nur Dinge, vor denen wir unsere Augen fest verschlossen haben.
Natürlich ist Schäubles Bürgerüberwachung in Pits Stil schon rein technisch nicht machbar. Aber wird das Schäuble und Co. aufhalten. Der BKA-Herold hat bei seinen Rasterfahndungen damals auch Ergebnisse eingefahren und Daten gespeichert, die wir bis heute noch nicht alle verarbeitet haben. Hauptsache sammeln. Was tun, wenn Pit gar nicht so verrückt ist?
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